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»Morgen früh werde ich mich bereit erklären, der Spotttölpel zu sein«, vertraue ich ihr an.

»Weil du es willst oder weil du es musst?«, fragt sie.

Ich lache kurz auf. »Beides, glaube ich. Nein, ich will es. Ich muss, wenn es den Rebellen hilft, Präsident Snow zu besiegen.« Ich drücke die Perle in meiner Faust noch fester. »Wenn nur er nicht wäre … Peeta. Ich habe Angst, dass die Rebellen ihn hinrichten, wenn sie gewinnen, weil sie ihn für einen Verräter halten.«

Prim denkt darüber nach. »Ich glaube, dir ist nicht klar, wie wichtig du für die Sache bist, Katniss. Wichtige Leute bekommen gewöhnlich, was sie wollen. Wenn du willst, dass Peeta von den Rebellen verschont wird, dann kriegst du das auch hin.«

Es stimmt wohl, dass ich wichtig bin. Sie haben eine Menge Scherereien in Kauf genommen, um mich zu retten. Sie haben mir sogar erlaubt, noch mal Distrikt 12 zu besuchen. »Du meinst … ich könnte verlangen, dass sie Peeta Straffreiheit zusichern? Und dass ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, als Ja zu sagen?«

»Ich meine, du könntest so ziemlich alles verlangen, und ihnen würde nichts anderes übrig bleiben, als Ja zu sagen.« Prim runzelt die Stirn. »Die Frage ist nur, wie du sicher sein kannst, dass sie Wort halten.«

All die Lügen fallen mir ein, die Haymitch Peeta und mir aufgetischt hat, damit wir taten, was er wollte. Was sollte die Rebellen davon abhalten, sich einfach nicht an den Deal zu halten? Ein mündlich hinter verschlossenen Türen gegebenes Versprechen, selbst eine schriftliche Erklärung, könnte sich nach Kriegsende allzu leicht in nichts auflösen, ihre Existenz oder Gültigkeit geleugnet werden. Zeugen, die dem Kommandostab angehören, bringen auch nichts. Im Gegenteil, vermutlich wären sie diejenigen, die Peetas Todesurteil unterschreiben. Ich brauche viel mehr Zeugen. So viele, wie ich kriegen kann.

»Es muss öffentlich passieren«, sage ich. Butterblume zuckt mit dem Schwanz, was ich als Zustimmung nehme. »Ich werde dafür sorgen, dass Coin es vor der gesamten Bevölkerung von Distrikt 13 verkündet.«

Prim lächelt. »Das ist gut. Eine Garantie ist es zwar immer noch nicht, aber so wird es wenigstens viel schwieriger für sie werden, von ihrem Versprechen abzurücken.«

Ich bin erleichtert. Erleichtert, weil wir die Lösung gefunden haben. »Ich sollte dich öfter mal aufwecken, kleine Ente.«

»Von mir aus jederzeit«, sagt Prim. Sie gibt mir einen Kuss. »Versuch jetzt wieder zu schlafen, ja?« Ich folge ihrem Rat.

Am Morgen sehe ich, dass der Programmpunkt 7.00 Uhr - Frühstück direkt gefolgt wird von 7.30 Uhr - Kommando, was mir sehr entgegenkommt. Ich kann die Kugel auch jetzt gleich ins Rollen bringen. Im Speisesaal halte ich meinen Tagesplan, auf dem irgendeine ID-Nummer steht, vor einen Sensor. Ich ziehe mein Tablett über die Metallablage vor den Behältern mit dem Essen und sehe, dass es mehr oder weniger das Gleiche zum Frühstück gibt wie immer - eine Schale Getreidebrei, eine Tasse Milch und eine kleine Portion Obst oder Gemüse. Heute zur Abwechslung mal Rübenmus. Alle Speisen stammen von den unterirdischen Farmen des Distrikts. Ich setze mich an den Tisch, der den Everdeens, den Hawthornes und einigen weiteren Flüchtlingen zugewiesen wurde, und schaufele das Frühstück in mich rein. Ich hätte gern einen Nachschlag, aber einen Nachschlag gibt es nie. Sie haben hier ein rein technisches Verhältnis zum Essen. Man bekommt gerade so viele Kalorien verabreicht, dass man bis zur nächsten Mahlzeit durchhält, nicht mehr und nicht weniger. Die Ration hängt ab von Alter, Größe, Körperbau, Gesundheit sowie dem Arbeitspensum, das der Tagesplan verlangt. Wir aus Distrikt 12 bekommen sowieso schon etwas größere Portionen als die Einheimischen, damit wir Gewicht zulegen. Magere Soldaten machen zu schnell schlapp, schätze ich. Aber es funktioniert. Schon nach einem Monat sehen wir deutlich gesünder aus, besonders die Kinder.

