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Dennoch stemmte sie sich taumelnd in die Höhe und griff mit zitternden Fingern nach dem Riegel des nächsten Verschlages. Das darin eingesperrte Tier hämmerte mit solcher Gewalt mit den Hufen gegen das Holz, dass es Arri im ersten Moment nicht einmal gelang, den Riegel zurückzuschieben. Als er endlich beiseite glitt, sprengte das Pferd so ungestüm an ihr vorbei, dass es gegen einen Balken prallte und mit einem Schmerzensschrei zu Boden fiel. Seine wirbelnden Hufe fuhren wie tödliche Geschosse durch die Luft, sodass sich Arri wiederum mit einem fast verzweifelten Sprung in Sicherheit bringen musste, um nicht getroffen zu werden.

Irgendwie gelang es dem Tier, sich wieder in die Höhe zu stemmen und aus dem Stall zu humpeln - offensichtlich hatte es sich weder etwas gebrochen noch sich sonst wie schwer verletzt -, aber es waren immer noch drei Pferde hier drinnen, die elendiglich verbrennen würden, wenn sie sie nicht aus ihren Gefängnissen befreite. Mittlerweile leckten die ersten, noch dünnen Flämmchen durch die Ritzen in der Wand, und es roch durchdringend nach brennendem Holz; und ganz leicht auch nach verschmortem Fell und brennendem Fleisch.

Arri torkelte hustend und mit tränenden Augen auf den nächsten Verschlag zu und fühlte sich plötzlich von einer starken Hand an der Schulter gepackt und zurückgezerrt. Eine Stimme schrie etwas, das sie im ersten Moment nicht verstand, dann wurde sie herumgerissen.

»Arianrhod!«, schrie ihre Mutter. »Was, zum Teufel, tust du? Wir müssen weg!«.

Arri wollte antworten, aber plötzlich ergriff sie ein so heftiger Hustenreiz, dass sie nur ein qualvolles Würgen zustande brachte. Dennoch riss sie sich los und versuchte, ihrer Mutter mit heftigem Winken klarzumachen, was sie wollte, aber Lea war bereits bei ihrem zweiten Pferd angelangt. Sie machte sich nicht die Arbeit, das Seil zu entknoten, sondern zerschnitt es mit ihrem Schwert und zog das Tier beinahe gleichzeitig aus seinem Verschlag, und sonderbarerweise wehrte es sich nicht einmal, sondern ließ nur ein erleichtertes Schnauben hören, während Lea es rasch in Richtung Ausgang führte. »Arianrhod!«, schrie sie. »Komm!«

»Aber da sind doch noch...«, begann Arri.

»Komm!«, schrie Lea erneut.

Arri starrte sie fassungslos an. Die verbliebenen Pferde schrieen jetzt vor Angst, aber auch vor Schmerz, und das Dröhnen, mit dem sie ihre Hufe gegen die Bretterwände schlugen oder sich mit den Leibern dagegenwarfen, klang wie Hammerschläge. Sie konnten die Tiere doch nicht einfach verbrennen lassen!

Doch offensichtlich hatte ihre Mutter genau das vor. Sie war unter der Tür stehen geblieben und winkte ihr mit der freien Hand zu, aber es war jetzt keine Aufforderung mehr, sondern ein eindeutiger Befehl, dem sie sich nicht mehr zu widersetzen wagte.

»Aber wir... wir können die Pferde doch nicht einfach... verbrennen lassen«, murmelte sie entsetzt. Hinter ihr schrieen die Tiere vor Qual und Todesangst, wie um ihre Worte zu unterstreichen, aber ihre Mutter war schon weiter, und Arri machte sich mit einem Gefühl unendlicher Schuld daran, ihr zu folgen.

Erst, als sie wieder ins Freie stolperte, wurde ihr bewusst, wie heiß es drinnen im Stall bereits geworden war und wie schlecht und stickig die Luft. Während sie ihrer Mutter mit hastigen kleinen Stolperschritten folgte, atmete sie gierig ein, und die Kälte und die frische Luft klärten auch ihre Gedanken - obwohl sie nicht einmal sicher war, ob sie das wirklich wollte. Hatte sie der Anblick des Hauses vorhin erschreckt, so erschien er ihr nun durch und durch entsetzlich. Loderndes rotes und gelbes Licht drang aus den Fenstern hervor, ein Chor gellender Schreie und schwarzer Qualm, deren bloßer Anblick schon fast ausreichte, um ihr die Kehle zuzuschnüren. Ihre Mutter hatte das zweite Pferd mittlerweile zum Wagen geführt und begann das Tier mit hektischen Bewegungen anzuschirren. Das Pferd wehrte sich und versuchte nach ihr zu beißen, aber Lea brach seinen Widerstand mit einem harten, blitzschnellen Schlag auf die empfindlichen Nüstern und bedeutete Arri gleich darauf mit einem Wink, sich schneller zu bewegen.

