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Tatsächlich befand sich das Heerlager von Ar an derselben Stelle wie das Lager von Harfax zweihundert Jahre zuvor. So etwas ist kein Zufall. Es hat mit dem Gelände, dem Wasser, den Verteidigungsmöglichkeiten und dergleichen zu tun. Das Territorium, sein Gefälle, seine Quellen, seine Flüsse, ihre Breite und Tiefe, ihre Strömungsgeschwindigkeit, ihre Furten, das Klima, die Jahreszeit, die Sichtweiten, der Niederschlag, das alles bestimmt das vierdimensionale Brett, auf dem das Spiel des Krieges stattfindet. Es ist kein Wunder, daß gute Soldaten oftmals scharfsinnige Historiker sind, die eingehend Karten und Feldzüge studieren. Gewisse Routen, Situationen und Jahreszeiten sind optimal für bestimmte Zwecke, während andere es wiederum nicht sind und sich sogar als verhängnisvoll erweisen können. So wurden zum Beispiel auf Gor gewisse Pässe immer wieder benutzt. Sie sind einfach die beste Verbindung zwischen wichtigen Punkten. Hier finden sich die Inschriften oder Zeichen Dutzender Heere, die im Verlauf von Jahrhunderten – manche sprechen sogar von dreitausend Jahren – dort eingeritzt wurden.

Ich hielt mich seit fünf Tagen in dieser Gegend auf und hatte ein kleines, getarntes Lager aufgeschlagen, von dem aus ich die Straße überblicken konnte. Am Morgen nach meinem kleinen Zusammenstoß mit dem gefürchteten Borton in dem Paga-Ausschank hatte ich einer Suchmannschaft freiwillig meine Hilfe angeboten und war auch willkommen geheißen worden; man hatte sie zusammengestellt, um in südlicher Richtung nach dem ›Spion‹ und ›Dieb‹ zu suchen. Wie ich erfreulicherweise vermelden kann, blieben sie erfolglos. Außer mir setzte sich die Gruppe aus fünf Männern zusammen, Söldnern, die von einem cosischen Berufssoldaten angeführt wurden. Sie hatten mich erfreut bei sich aufgenommen, da es schwierig war, Freiwillige für die Suche im Süden zu finden, dort, wo angeblich das Heer von Ar stand. Ich hatte erklärt, mich ihnen gern anzuschließen, vor allem, da mich meine Geschäfte in diese Richtung führten. Des weiteren gestand ich ihnen, wie erfreut ich war, zumindest eine Zeitlang von ihrem Schutz profitieren zu können. Das entsprach mehr der Wahrheit, als sie ahnten. Sie schützten mich vor der Suche, was allein schon unbezahlbar war, ganz zu schweigen vor den plötzlichen Angriffen der cosischen Tarnsmänner, die oft aus heiterem Himmel erfolgen. Außerdem war es schön, am hellichten Tag offen reisen zu können. Als sie es nach drei Tagen eilig hatten, zur Truppe zurückzukehren – vor allem da sie am Himmel zwei Tarnpatrouillen aus Ar gesehen hatten –, verabschiedete ich mich von ihnen und ging allein weiter.

Die Straße unter mir schien so leer wie zuvor.

Ich hatte mein Lager in den Hang eines kleinen, mit Büschen bewachsenen Hügels westlich der Straße gegraben. Die Neigung des Hügels sorgte dafür, daß der waagerechte Einschnitt nicht auffiel. Ein Nadelbaum bot einen beinahe vollständigen Sichtschutz nach oben.

Ich beobachtete die Straße.

Es gab in Teslit noch einige wenige Hütten, deren Bewohner bis jetzt nicht geflohen waren; in einer von ihnen hatte ich übernachtet und mit einem Mann und zwei seiner Söhne den Kessel geteilt. Ich hatte Fragen gestellt, einige Vorräte eingekauft und war am Morgen weitergezogen. Nach einer Ahn hatte ich natürlich die Richtung gewechselt und mein jetziges Lager bezogen.

Die Sonne schien warm.

