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»Ja«, sagte ich. Mir war bekannt, daß die Kreaturen auf den Stahlwelten über eine fortschrittliche Technologie verfügten. So bezweifelte ich nicht, daß die physikalischen und chemischen Verfahren, die sie anwenden konnten, eine genaue Datierung des Leders und der Farben ermöglichten. Die historischen Beweise würden ebenfalls schlüssig sein. Zwar würde es sich um historische Daten handeln, die nur den anderen zur Verfügung standen und nicht mir. Ich selbst hatte keine Möglichkeit, die angewandten Daten zu überprüfen: Daß die Geschöpfe auf dieser Welt primitive Waffen trugen, war auf ihre Angst vor den Priesterkönigen zurückzuführen. Im Besitz solcher Waffen mochte man sie für Angehörige ihrer Rasse halten, die inzwischen auf Gor heimisch geworden waren, Abkömmlinge von Individuen, die vor langer Zeit auf dem Planeten gestrandet sein mochten. Die Priesterkönige ignorierten diese Ungeheuer weitgehend. Sie durften sich nach Belieben niederlassen und sich sogar nach ihren überlieferten Gesetzen und Gebräuchen richten, vorausgesetzt, sie verstießen nicht gegen Waffengesetze und Technologieeinschränkungen. Die Kreaturen fielen allerdings, sobald sie der Disziplin der Schiffe ledig waren, innerhalb weniger Generationen in die Barbarei zurück. Im großen und ganzen hielten sie sich in Bereichen auf, die nicht von Menschen bewohnt wurden. Die Priesterkönige sorgen für ihre Welt, dennoch liegt ihr Interesse vordringlich unter der Oberfläche Gors, und so kommt es, daß das Leben auf Gor seinen Lauf nimmt, die natürlichen Ökosysteme des Planeten zu erhalten. Sie sind weise, doch zögern selbst sie, genaue und subtile Systeme zu stören, die sich im Lauf von vier Milliarden Jahren entwickelt haben. Wer kann wissen, wo ein vom Weg abgekommenes Molekül in tausend Jahren landet?

Ich betrachtete Kog und Sardak. Geschöpfe ihrer Rasse hatten vor vielen tausend Jahren, so ging das Gerücht, ihre Heimatwelt vernichtet. Nun suchten sie eine neue Heimat. Die Priesterkönige, entrückt, goldhäutig, unaggressiv und tolerant, waren gewissermaßen alles, was die Erde und Gor noch vor den Sardaks und Kogs schützte.

»Diese Haut«, sagte Kog zu Samos, »erzählt eine Geschichte.«

»Ich verstehe«, sagte Samos.

»Es handelt sich um ein Artefakt der roten Wilden«, fuhr Kog fort. »Es stammt von einem der Stämme im Ödland.«

»Ja«, sagte Samos.

Die roten Wilden, wie sie allgemein auf Gor genannt werden, unterscheiden sich rassisch wie auch kulturell von den roten Jägern des Nordens. Im Wuchs sind sie eher schlank und haben längere Gliedmaßen, ihre Töchter bekommen früher die Regel, und die Säuglinge werden ohne den blauen Fleck auf dem Kreuzbein geboren, den die roten Jäger aufweisen. Kulturell gesehen sind sie nomadisch und hängen weitgehend von der pflanzenfressenden Kaiila ab, weitgehend dasselbe Tier, wie es auch in der Tahari gefunden wird, nur ohne die breiten Pfoten, die gut für den weichen Sand geeignet sind, und von den behäbigen, geselligen, jähzornigen Kailiauks, die dreizackige Hörner besitzen. Präzise angemerkt, verfügen einige Stämme nicht über die Kaiila, weil sie das Tier nie zähmen konnten, während einige andere sogar den Tarn gemeistert haben, was sie zu den gefährlichsten Stämmen überhaupt macht.

Obwohl es unter diesen Menschen zahlreiche physische und kulturelle Unterschiede gibt, bezeichnet man sie im allgemeinen kollektiv als rote Wilde. Vermutlich liegt dies daran, daß alles in allem so wenig über sie bekannt ist, und an der Schläue und Rücksichtslosigkeit vieler Stämme. Sie scheinen für die Jagd und den Kampf gegen andere Stämme zu leben, der für sie offenbar so etwas wie ein Sport und eine Religion ist. Interessanterweise stehen die meisten Stämme in ihrem Haß auf die Weißen fest zusammen, ein Haß, der im Notfall sofort alle sonstigen Konflikte und Rivalitäten vergessen läßt. Wenn es darum geht, Weiße anzugreifen, die in ihr Gebiet eingedrungen sind, reiten sogar langjährige Blutfeinde zusammen, um die Kriegslanze auszugraben. Das Zusammenströmen der Stämme vor einem solchen Kampf, Freunde und Feinde, soll ein erhebender Anblick sein. Hierin kommt ein Phänomen zum Ausdruck, das bei diesen Völkern ›Erinnerung‹ genannt wird.

