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Runa hob die Schultern; die Bewegung wirkte nicht sehr überzeugend. »Vorhin waren sie noch da«, behauptete sie. »Ich sage doch: Die haben irgendetwas vor.« Sie schwieg kurz, indem sie scheinbar konzentriert in die Dunkelheit starrte, und zuckte dann abermals mit den Achseln. »Wir sollten wirklich nach deiner Mutter suchen... Oder ich wecke meinen Vater und erzähle ihm alles.«

»Nein!«, sagte Arri fast erschrocken. Runa blinzelte verwirrt, und Arri beeilte sich hinzuzufügen: »Ich meine... du weißt doch gar nicht, ob... ob sie wirklich etwas Böses planen. Vielleicht wollten sie sich ja nur wichtig machen.«

Vor wem?, fragte Runas Blick. Sie haben mit niemandem gesprochen.

»Wir suchen lieber nach meiner Mutter«, fuhr Arri hastig fort. »Sprechen wir erst mit ihr. Einverstanden? Danach können wir immer noch deinen Vater wecken. Er wird bestimmt ziemlich wütend werden, wenn wir ihn umsonst aufwecken.«

Runa sah sie weiter zweifelnd an, was Arri nicht besonders überraschte. Ihre Worte klangen nicht überzeugend, nicht einmal für sie selbst. Und sie waren auch nicht wirklich der Grund für ihr so unübersehbares Erschrecken. Sie wusste nicht, ob Runa sich nicht doch nur über sie lustig machen wollte, aber sie konnte sich gut vorstellen, wie ihre Mutter reagieren würde, wenn sie Targan weckten, statt zuerst zu ihr zu kommen. »Meine Mutter«, erinnerte sie.

Runa warf ihr einen unwilligen Blick zu, sah sich aber darüber hinaus nur weiter unschlüssig um, sodass Arri nun allmählich überzeugt war, dass sie sich doch nur einen bösen Scherz mit ihr erlaubte. Schließlich deutete sie nach rechts. »Dort.«

Arri folgte ihr zwar, aber sie blieb argwöhnisch. Irgendetwas stimmte hier nicht, doch sie hatte immer mehr das Gefühl, dass es nicht das war, was Targans Tochter vorgab.

Sie bewegten sich in die Richtung zurück, aus der sie und ihre Mutter am Abend gekommen waren. Ihr Wagen stand noch scheinbar unberührt dort, wo Lea ihn zurückgelassen hatte, doch als Arri im Vorübergehen einen Blick auf die Ladefläche warf, gewahrte sie eine Anzahl Bündel und geflochtener Körbe, die sie ganz eindeutig nicht mit hierher gebracht hatten. Lea und Runas Vater waren sich anscheinend schon größtenteils handelseinig geworden, und offensichtlich hatte Targan auch keine allzu große Angst vor Dieben.

Arri entging auch keineswegs der kurze, neugierige Blick, mit dem Runa den Wagen streifte. Obwohl sie sich Mühe gab, sich ihre Neugier nicht allzu deutlich anmerken zu lassen, war Arri doch sicher, dass dem Mädchen diese Bauweise völlig fremd war, was der Behauptung ihrer Mutter, dieser Wagen stamme von Dragosz’ Volk, merklich mehr Gewicht verlieh und ihr zugleich eine Menge über dieses Volk verriet, denn zweifellos sah Runa oft fremde und zum Teil vermutlich auch seltsamere Gefährte. Wenn sie einen solchen Wagen noch nie gesehen hatte, dann musste er wohl tatsächlich von weit herkommen.

Sie blieben stehen, als sie den Stall erreichten, in dem ihre Mutter die Pferde untergebracht hatte. Runa legte den Kopf schräg und schien zu lauschen, dann ging sie - schneller - weiter. Arri folgte ihr zwar weiter gehorsam, hielt aber einen vorsichtigen Abstand ein und war sehr angespannt. Wenn Runa glaubte, ihr irgendeinen kindischen Streich spielen zu können, würde sie eine unangenehme Überraschung erleben.

Obwohl Arri erwartet hätte, dass sich das Mädchen hier so unmittelbar in seinem Zuhause selbst mit verbundenen Augen zurecht gefunden hätte, wurden seine Schritte immer langsamer, je weiter sie gingen, und auch merklich unsicherer. Schließlich blieb Runa abermals stehen und lauschte, und auch der Wolf hielt inne und stellte aufmerksam die Ohren auf. Arri trat neben Runa und sah sie fragend an. Auch sie lauschte sehr konzentriert, aber sie hörte nichts. Runa bedeutete ihr jedoch mit einem hastigen Blick, still zu sein, und wenn Arri bis zu diesem Moment noch Zweifel gehabt hätte, dass irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte: das, was sie in Runas Augen las, hätte sie endgültig beseitigt.

Es verging noch ein kurzer Moment, aber dann hörte sie es auch: Irgendwo in der Dunkelheit vor ihnen waren Stimmen. Zu weit entfernt und zu undeutlich, um die Worte zu verstehen, aber deutlich genug, um sie zu erkennen. Die eine gehörte ihrer Mutter, die andere erkannte sie erstaunlicherweise noch zweifelsfreier, obwohl sie sie bisher nur zweimal gehört hatte: Sie gehörte Dragosz.

