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»Keinen Laut, oder du bist tot«, wisperte Tirian in sein Ohr. »Sag mir, wo das Einhorn ist, und du bleibst am Leben.«

»Hi – hinter dem Stall, Euer Gnaden«, stammelte der Unglückliche.

»Gut, steh auf und führ mich zu ihm.«

Während der Mann aufstand, blieb die Dolchspitze an seinem Hals. Sie glitt nur herum, kalt und kitzlig, als Tirian hinter den Wachtposten trat und sie an einer geeigneten Stelle unter dem Ohr ansetzte. Schlotternd vor Angst lief der Mann zur Rückseite des Stalles.

Obwohl es dunkel war, erkannte Tirian sofort die weiße Gestalt: Kleinod, das Einhorn. »Pst!« sagte er. »Nein, wiehere nicht! Ja, Kleinod, ich bin es. Wie haben sie dich angebunden?«

»An allen vier Füßen und mit einem Zügel im Ring an der Stallwand«, kam Kleinods Stimme.

»Stell dich hierher, Wache«, befahl Tirian, »mit dem Rücken zur Wand. So. Nun, Kleinod, setz dem Kalormenen die Spitze deines Horns auf die Brust.«

»Gern, Majestät«, sagte Kleinod.

»Wenn er sich bewegt, stich ihm ins Herz!« Dann zerschnitt Tirian in wenigen Sekunden die Stricke. Mit den Überresten fesselte er den Wachtposten an Händen und Füßen. Seinen geöffneten Mund stopfte er voll Gras. Vom Scheitel bis zum Kinn band er den Mann fest, so daß er keinen Laut mehr von sich geben konnte. Dann setzte er ihn an die Wand.

»Ich bin etwas unhöflich zu dir gewesen, tapferer Krieger«, sagte Tirian. »Aber das war auch nötig. Wenn wir uns wieder treffen sollten, werde ich dich vielleicht etwas besser behandeln. Nun, Kleinod, laß uns gehen, aber leise.«

Er legte seinen linken Arm um den Hals des Tieres, beugte sich vor und küßte es auf die Nase, und beide freuten sich. So still wie möglich gingen sie zu dem Platz zurück, wo Jutta und Eugen warteten. Unter den Bäumen dort war es schon dunkler, und Tirian rannte fast gegen Eugen, bevor er ihn überhaupt sah.

»Alles in Ordnung«, flüsterte Tirian, »ganze Arbeit in einer guten Nacht. Jetzt nichts wie heim.«

Sie wandten sich und waren schon ein paar Schritte gegangen, als Eugen fragte: »Wo bist du denn, Jutta?« Keine Antwort. »Ist sie nicht an deiner Seite, König?«

»Was?« rief Tirian. »Ich dachte, sie ginge mit dir.«

Es war ein schrecklicher Augenblick. Sie wagten nicht zu rufen, aber sie hauchten Juttas Namen in den lautesten Flüstertönen, die sie hervorbringen konnten. Es kam keine Antwort.

»Ist sie denn fortgegangen, während ich weg war?« fragte Tirian.

»Ich habe nicht gehört und nicht gesehen, daß sie wegging«, erklärte Eugen. »Aber möglich wäre es, denn sie kann so leise sein wie eine Katze, das hast du ja schon selbst bemerkt.«

In diesem Augenblick waren von weither Trommelschläge zu hören. Kleinod bewegte seine Ohren vorwärts. »Zwerge«, sagte er kurz.

»Wahrscheinlich verräterische Zwerge, also Feinde«, murmelte Tirian.

»Und jetzt nähert sich jemand auf Hufen«, stellte Kleinod fest.

Die beiden Menschen und das Einhorn standen mäuschenstill. Es gab so vieles, worüber man sich Sorgen machen mußte, deshalb wußten sie nicht recht, was sie tun sollten. Das Geräusch der Hufe kam ständig näher. Plötzlich flüsterte eine Stimme ganz nah bei ihnen:

»Hallo! Seid ihr alle da?« Das war Juttas Stimme.

»Wo zum Kuckuck bist du denn gewesen?« fragte Eugen wütend.

»Im Stall«, japste Jutta. Aber das war bei ihr so eine Art von Luftschnappen, wenn man mit unterdrücktem Lachen kämpfen muß.

»So«, brummte Eugen, »das findest du noch spaßig, was? Na, ich kann dir sagen…«

»Hast du Kleinod abgeholt, Majestät?« fragte Jutta.

»Ja, hier ist er doch. Aber was bedeutet das fremde Tier an deiner Seite?«

»Er ist es«, antwortete Jutta. »Aber laßt uns schnell heimgehen, bevor irgend jemand aufwacht.« Dann mußte sie wieder lachen.