Ich hatte damit gerechnet, Marcus hier irgendwo zu finden, ganz in Übereinstimmung mit seinem sorgfältig ausgeklügelten Notfallplan. Aber ich hatte von ihm keine Spur entdeckt. Auch in dem Dorf hatte ich nichts gehört. Ich ging davon aus, daß er das Lager vernünftigerweise schnell verlassen hatte, bevor man sich an unsere mutmaßliche Bekanntschaft erinnerte, und dann, nachdem er mehrere Ahn in der Nähe von Teslit verborgen gewartet hatte, weitergeeilt war, um seine Informationen so schnell wie möglich den Arern zu überbringen. Genau das hatte ich auch von ihm erwartet. Er war ein ausgezeichneter junger Offizier, mit einem ausgeprägten Pflichtbewußtsein. Er hätte sich nicht so wie ich unvernünftigerweise in der Nähe des feindlichen Lagers herumgetrieben, nur um der entfernten Möglichkeit willen, einem in Gefahr geratenen Kameraden zu Hilfe kommen zu können. Eine derartige Unbedachtsamkeit hätte seine Chance, die Informationen zu überbringen, in ernste Gefahr gebracht. Man konnte sich darauf verlassen, daß Marcus seine Pflicht tat, selbst wenn das bedauerlicherweise bedeutete, einen Kameraden zu opfern. Er hatte mir im Lager der Cosianer eindringlich und in aller Ausführlichkeit klar gemacht, daß er in einer ähnlichen Situation freudig dazu bereit wäre, geopfert zu werden. Tatsächlich hatte er sogar darauf bestanden, und ich hatte ihm nicht widersprochen, denn wie ich schon sagte: Es ist schwer, mit Leuten zu diskutieren, die recht haben.

Die Straße lag verlassen da.

Ohne Marcus hatte ich keine große Lust, mich dem Lager der Arer zu nähern. Man hätte mich für einen Spion halten können. Dasselbe war mir schon in Ar-Station widerfahren. Allein schon mein Akzent würde mich verdächtig machen. Davon abgesehen war Marcus vermutlich schon längst in Holmesk, oder zumindest in seiner Nähe. Und selbst wenn nicht, ging ich davon aus, daß der Heerführer von Ar die Position und die Bewegungen des cosischen Expeditionsheers genausogut kannte wie Marcus oder ich. Aufgrund der mangelnden Aktivitäten im Winterlager wollte Marcus das nicht glauben. Natürlich gab es für diese Untätigkeit eine einfache Erklärung, deren bis jetzt schlimmste Auswirkung in dem Unvermögen bestand, Ar-Station während seiner Belagerung zu Hilfe zu kommen. Die Erklärung war wirklich einfach. Es ging um Verrat an höchster Stelle.

Ich betrachtete auch den Himmel eingehend. Er war ebenfalls menschenleer. Obwohl der Nachmittag schon weit fortgeschritten war, brannte die Sonne noch immer hell.

Ich erwog, nach Port Kar zurückzukehren. Ich wußte nicht, ob es dort für mich sicher war oder nicht. Links neben der Türschwelle meines Freundes Samos, des ersten Sklavenhändlers von Port Kar, befand sich eine Fahnenstange. An dieser Stange hingen ein paar Sklavenketten, dort, wo sich Stange und Wand trafen. Für gewöhnlich hatte man ein Stück rote Sklavenseide an der Kette festgebunden. Wenn dieses Stück durch gelbe Seide ersetzt worden war, bestand keine Gefahr mehr. Doch es gab nur wenig, das mich in dieser Situation nach Port Kar rief. Der Versuch, mich nach Torcodino durchzuschlagen, reizte mich viel mehr. Dort konnte ich mit dem derzeitigen Beherrscher der Stadt Dietrich von Tarnburg in Kontakt treten, der dort wie ein Larl in seinem Versteck lauerte. Ich würde ihm berichten, wie man mich in Ar verraten hatte und was ich mir daraufhin zusammengereimt hatte. Vielleicht konnte er mit Myron, dem Polemarkos von Temos, dem Oberbefehlshaber der cosischen Invasionsstreitmacht, eine Abmachung treffen über den sicheren Abzug aus Torcodino, falls es dazu noch nicht zu spät war. Dietrichs Kühnheit und Tapferkeit, der brillante Schachzug, Torcodino, Cos’ Nachschubbasis im Süden, einzunehmen und damit die Invasion zum Stillstand zu bringen, erschien nun ziemlich sinnlos. Ar war nicht losmarschiert, um Cos dort zu stellen, sondern hatte sein Heer nach Norden geschickt. Nun mußte man davon ausgehen, daß es Myron im Verlauf des Winters geschafft hatte, sein Kriegsmaterial aufzustocken. Da der Winter nun vorüber war, konnte er auch wieder seine zahllosen Söldner um sich scharen, indem er ihre Standarten aus Dutzenden Winterlagern rief. Torcodino war zumindest kein wesentliches Hindernis mehr auf dem Marsch nach Ar. Natürlich hatte Dietrich nichts davon, er würde sich nicht von seinem Posten absetzen können. Ich war davon überzeugt, daß Ar ihm nicht zu Hilfe kommen würde, genausowenig wie es Ar-Station, immerhin seinem eigenem kolonialen Außenposten am Vosk, der nun in Schutt und Asche lag, zur Hilfe gekommen war.

Früher oder später wollte ich Ar einen Besuch abstatten. Ich hatte dort noch etwas zu erledigen.