»Schnell!«, schrie sie. »Hilf mir!«

Arri gehorchte einfach nur noch, ohne zu denken. Sie kam sich vor wie in einem Albtraum gefangen, der kein Ende nehmen wollte, sondern nur immer noch schlimmer und schlimmer wurde, je verzweifelter sie versuchte, daraus zu erwachen. Taumelnd kam sie neben ihrer Mutter zum Stehen und griff nach den groben Stricken, mit denen Lea das sich immer noch heftig sträubende Tier anzuschirren versuchte. In ihrer Hast und mit ihren blutigen, halb tauben Fingern stellte sie sich so ungeschickt an, dass sie sie vermutlich mehr behinderte, als dass sie ihr half, aber Lea sagte nichts, sondern überzeugte sich mit einer fahrigen Bewegung davon, dass das Geschirr fest saß, dann schwang sie sich mit einer einzigen, kraftvollen Bewegung auf den Kutschbock, griff mit der linken Hand nach dem Zügel und versuchte mit der anderen, Arri zu sich heraufzuzerren. Es gelang ihr nicht, weil sie sich instinktiv sträubte, und auch Leas Kräfte schienen mittlerweile erschöpft. Arri fiel erst jetzt auf, wie mitgenommen ihre Mutter wirkte. Ihr Gesicht war rußverschmiert, und auch ihr Umhang und ihr Kleid wiesen überall Brand- und Rußflecken auf; vielleicht war es auch das Blut des Mannes, den sie erschlagen hatte.

»Verdammt!«, herrschte Lea sie an. »Komm endlich her!«

Ganz im Gegenteil versuchte Arri nur mit noch größerer Kraft, sich loszureißen. Sie konnte nicht sagen, ob ihre Panik allmählich schwand oder nur eine andere Qualität annahm, aber plötzlich wurde ihr klar, was ihre Mutter vorhatte, und der Gedanke war so entsetzlich und so widersinnig zugleich, dass sich alles in ihr einfach dagegen sträubte, ihn auch nur zu denken.

Immer verzweifelter riss und zerrte sie und warf sich zurück, aber Lea hielt sie mühelos fest und zog sie langsam, aber auch ebenso unaufhaltsam zu sich herauf auf den Wagen. Die beiden Tiere scheuten und stemmten sich gegen ihr Geschirr, und der ganze Wagen begann zu beben und sich von einer Seite auf die andere zu neigen wie ein vollkommen überladenes Boot im Sturm.

»Arianrhod!«, schrie ihre Mutter. »Hör damit auf, oder ich muss dich schlagen!«

Es war nicht diese Drohung, die Arri dazu brachte, ihren Widerstand einzustellen, sondern der viel schlimmere Unterton in der Stimme ihrer Mutter; da war plötzlich eine Härte und Unerbittlichkeit, die sie trotz allem in dieser Form noch nie gehört hatte. Und dasselbe spiegelte sich in ihrem Blick wider und ließ Arri nichts anderes als pure Angst vor ihrer Mutter empfinden. Sie machte noch immer keine Anstalten, auf den Wagen hinaufzusteigen, ließ sich nun aber widerstandslos von ihr auf die schmale Bank heraufzerren, und kaum hatte sie es getan, da griff ihre Mutter mit beiden Händen nach den Zügeln und ließ die Stricke wie eine Peitsche knallen.

Die Pferde wieherten unruhig und setzten sich unverzüglich in Bewegung. Doch das schwerfällige Gefährt rollte so langsam los, als kämpfte es gegen einen unsichtbaren, aber geradezu unüberwindlichen Widerstand. Noch einmal näherten sie sich dem Haus, denn der Wagen war von seiner Bauweise her nicht dafür geeignet, auf der Stelle zu wenden, und aus dem großen, von mittlerweile fast weißer Glut erfüllten Fenster, an dem sie entlangfuhren, drang ein Schwall erstickender Hitze, Qualm, Schreie, hektischer Lärm und ein furchtbares, helles Zischen und Prasseln, welches sich Arri nicht erklären konnte, das ihr Entsetzen aber weiter anstachelte. Dort drinnen starben die Menschen, die nicht mehr rechtzeitig vor der Wucht des Feuers und dem erstickenden Rauch hatten fliehen können, das spürte sie.

»Aber... aber wir können sie doch nicht...«

»Wir können nichts mehr für sie tun«, fiel ihr Lea ins Wort. Sie bückte sich, als ein Funkenschauer aus dem Fenster herausschlug und drohte, ihr das Haar und die Schultern zu versengen, und ließ dann die Zügel abermals wie eine Peitsche knallen. Die Pferde versuchten schneller zu gehen, und für einen Moment hatte Arri das schreckliche Gefühl, dass sich der ganze Wagen so weit zur Seite neigte, als wolle er umstürzen. Dann fanden die kräftigen Hufe der Tiere Halt, und das schwerfällige Gefährt setzte sich schaukelnd, aber rascher werdend, in Bewegung und entfernte sich von dem Haus. Arri drehte sich nun auf der Sitzbank um und sah zurück; mittlerweile drang die unheimliche rote Glut nicht mehr nur aus den Fenstern oder der weit offen stehenden Tür. Auch durch die Ritzen der Wände und des Daches glühte es überall drohend und heller werdend, und Arri konnte die brodelnden schwarzen Qualmwolken, die zum Himmel stiegen, selbst in der fast Sternenlosen Nacht erkennen. Die gellenden Schmerzensschreie schienen lauter zu werden, je weiter sie sich entfernten, und nun glaubte Arri auch eine Anzahl von schattenhaften Gestalten zu erkennen, die aus dem Haus stürmten. Mindestens eine von ihnen brannte.