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Die Frau schnaubte höhnisch. Als sie Jegor wieder anblickte, spitzte sie die Lippen, als wolle sie ihm einen Kuss zuhauchen. Leise sprach sie die bereits vertrauten Worte, die Worte, die sich unter die betörende Musik gemischt hatten.»Komm her… komm zu mir…«

Jegor blieb reglos stehen. Zum Weglaufen fehlte ihm die Kraft - trotz seines Entsetzens, trotz des Schreis, der ihm immer noch in der Kehle steckte. Das Einzige, was er zustande brachte, war, einfach stehen zu bleiben.

Am Tordurchgang kam eine Frau mit zwei großen Schäferhunden an der Leine vorbei. Langsam, irgendwie abgebremst, als bewege sie sich unter Wasser oder schleppe sich durch einen Albtraum. Als Jegor aus den Augenwinkeln heraus sah, wie die Hunde sie zerrten, sie in den Durchgang zogen, flammte irrsinnige Hoffnung in ihm auf. Die Schäferhunde knurrten zwar, aber irgendwie unsicher, voller Hass und Angst zugleich. Ihre Besitzerin blieb kurz stehen und spähte argwöhnisch den Gang entlang. Jegor fing ihren Blick auf - gleichgültig, als blicke sie ins Leere.

»Kommt weiter!«Sie zog an der Leine, und die Hunde kamen bereitwillig bei Fuß.

Der junge Mann lachte leise.

Die Hundebesitzerin beschleunigte den Schritt, bis sie nicht mehr zu sehen war.

»Der kommt nicht!«, quengelte die junge Frau.»Guck dir das an, der kommt einfach nicht!«

»Streng dich an«, sagte der Mann bloß. Er schaute finster drein.»Du musst es lernen!«

»Komm! Komm zu mir!«, verlangte die Frau energisch. Jegor stand nur zwei Meter von ihr entfernt, doch sie legte offensichtlich größten Wert darauf, dass er von sich aus weiter auf sie zuging.

Und dann merkte Jegor, dass er keine Kraft mehr hatte, sich ihr zu widersetzen. Der Blick der Frau hielt ihn gefangen, band ihn an eine unsichtbare Gummileine, die Worte riefen ihn - und er konnte nichts dagegen tun. Obwohl er wusste, dass er sich nicht bewegen durfte, machte er einen Schritt. Die Frau lächelte, und ihre ebenmäßigen weißen Zähne blitzten auf.»Bind deinen Schal ab«, sagte sie.

Er schaffte es nicht mehr, sich dagegen zu wehren. Mit zitternden Händen schob er die Kapuze nach hinten und zog den lose umgebundenen Schal weg. Er ging auf die schwarzen Augen zu, die ihn riefen.

Etwas geschah mit dem Gesicht der Frau. Der Unterkiefer hing plötzlich herunter, die Zähne erbebten, krümmten sich. Lange Eckzähne blitzten auf, die nichts Menschliches mehr an sich hatten.

Jegor machte noch einen Schritt.

Eins

Die Nacht ließ sich schlecht an.

Als ich aufwachte, dunkelte es bereits. Vom Bett aus beobachtete ich, wie sich die letzten Lichtstrahlen durch die Ritzen der Jalousien verkrochen, und dachte nach. Die fünfte Nacht auf Jagd - und null Erfolg. Kaum anzunehmen, dass ich heute mehr Glück haben würde.

Die Wohnung war kalt, die Heizung höchstens lauwarm. Am Winter mag ich überhaupt nur eins: dass es früh dunkel wird und nur wenige Leute auf den Straßen sind. Ansonsten… ansonsten hätte ich schon längst alles hingeschmissen, hätte Moskau verlassen und wäre nach Jalta oder Sotschi gefahren. Irgendwohin ans Schwarze Meer, bloß nicht auf eine dieser fernen Inseln in fremden warmen Ozeanen - ich mag es nun mal, wenn man um mich herum Russisch spricht.

Das sind dumme Träume, na klar.

Ist nämlich noch ein bisschen früh für mich, um mich irgendwo in warmen Gefilden zur Ruhe zu setzen.

Das hab ich mir noch nicht verdient.

Das Telefon schien förmlich darauf gewartet zu haben, dass ich wach werde, und läutete jetzt energisch, geradezu widerlich. Ich griff nach dem Hörer und presste ihn ans Ohr, schweigend, ohne ein Wort zu sagen.

»Anton, melde dich!«

Ich schwieg. Larissas Stimme klang sachlich, konzentriert, aber auch müde. Bestimmt hatte sie den ganzen Tag nicht geschlafen.»Anton, soll ich dir den Chef geben?«

»Nicht nötig«, brummte ich.

