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Die hastige Bewegung ließ sie endgültig das Gleichgewicht verlieren. Arri stürzte ungeschickt nach hinten, aber diesmal schlug sie nicht auf dem steinernen Boden auf, weil etwas Weiches und Warmes ihren Sturz aufhielt. Keuchend vor Entsetzen rollte sie herum und schrie im nächsten Augenblick gellend, als sie in Runas weit offen stehende, leere Augen blickte. Es war der Körper des Mädchens, der ihren Sturz aufgefangen hatte.

Und es war die tote Runa, die sie vielleicht das Leben kostete, denn als Arri ihren Schrecken endlich überwunden hatte und sich aufrichten wollte, schloss sich eine entsetzlich starke Hand um ihren linken Fuß und zerrte sie zurück. Unwillkürlich trat sie mit dem anderen Fuß zu und traf einmal, zweimal, dreimal und so hart, dass ein stechender Schmerz durch ihr Gelenk schoss, aber die Hand ließ ihren Fuß trotzdem nicht los, sondern zerrte sie im Gegenteil immer weiter und weiter zurück. Verzweifelt krallten sich Arris Hände in die Schultern des toten Mädchens, aber es nutzte nichts; Runa wurde einfach zusammen mit ihr zurückgeschleift, und dann war da plötzlich noch eine zweite Hand, die nach ihrem anderen Knöchel grapschen wollte. Arri warf sich herum, trat noch einmal nach dem Gesicht des Mannes und traf ihn so hart, dass sie spüren konnte, wie seine Zähne splitterten.

Der Kerl heulte vor Schmerz und spuckte Blut. Dann wurde sie mit einem so brutalen Ruck herum und auf den Rücken geworfen, dass ihre Hände von Runas Schultern glitten und zwei oder drei ihrer Fingernägel abbrachen, aber sie nahm diesen neuerlichen Schmerz kaum noch wahr, so schlimm er auch sein mochte. Blind vor Angst, wie sie war, landete sie einen letzten, noch härteren Tritt in das zerstörte Gesicht des Angreifers, dann hatte er auch ihr anderes Fußgelenk gepackt, richtete sich endgültig auf die Knie auf und zerrte sie mit einem derben Ruck zu sich heran. Sein Haar schwelte noch immer, und auch die roten Glutfunken in seinem Umhang waren nicht erloschen, sondern schienen eher noch mehr geworden zu sein.

Sein verbliebenes Auge funkelte mit mörderischem Hass auf sie herab. Er würde sie nicht einfach nur töten, sondern ihr etwas Unbeschreibliches antun. Und er begann in diesem Moment damit.

Sein Gewand war noch im Weg, als er sie endgültig an sich heranzog. Wütend schlug er ihr rechtes Bein zur Seite und griff aus der gleichen Bewegung heraus nach unten, um das um seinen Leib gewickelte Gewand anzuheben. Arri angelte nach der mittlerweile nur noch schwelenden Fackel, zog sie zu sich heran und hielt ihr Ende an den Umhang des Angreifers. Im allerersten Moment züngelte nur ein winziges, heftig qualmendes Flämmchen aus dem struppigen braunen Fell, dann explodierte das Feuer regelrecht. Eine zischelnde Stichflamme schoss in die Höhe, züngelte gierig nach Armen und Schultern des Kriegers und leckte über seine verbrannte Gesichtshälfte.

Arri bemerkte mit fassungslosem Entsetzen, dass er es gar nicht zu spüren schien; vielleicht war er nicht mehr fähig, Schmerz zu empfinden, oder seine Wut war einfach zu groß. Seine Hand machte sich irgendwo an ihrem Schoß zu schaffen, und der Schmerz kam zurück, schlimmer und grausamer als zuvor - aber dann schrie er gellend auf, warf sich zurück und stürzte rücklings und brennend zu Boden.

Arri trat noch einmal nach ihm, warf sich herum und kroch hastig auf Händen und Knien ein Stück weit davon, bevor sie sich wimmernd aufrichtete und mit der linken Hand ihren zerrissenen Rock zusammenraffte - als gäbe es hier unten jemanden, vor dem sie sich verhüllen müsste! Zitternd drehte sie sich um, und der Anblick, der sich ihr bot, raubte ihr trotz allem schier den Atem.

