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Ärgerlich runzelte sie die Stirn.

»Ich verstehe nicht .«

Ross unterbrach sie, indem er mit dem Kopf auf die beiden sich nähernden Boote wies.

»Ich glaube nicht, daß der Besuch mir gilt, Schwester.«

Fidelma zauderte und verstand noch immer nicht.

»In einem der Boote sitzt der bo-aire der Festung, in dem anderen Äbtissin Draigen.«

Fidelma staunte und hob wortlos die Augenbrauen. Dann widmete sie ihre Aufmerksamkeit der Besatzung der herannahenden Boote. Eines wurde von zwei Nonnen gerudert, während eine dritte kerzengerade im Heck saß, eine hochgewachsene Frau mit einem schönen Gesicht, größer als Fidelma, in ein Gewand aus Fuchspelz gehüllt. In dem anderen Boot, das von der Festung her auf sie zuschoß, legten sich zwei stämmige Krieger in die Riemen, und im Heck saß ein großer, schwarzhaariger Mann. Er trug einen Umhang aus Dachspelz und eine silberne Amtskette, die seine gehobene Stellung deutlich kennzeichnete. Immer wieder blickte er besorgt zu dem anderen Boot hinüber und trieb seine Männer mit bellenden Befehlen, die selbst auf diese Entfernung zu verstehen waren, zu größerer Eile an, als ginge es ihm darum, Ross’ barc als erster zu erreichen.

»Sie sehen aus, als veranstalteten sie ein Wettrennen«, bemerkte Fidelma trocken.

Ross antwortete ohne jede Spur von Humor.

»Bei dem Wettrennen, wie Ihr es nennt, will jeder von beiden als erster bei Euch eintreffen. Was auch immer dahintersteckt, ich glaube nicht, daß sie einander freundschaftlich verbunden sind.«

Es war das Boot der Abtei, das die barc als erstes erreichte, und die attraktive Nonne kletterte mit erstaunlicher Behendigkeit an Bord und betrat das Schiff gerade, als das zweite Boot längsseits anlegte und der große Mann mit dem schwarzen Haarschopf hinter ihr aufs Deck sprang.

Die Frau, die Ross als die Äbtissin der Gemeinschaft vorgestellt hatte, war von imposanter Größe. Ihr Umhang öffnete sich und enthüllte Gewänder aus grobem Tuch, doch ihr kunstvoll gearbeitetes Kruzifix - ein prachtvolles Exemplar aus Rotgold, mit Halbedelsteinen reich verziert - offenbarte, daß sie noch nicht vollends entschlossen war, dem Reichtum zu entsagen und in Armut und Gehorsam zu leben. Sie war Mitte dreißig. Ihr Gesicht mit den roten Lippen und den hohen Wangenknochen wirkte befehlsgewohnt. Es strahlte eine merkwürdige Mischung aus Schönheit und Ungeschliffenheit aus. Ihre Augen waren dunkel. In ihnen blitzte ein verborgenes Feuer, ein kaum verhohlener Zorn, als sie über die Schulter zu dem schwarzbärtigen Mann blickte, der hinter ihr hereilte.

Sie erspähte Ross sofort. Es war unverkennbar, daß sie ihm schon begegnet war. Fidelma wußte, daß Ross häufig Handelsreisen entlang der Küste von Muman unternahm und offensichtlich mit der Gemeinschaft hier bereits geschäftlich zu tun gehabt hatte.

»Ah, Ross, ich habe Euer Schiff erkannt, sobald es in die Meerenge einfuhr«, begrüßte sie ihn ohne eine Spur von Herzlichkeit in der Stimme. »Ich nehme an, Ihr kommt direkt von Abt Broce aus Ros Ailithir? Ich hoffe, Ihr habt den Brehon mitgebracht, um den ich ihn ersuchte?«

Bevor Ross antworten konnte, gesellte sich der große, schwarzhaarige Häuptling zu ihr. Er schnaufte ein wenig vor Anstrengung. Er war Mitte Vierzig, ein gutaussehender Mann mit gefälligen Gesichtszügen, dessen Augen den blitzenden dunklen Augen der Äbtissin verblüffend ähnelten. Fidelma bemerkte sein liebenswürdiges, aber auch besorgtes Lächeln, als er auf Ross zutrat.

»Wo ist der Brehon? Wo ist er, Ross? Ich muß ihn unbedingt zuerst sprechen.«

Die Äbtissin drehte sich schnell und mit unverhohlener Feindseligkeit zu ihrem unwillkommenen Mitstreiter um.

»Ihr habt hier keinerlei Befugnisse, Adnar«, fauchte sie und bestätigte damit Ross’ Annahme, daß es sich bei dem Mann um den Friedensrichter des Bezirks handelte.

Adnar errötete vor Wut.