»He, he. Bist du überhaupt schon wach?«

»Hm.«

»Jeden Tag das Gleiche mit dir.«

»Gibt’s was Neues?«

»Nein, nichts.«

»Hast du was zum Frühstück da?«

»Werd schon was finden.«

»Gut. Viel Erfolg.«

Der Wunsch kam ohne rechte Überzeugung, ohne Anteilnahme. Larissa glaubte nicht an mich. Der Chef vermutlich auch nicht.

»Vielen Dank auch«, sagte ich zu den rasch aufeinander folgenden Pieptönen des Telefons. Ich stand auf und begab mich auf eine Exkursion in Klo und Bad. Ich wollte mir schon Zahnpasta auf die Bürste drücken, begriff dann aber, dass ich den zweiten Schritt vor dem ersten machte, und legte die Bürste auf den Rand des Waschbeckens.

Obwohl es in der Küche stockdunkel war, knipste ich das Licht natürlich nicht an. Ich öffnete den Kühlschrank, in dem das herausgeschraubte Lämpchen zwischen den Lebensmitteln vor sich hin fror. Mein Blick fiel auf eine Kasserolle, in der ein Sieb hing. Darin lag ein Stück halb aufgetautes Fleisch. Ich nahm das Sieb heraus, setzte den Topf an die Lippen und trank einen Schluck.

Falls irgendjemand glaubt, Schweineblut schmecke lecker, irrt er gewaltig.

Nachdem ich die Kasserolle mit dem restlichen, be-

reits aus dem Fleisch getropften Blut zurückgestellt hatte, ging ich wieder ins Bad. Die trübe blaue Lampe kam kaum gegen die Dunkelheit an. Ausgiebig und verbissen putzte ich mir die Zähne, hielt es aber schließlich doch nicht mehr aus und wanderte noch einmal in die Küche, um eine Flasche aus dem Froster zu nehmen und daraus einen Schluck eisgekühlten Wodkas zu trinken. Danach strömte nicht einfach Wärme durch meinen Bauch, sondern glühende Hitze. Was für ein wunderbares Bouquet aus Empfindungen: die Kälte an den Zähnen und die Glut im Bauch.

»Hol dich doch…«, setzte ich in Gedanken an meinen Chef an, konnte mich aber noch rechtzeitig bremsen. Bei ihm musste man damit rechnen, dass er sogar halb ausgesprochene Flüche spürte. Ich tigerte eine Weile durchs Zimmer und fing an, meine überall verstreuten Kleidungsstücke einzusammeln. Die Hose lag unter dem Bett, die Socken auf dem Fensterbrett, und das Hemd hing aus irgendeinem Grund über der Maske des Choyong.

Missbilligend sah der alte koreanische Herrscher mich an.

»Pass halt besser auf«, brummte ich. In dem Moment schrillte abermals das Telefon. Ich sprang im Zimmer umher, bis ich es endlich fand.

»Anton, wolltest du mir etwas sagen?«, erkundigte sich mein unsichtbarer Gesprächspartner.

»Nein. Nichts«, sagte ich verdrossen.

»Na, na. Wo bleibt das Ich schätze mich glücklich, Euch zu Diensten zu sein, Euer Wohlgeboren?«

»Ich bin nicht glücklich. Tut mir Leid… Euer Wohlgeboren.«

Der Chef schwieg einen Moment.

»Anton, ich bitte dich trotzdem, die Entwicklung der Lage mit etwas mehr Ernst zu betrachten. Abgemacht? Morgen früh erwarte ich deinen Bericht, so oder so. Und… viel Glück.«

Verlegen wurde ich deswegen nicht. Aber immerhin regte ich mich etwas ab. Nachdem ich mein Handy in die Jackentasche gesteckt hatte, öffnete ich den Schrank in der Diele. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich meine Montur irgendwie aufpeppen sollte. Ich hatte ein paar neue Klamotten, die mir Freunde in der letzten Woche geschenkt hatten. Am Ende beließ ich es jedoch bei der gewöhnlichen Kluft, die recht vielseitig und ziemlich kompakt war.

Fehlte noch der MD-Player. Die Musik bräuchte ich gar nicht, aber Langeweile ist ein unerbittlicher Feind.

An der Wohnungstür spähte ich lange durch den Spion ins Treppenhaus hinaus. Niemand da.

Eine weitere Nacht begann.

Sechs Stunden lang fuhr ich mit der Metro, wechselte ohne irgendein Prinzip die Linien, döste immer mal wieder ein, damit sich mein Bewusstsein erholen und meine Sinne frei werden konnten. Alles war ruhig. Nun ja, das eine oder andere Interessante sah ich schon, aber alle diese Fälle hatten weiter nichts Besonderes an sich, sie waren etwas für Neulinge. Erst gegen elf, als die Metro sich merklich leerte, änderte sich die Situation.