Der Mann war zu Boden gestürzt, rappelte sich aber genau in diesem Moment wieder auf. Sein Umhang brannte. Flammen leckten an seiner gesamten rechten Seite empor, züngelten nach seinem Haar und seinem Gesicht, und ein wahrer Regen winziger glühender Funken stob aus dem schwelenden Fell und schien ihn zu umtanzen wie ein Schwarm unheimlicher Glühwürmchen, die in immer größerer Anzahl zum Angriff ansetzten. Auch in seinem Gewand und dem, was noch von seinem Haar und seinem Bart geblieben war, nisteten unzählige winzige rote Funken, doch der Gestank nach brennendem Haar war endgültig dem von verschmorendem Fleisch gewichen. Schreiend taumelte der Mann auf die Füße, schlug mit den Händen nach den Flammen und versuchte vergeblich, seinen mittlerweile lichterloh brennenden Umhang auszuziehen, bevor er, blind vor Angst und Schmerz, wie er sein musste, gegen die Wand prallte und abermals in die Knie brach.

Arri hatte genug gesehen. Taumelnd machte sie einen ersten Schritt und wäre um ein Haar wieder gestürzt, als sich ihr Fuß in Runas Kleid verfing. Sie riss sich mit einem spitzen Schrei los. Vielleicht war das das Schlimmste bisher überhaupt: Für einen Moment war es ihr, als versuche das tote Mädchen, nach ihr zu greifen, wie um sie doch noch festzuhalten, damit sie ihr Schicksal teilte. Runas Kopf rollte haltlos herum, und ihre leeren Augen schienen sie vorwurfsvoll anzustarren. Hinter ihr wurden die Schreie des brennenden Mannes lauter und spitzer. Der Gestank war unerträglich. Flackernder roter Lichtschein erfüllte den Stollen und verwandelte ihn in etwas, das eine schreckliche Ähnlichkeit mit dem Ort der Verdammnis hatte, den Sarn in so glühenden Schreckensfarben zu beschreiben verstand.

Endlich riss sie sich von dem furchtbaren Anblick los und stolperte weiter. Obwohl sie sich von dem brennenden Mann entfernte, schienen seine Schreie immer noch lauter und durchdringender zu werden, und sie spürte die Hitze des brennenden Umhangs selbst über die größer werdende Entfernung hinweg. Warum starb er nicht endlich? Warum starb er nicht endlich?

Mehr torkelnd als rennend hetzte sie auf das Ende des Stollens zu, fiel auf die Knie, rappelte sich wieder hoch und fiel abermals, bevor sie den Schacht und die Leiter erreichte und mit zitternden Fingern nach den groben Sprossen griff. Die Schreie hinter ihr wurden immer noch lauter, und als Arri in die Höhe zu klettern versuchte, glitten ihre Finger im ersten Moment ab, denn sie waren glitschig von ihrem eigenen Blut.

Erst beim zweiten Anlauf gelang es ihr, festen Halt zu finden und sich mühsam in die Höhe zu ziehen. Die rechteckige Öffnung am oberen Ende des Schachtes schien endlos weit entfernt; sie musste sich viel tiefer unter der Erde befinden, als sie angenommen hatte.

Hand über Hand, immer langsamer werdend und blutige Abdrücke auf den Leitersprossen hinterlassend, kletterte Arri weiter in die Höhe, auf einer Leiter, die durch einen bösen Zauber im gleichen Maße länger zu werden schien, in dem sie sie erklomm. Immer wieder glitten ihre Finger von ihrem unsicheren Halt ab, und mehr als einmal war sie fest davon überzeugt, im nächsten Moment abzustürzen und auf dem tief unter ihr liegenden Boden zerschmettert zu werden.

Das geschah nicht, aber kurz vor dem Ziel verließen sie endgültig die Kräfte, sodass sie innehalten und sich an die Sprossen klammern musste, um wieder zu Atem zu kommen. Mit klopfendem Herzen sah sie nach unten und stellte fest, dass das, was ihr wie eine schiere Endlosigkeit vorgekommen war, in Wahrheit geradezu lächerlich kurz war: kaum ein Dutzend Sprossen, die noch dazu nicht annähernd so weit auseinander lagen, wie sie gemeint hatte. Roter Feuerschein flackerte unter ihr, und sie glaubte noch immer, Schreie zu hören, weit entfernt und schrill und spitz, doch von unendlicher Qual erfüllt. Aber das konnte nicht sein. Der Mann war längst tot oder starb spätestens in diesem Augenblick.

Arri gab noch einen Moment zu, bis sie wenigstens halbwegs sicher war, die letzten beiden Sprossen überwinden zu können, dann griff sie mit zusammengebissenen Zähnen nach oben und zog sich keuchend ins Freie.