»Ich habe jede Befugnis, hier zu sein. Bin ich nicht bo-aire in diesem Bezirk? Mein Wort ...«

»Euer Wort wird von Gulban, dem Häuptling der Beara, diktiert«, höhnte die Frau. »Wenn er nichts sagt, habt Ihr auch nichts zu sagen. Ich habe Abt Broce von Ros Ailithir gebeten, einen Brehon zu schik-ken, der ausschließlich dem König von Cashel gegenüber verantwortlich ist, dem auch Euer Oberhaupt, Gulban, Rechenschaft ablegen muß.« Sie wandte sich wieder an Ross. »Wo ist er, Ross? Wo ist der Brehon, den Abt Broce geschickt hat?«

Ross warf einen Blick zu Fidelma hinüber und hob entschuldigend die Schultern, als wolle er sich dadurch von jeglicher Verantwortung für das Verhalten der Besucher freisprechen.

Seine Geste lenkte die Aufmerksamkeit der Neuankömmlinge auf Fidelma. Die streng dreinblickende Äbtissin schien sie zum ersten Mal wahrzunehmen und runzelte die Stirn.

»Und wer seid Ihr, Schwester?« fauchte sie gebieterisch. »Seid Ihr gekommen, um unserer Gemeinschaft beizutreten?«

Fidelma gelang ein mattes Lächeln.

»Ich glaube, ich bin die, nach der Ihr fragtet, Mutter Oberin«, erwiderte sie gelassen. »Abt Broce von Ros Ailithir hat Euerm Gesuch entsprochen und mich hierhergeschickt.«

Ein Ausdruck ungläubigen Staunens huschte über das Gesicht der Äbtissin.

Ein heiseres Lachen ließ sie alle herumfahren. Ad-nar schüttelte sich vor Heiterkeit.

»Ihr bittet um einen Brehon, und Broce schickt Euch diese halbe Portion! Ha! Euer ehrenwerter Abt hält wohl doch nicht so große Stücke auf Euch!«

Die Äbtissin bemühte sich nach Kräften, den Zorn zu beherrschen, der in ihren Augen funkelte, und starrte Fidelma mit zusammengepreßten Lippen an.

»Ist das so etwas wie eine Belustigung für Abt Broce?« fragte sie betont kühl. »Will er mich auf diese Art beleidigen?«

Fidelma schüttelte müde den Kopf.

»Ich glaube nicht, daß mein Cousin« - hier legte Fidelma eine kurze Pause ein, um dadurch das Wort hervorzuheben -, »ich glaube nicht, daß mein Cousin, der Abt, sich durch derartiges Benehmen zu belustigen pflegt.«

Die Miene der Äbtissin wollte sich gerade zu einem höhnischen Grinsen verziehen, doch Ross, der spürte, daß er als Kapitän des Schiffes nun eingreifen mußte, trat schnell hinzu.

»Gestattet mir, Mutter Oberin, Euch Schwester Fidelma vorzustellen, eine Advokatin der Gerichtsbarkeit mit dem Rang einer anruth. «

Die Augen der Äbtissin weiteten sich unmerklich, während Adnars Lachen abrupt verstummte. Der Rang einer anruth war immerhin die zweithöchste Qualifikation, die die Universitäten und kirchlichen Hochschulen Irlands zu verleihen hatten.

Es entstand eine Pause, bevor die Äbtissin das Wort ergriff: »Wie, sagtet Ihr, ist Euer Name?«

»Ich bin Fidelma, augenblicklich in der Gemeinschaft von Kildare.«

Die funkelnden Augen der Äbtissin zogen sich erneut zusammen.

»Von Kildare? Kildare liegt im Königreich von Laigin. Dennoch behauptet Ihr, mit Abt Broce von Ros Ailithir verwandt zu sein. Was hat das zu bedeuten?«

Fidelma kostete die Situation genüßlich aus.

»Mein Bruder ist Colgu, der König von Cashel.« Fidelma konnte nicht umhin, einen flüchtigen Blick in Richtung Adnar zu werfen, um sich seine Reaktion nicht entgehen zu lassen. Sie wurde prompt belohnt: mit offenem Mund und glotzenden Augen sah er aus wie ein Fisch, der gerade aus dem Wasser gezogen wird. »Ich bin in erster Linie eine Dienerin des Glaubens, und der reicht bekanntlich weit über die Grenzen irdischer Königreiche hinaus.«

Die Äbtissin stieß einen tiefen Seufzer aus, bevor sie Fidelma die Hand reichte. Ihre Herrschsucht schien verraucht, und auf ihrer Miene zeigte sich ein Ausdruck reumütiger Abbitte. Ob er echt war oder nicht, konnte Fidelma nicht beurteilen.

»Laßt mich Euch in unserer Gemeinschaft willkommen heißen, Schwester Fidelma. Ich bin Äbtissin Draigen, die Vorsteherin des Klosters Der Lachs aus den Drei Quellen.«