»Die Geschichte beginnt hier«, sagte Kog und deutet auf den Mittelpunkt der Fläche. An diesem Punkt begann eine Serie von Zeichnungen und Piktogrammen, in einer weiten Spirale angeordnet, der man folgen mußte, indem man die Haut langsam drehte. So entwickelte sich die Erzählung Bild für Bild, wie sie erlebt wurde.

»In mancher Beziehung ist diese Geschichte nicht untypisch«, erläuterte Kog. »Die Symbole hier stellen ein Stammeslager dar. Weil nur wenige Behausungen zu sehen sind, handelt es sich um ein Winterlager. Dies ergibt sich auch aus den Punkten, die Schnee darstellen.«

Ich betrachtet die Zeichnungen. Sie waren sehr sorgfältig und bunt ausgeführt. Alles in allem waren sie sehr klein und fein gestaltet und glichen Miniaturen. Der Mann, der die Farbpigmente auf die Lederfläche übertragen hatte, war geduldig und geschickt vorgegangen. Er hatte sich große Mühe gegeben. Den roten Wilden bedeutete die Wahrheit sehr viel.

»Diese wie eine Säge gezackte Linie«, erklärte Kog«, deutete an, daß im Lager Hunger herrscht: das nagende Gefühl im Magen. Dieser Mann, in dem wir den Künstler sehen und den wir Zwei Federn nennen wollen, wegen der beiden Federn neben ihm, legt Skier an und verläßt das Lager. Er nimmt Pfeil und Bogen mit.«

Ich verfolgte, wie Kog langsam das Leder drehte. Die Zeichnungen werden zunächst mit einem spitzen Stock auf dem Leder eingeritzt. Viele erhalten anschließend schwarze Umrisse. Die auf diese Weise entstehenden umschlossenen Flächen werden anschließend eingefärbt. Vorwiegend kommen dabei gelbe, rote, braune und schwarze Pigmente zur Verwendung. Diese werden vorwiegend aus zerstoßener Erde, Ton und zerkochten Wurzeln gewonnen. Blaue Farbe stellt man aus blauem Schlamm, Gantkot und zerkochtem fauligen Holz her. Grüne Schattierungen lassen sich aus verschiedenen Quellen gewinnen: Erde, zerkochtes fauliges Holz, Kupfererz und Algen. Die Pigmente, die im allgemeinen mit heißem Wasser oder Leim angemixt sind, werden mit einem zerkauten Stock oder einer kleinen Bürste oder einem Stift aus porösem Knochen aufgetragen, normalerweise mit dem Schulterblattrand eines Kailiauk oder dem Endstück des Beckenknochens. Beide Knochen enthalten Honigwabenstrukturen, die das glatte Auftragen von Farben ermöglichen.

»Dieser Mann ist zwei Tage lang unterwegs«, sagte Kog und deutete auf zwei gelbe Sonnen am Himmel des Leders. »Am dritten Tag stößt er auf die Fährte eines Kailiauk, der er folgt. Er trinkt geschmolzenen Schnee, den er im Mund behält, bis er sich erwärmt. Er ißt getrocknetes Fleisch. Am dritten Tag macht er sich kein Feuer an. Daraus können wir schließen, daß er sich nun im Land seiner Feinde befindet. Gegen Abend des vierten Tages sichtet er weitere Spuren. Andere Jäger, auf Kaiila reitend, folgen den Kailiauk wie unser Mann. Es ist schwierig, ihre Zahl zu bestimmen, denn sie reiten hintereinander, so daß die Hufabdrücke eines Tiers die der anderen überdecken und auslöschen. Unserem Mann ist das Herz schwer geworden. Soll er zurückkehren? Er weiß nicht, was er tun soll. Er muß die Sache erst einmal überträumen.«

»Es könnte alles nur ein Zufall sein«, meinte Samos.

»Das glaube ich nicht«, meinte Kog.

»Diese Haut«, meinte Samos, »gibt vielleicht nur die verrückten Phantastereien eines unwissenden Wilden wieder. Vielleicht auch nur einen seltsamen Traum.«

»Die Anordnung und Klarheit des Berichts deutet eher auf eine reale Grundlage«, erwiderte Kog,

»Hier wird uns ein Traum geschildert«, beharrte Samos.

»Vielleicht«, räumte Kog ein.

»Solche Menschen unterscheiden nicht so klar zwischen Traum und Wirklichkeit.«