Runa machte einen zaghaften Schritt, blieb wieder stehen und sah sie unschlüssig (oder ängstlich?) an, und sie wirkte eindeutig erleichtert, als Arri ihr mit einer hastigen Geste bedeutete, nicht weiterzugehen. Ihr Wolf stieß ein leises Knurren aus und verstummte augenblicklich, als Runa ihm die Hand zwischen die Ohren legte.

»Vielleicht ist es doch besser, wenn wir zuerst...«, begann sie.

»Nicht so laut«, zischte Arri. »Warte hier.« Ohne Runas Reaktion abzuwarten, bewegte sie sich ein paar Schritte weit in Richtung der flüsternden Stimmen und hielt dann inne. Sie war immer noch nicht nahe genug heran, um mehr als ein paar zusammenhanglose Wortfetzen verstehen zu können, aber näher wagte sie sich nicht. Der Himmel war immer noch zugezogen, und er war im wahrsten Sinne des Wortes pechschwarz. Sie sah nicht einmal genau, wo sie hintrat, aber dafür wusste sie nur zu genau, dass ihre Mutter besser hörte als eine Eule.

Arri schloss die Augen und versuchte sich ebenfalls in dieser Kunst, aber ihr Erfolg war mäßig. Die Stimmen schienen ein kleines bisschen deutlicher zu werden, aber wirklich verstehen konnte sie immer noch nichts. »... bereit, glaub mir«, schien Lea zu sagen. Dragosz’ Antwort konnte sie gar nicht verstehen, aber seine Stimme klang scharf, und ausgelöst durch diese Erkenntnis wurde ihr im Nachhinein klar, dass sich auch ihre Mutter unwillig anhörte - vorsichtig ausgedrückt. Arri konnte nicht sagen, ob sie tatsächlich Zeugin eines Streits wurde, aber die beiden hatten sich nicht für ein heimliches Stelldichein hier getroffen, so viel war klar. Wenn sie doch wenigstens wüsste, ob Dragosz ihr von ihrem Treffen am Fluss erzählt hatte! Sie versuchte, noch konzentrierter zu lauschen, aber das Einzige, was lauter wurde, war das Geräusch ihres eigenen Herzschlages in ihren Ohren. Immerhin war sie jetzt sicher, einen Streit zu belauschen; oder zumindest doch etwas, das gute Aussichten hatte, zu einem solchen zu werden. Sie versuchte vergeblich, den Stimmen, die durch die Dunkelheit wehten, einen Sinn abzugewinnen, dann gab sie auf und kehrte so lautlos zu Runa zurück, wie sie gekommen war.

»Mit wem... spricht deine Mutter da?«, fragte das Mädchen, diesmal unaufgefordert ganz von selbst im Flüsterton. Arri hob zur Antwort nur die Schultern. Sollte sie Runa etwa von Dragosz erzählen und davon, dass ihre Mutter ihr offensichtlich schon wieder etwas verschwieg (nein, verdammt - sie belog!)!

Fast zu ihrer Überraschung gab sich Runa mit dem Schulterzucken zufrieden und drehte sich halb um, wie um zum Haus zurückzugehen, hielt dann aber nach einigen Schritten inne und machte ein unschlüssiges Gesicht, als wäre ihr plötzlich noch etwas eingefallen. »Wenn wir schon einmal hier sind«, sagte sie, »möchtest du dann die Mine sehen?«

Arri benötigte einige Augenblicke, um dem Wort überhaupt eine Bedeutung zuzuordnen. Zweifelnd sah sie das Mädchen an. »Jetzt? Es ist mitten in der Nacht.«

»Und?«, erwiderte Runa. »Dort unten ist es immer dunkel.«

Arri blieb weiterhin argwöhnisch. Die Worte ihrer Mutter hatten sie neugierig gemacht, zweifellos - sie wollte nichts mehr als diese geheimnisvolle Mine mit eigenen Augen zu sehen -, aber sie war im Augenblick viel zu aufgewühlt, um sich auf irgendetwas anderes als auf die Frage konzentrieren zu können, was ihre Mutter und Dragosz gerade miteinander geredet hatten. Sie bedauerte längst, nicht einfach weitergegangen zu sein, um zu lauschen, selbst auf die Gefahr hin, dass die beiden sie bemerkten. Wahrscheinlich, dachte sie, hatte dieses Versteckspiel ohnehin von Anfang an keinen Sinn gehabt, ja, wahrscheinlich hatten sich ihre Mutter und Dragosz insgeheim köstlich über das kleine dumme Mädchen amüsiert, das sich allen Ernstes einbildete, ein Geheimnis vor ihnen zu haben. Die Vorstellung machte sie wütend. Wieso verlangte ihre Mutter ständig von ihr, sich wie eine Erwachsene zu benehmen, behandelte sie aber nach wie vor wie ein kleines Kind? Und Dragosz? Zweifellos war er der Schlimmere von beiden. Von ihrer Mutter war sie eine solche Behandlung gewöhnt, und auf irgendeine Art, die Arri weder in Worte fassen konnte noch wollte, hatte sie sogar das Recht dazu, aber das galt nicht für Dragosz. Ihm stand das einfach... nicht zu.