Die anderen gehorchten auf der Stelle, denn sie hatten schon lange genug an diesem gefährlichen Ort gezögert, und die Trommeln der Zwerge schienen immer näher zu kommen. Kaum waren sie einige Minuten lang nach Süden gewandert, da fragte Eugen:

»Er? Was meinst du damit?«

»Den falschen Aslan.«

»Was?« rief Tirian. »Wo bist du gewesen? Was hast du getan?«

»Zu Befehl, Majestät«, versetzte Jutta. »Ich sah, daß du die Wache aus dem Weg räumen wolltest. Da dachte ich, es lohne sich, einen Blick in den Stall zu werfen. Ich wollte wissen, was darin steckte. So kroch ich denn hinüber. Es war kinderleicht, den Riegel aufzuschieben. Natürlich war es drinnen pechschwarz, und es roch wie in jedem anderen Stall. Ich machte Licht, und – ihr werdet es kaum glauben – nichts weiter war darin als dieser alte Esel, eingewickelt in ein Stück Löwenhaut. So zog ich mein Messer und sagte ihm, er müßte mitkommen. Eigentlich hätte ich ihn mit dem Messer überhaupt nicht zu bedrohen brauchen. Er hatte den Stall gründlich satt und war gleich bereit mitzukommen, nicht wahr, Grauohr?«

»Du lieber Himmel!« sagte Eugen. »Noch vor ein paar Minuten war ich sehr böse auf dich. Ich dachte, du hättest dich ohne uns wegschleichen wollen. Aber nun muß ich doch zugeben: Was du getan hast, war großartig. Wenn Jutta ein Junge wäre, müßte man sie zum Ritter schlagen, nicht wahr, Majestät?«

»Wenn sie ein Junge wäre«, erwiderte Tirian, »müßte man sie bestrafen wegen Ungehorsams und Mißachtung von Befehlen.«

Im Dunkeln konnte niemand erkennen, ob er das mit einem Stirnrunzeln oder mit einem Lächeln sagte. In der nächsten Minute aber hörte man ein Geräusch von kratzendem Metall.

»Was tust du da, Majestät?« fragte Kleinod scharf.

»Ich ziehe mein Schwert, um dem verdammten Esel den Kopf abzuschlagen«, antwortete Tirian mit schrecklicher Stimme. »Steh still, Mädchen.«

»Oh, tu das nicht, bitte, tu das nicht!« flehte Jutta. »Wirklich, das darfst du nicht. Es war nicht seine Schuld. Es war allein der Affe. Der Esel wußte es nicht besser. Er ist sehr traurig. Übrigens, ein hübscher Esel. Er heißt Grauohr. Schlag nicht, denn ich habe meine Arme um seinen Hals gelegt.«

»Jutta«, sagte Tirian, »du bist die tapferste und weiseste Person von all meinen Leuten, aber auch die naseweiseste und ungehorsamste. Gut, der Esel bleibt am Leben. Was sagst du dazu, Esel?«

»Ich, Majestät?« kam des Esels Stimme. »Es tut mir von Herzen leid, daß ich unrecht getan habe. Der Affe sagte, Aslan will, daß ich mich so verkleide. Ich glaubte, Kniff müßte das genau wissen. Ich bin nicht so klug wie er. Ich tat nur, was mir befohlen wurde. Es war gewiß kein Spaß für mich, in dem Stall zu leben. Ich weiß nicht einmal, was draußen alles geschehen ist. Er ließ mich nie heraus, nur nachts ein oder zwei Minuten. Einige Tage lang vergaßen sie auch, mir Wasser zu geben.«

»Majestät«, sagte Kleinod, »die Zwerge kommen immer näher. Wollen wir sie treffen?«

Tirian dachte einen Augenblick nach und lachte plötzlich laut auf. Dann sprach er, diesmal nicht flüsternd: »Bei der Mähne des Löwen, mir geht allmählich ein Licht auf. Die Zwerge treffen? Aber natürlich. Wir wollen jetzt jeden treffen. Wir müssen ihnen diesen Esel zeigen. Sie sollen sehen, wovor sie sich gefürchtet haben und wem sie gehorchten. Sie sollen den nichtswürdigen Anschlag des Affen in seiner ganzen Wahrheit erkennen. Sein Geheimnis ist gelüftet. Das Blatt hat sich gewendet. Morgen werden wir den Affen an den höchsten Baum in Narnia hängen. Kein Flüstern mehr, kein Verstecken und Verkleiden. Wo sind diese ehrlichen Zwerge? Wir haben gute Nachricht für sie.«

Wenn man stundenlang geflüstert hat, wirkt der bloße Klang einer lauten Stimme wunderbar aufregend. Die ganze Gesellschaft fing an zu schwatzen und zu lachen. Sogar Grauohr hob seinen Kopf und ließ ein lautes iah – iah vernehmen. Das hatte der Affe ihm tagelang nicht erlaubt. Dann setzten sie sich in der Richtung der lärmenden Trommeln in Bewegung.

Das starke Trommeln schwoll ständig an, und bald konnten sie auch Fackelschein sehen. Sie kamen auf einer holperigen Straße heraus (anderswo wird so etwas keineswegs Straße genannt), die durch das Laternendickicht führte. Auf dieser Straße schritten etwa dreißig Zwerge rüstig voran, alle mit kleinen Spaten und Beilen über den Schultern. Zwei bewaffnete Kalormenen führten die Gruppe, und zwei andere bildeten die Nachhut.