Gale stellt sein Tablett neben mir ab. Ich versuche, nicht allzu mitleiderregend auf seine Rüben zu starren, denn ich hätte wirklich gern mehr und er würde mir sein Essen jederzeit überlassen. Obwohl ich mich also hingebungsvoll dem Falten meiner Serviette widme, schwappt ein Löffel voll Rübenmus in meine Schale.

»Du musst damit aufhören«, sage ich, nicht recht überzeugend, da ich das Zeug bereits in mich reinlöffele. »Echt. Wahrscheinlich ist das sogar verboten.« Was das Essen angeht, sind die Regeln hier sehr streng. Man darf zum Beispiel nicht einfach etwas aus dem Speisesaal mitnehmen, um es für später aufzubewahren. Wahrscheinlich haben die Leute in früheren Zeiten Lebensmittel gehortet. Gale und mir, die wir unsere Familien über Jahre mit Nahrung versorgt haben, passt das natürlich gar nicht. Wir sind daran gewöhnt, hungrig zu sein, aber nicht daran, dass man uns sagt, wie wir mit unseren Vorräten umzugehen haben. In gewisser Weise übt Distrikt 13 noch mehr Kontrolle aus als das Kapitol.

»Was hab ich schon zu befürchten? Meine Mailmanschette haben sie ja schon«, erwidert Gale.

Während ich meine Schale auskratze, kommt mir eine Idee. »Hey, vielleicht sollte ich das ja zur Bedingung machen, damit ich den Spotttölpel spiele!«

»Dass ich dich mit Rüben füttern darf?«, fragt er.

»Nein, dass wir jagen dürfen.« Jetzt ist sein Interesse geweckt. »Wir müssten zwar alles in der Küche abliefern, aber immerhin könnten wir …« Ich brauche den Satz nicht zu beenden, er weiß es sowieso. Wir könnten über Tage sein. Draußen im Wald. Wir könnten wieder wir selbst sein.

»Gute Idee«, sagt er. »Und jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt dafür. Du könntest das Unmögliche verlangen und sie müssten es irgendwie beschaffen.«

Er kann nicht wissen, dass ich schon das Unmögliche verlange, indem ich fordere, dass sie Peeta verschonen. Bevor ich mich entscheiden kann, ob ich es ihm sage, klingelt es und die Essensschicht ist zu Ende. Die Vorstellung, Coin allein gegenüberzutreten, macht mich nervös. »Was sagt dein Plan?«

Gale schaut auf seinen Unterarm. »Unterricht in Atomargeschichte. Wo man übrigens deine Abwesenheit bemerkt hat.«

»Ich muss in die Kommandozentrale. Kommst du mit?«, frage ich.

»Ist gut. Aber nach der Szene gestern werfen sie mich vielleicht gleich wieder raus.« Während wir unsere Tabletts zurückgeben, sagt er: »Hör mal, Butterblume setzt du am besten auch noch auf die Liste deiner Forderungen. Ich glaube nicht, dass die hier Sinn für nutzlose Haustiere haben.«

»Ach, die finden schon einen Job für ihn. Und verpassen ihm dann jeden Morgen ein Tattoo auf seine Pfote«, erwidere ich. Aber ich nehme mir vor, ihn ebenfalls auf die Liste zu setzen, Prim zuliebe.

Als wir in die Kommandozentrale kommen, sind Coin, Plutarch und die ganze Truppe schon da. Bei Gales Anblick runzeln einige die Stirn, aber niemand setzt ihn vor die Tür. Die Liste der Bedingungen, die ich im Geist immer wieder aufsage, ist völlig durcheinandergeraten, deshalb lasse ich mir erst mal ein Blatt Papier und einen Stift geben. Dass ich so offensichtlich Interesse am Ablauf zeige - zum ersten Mal, seit ich hier bin -, sorgt für Verwunderung. Blicke werden gewechselt. Wahrscheinlich hatten sie eine ganz besondere Standpauke für mich vorbereitet. Nun aber reicht Coin persönlich mir das Gewünschte, und alle warten schweigend, während ich mich an den Tisch setze und meine Liste hinkritzele. Butterblume. Jagen. Peetas Straffreiheit. Öffentlich verkünden.

Das hier ist vermutlich meine einzige Chance zu verhandeln. Also, denk nach. Was willst du noch? Ich spüre ihn in meinem Rücken. Gale, schreibe ich auf die Liste. Ich glaube nicht, dass ich es ohne ihn schaffen werde.

Ich bekomme Kopfschmerzen, meine Gedanken verheddern sich. Ich schließe die Augen und fange an, still herunterzubeten.

Ich heiße Katniss Everdeen. Ich bin siebzehn Jahre alt. Meine Heimat ist Distrikt 12. Ich war in den Hunger spielen. Ich bin geflohen. Das Kapitol hasst mich. Peeta wurde gefangen genommen. Er lebt. Er ist ein Verräter, aber er lebt. Ich muss ihn retten …