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In diesem Augenblick erschien auf der Schwelle zu der Terrasse ein Sklave. Er war ein ziemlich großer Mann, gut gebaut und für europäische Augen sogar schön, nur seine Glieder waren vielleicht ein bißchen zu mager und zeugten von mehr Schnelligkeit als Kraft. Beim Anblick Corcorans, vor allem aber Louisons, die ein heiseres Fauchen hören ließ, wollte sich der Sklave zur Flucht wenden. Holkar rief ihn zurück.

„Ali“, sagte er.

„Herr?“

„Schau dir diesen Fremden mit dem weißen Gesicht gut an. Kennst du ihn?“

Ali hob zögernd den Blick, aber kaum hatte er Corcoran angeschaut, als er ausrief:

„Herr, das ist er!“

„Wer, er?“

„Der Kapitän! Und das ist sie!“ fügte er hinzu, wobei er auf die Tigerin zeigte. „Herr, liefert mich ihr nicht aus!“

„Ruhig Blut“, sagte Corcoran amüsiert, „Louison und ich sind nicht nachtragend. Geh nur, du hättest gehängt werden sollen und hast es verstanden, deinen Kopf noch rechtzeitig aus der Schlinge zu ziehen, die sich schon um deinen Hals legte. Ich habe nichts mehr gegen dich.“

„Woher rührt nur dieser entsetzliche Lärm in den Straßen von Bhagavapur?“ fragte Holkar den Sklaven. „Was sollen diese Schreie bedeuten, die bis hierher dringen, was diese Gewehrschüsse und der Trommelwirbel?“

„Herr“, erwiderte Ali, „deswegen bin ich so schnell wie möglich zu Euch geeilt, ohne gerufen worden zu sein. Als Kapitän Corcoran den Fuß auf den Kai setzte, hat man geglaubt, es sei ein Abgesandter der Engländer. Euer ehemaliger Minister Rao hat verbreitet, daß Ihr durch einen Pistolenschuß getötet worden seid und daß eine englische Armee zwei Meilen vor der Stadt steht. Er hat einen Teil der Truppen aufgewiegelt und spricht von seinen Rechten auf die Krone.“

„Ah! Dieser Verräter!“ schrie Holkar. „Ich werde ihn pfählen lassen!“

„Unterdessen versichert er dem Volk auf der Straße, daß er die Unterstützung der Engländer habe. Soeben hat er mit dem Sturm auf den Palast begonnen.“

„Haha, hoho“, machte Corcoran. „Die Sache wird interessant!“

Bis hierher hatte die schöne Sita tiefstes Stillschweigen bewahrt; aber als sie die Gefahr ahnte, in der ihr Vater schwebte, lief sie auf Kapitän Corcoran zu und ergriff dessen Hände. „Mein Gott“, hauchte sie, „retten Sie ihn.“

„Parbleu“, erwiderte Corcoran. „Man soll später nicht sagen, ich hätte den Bitten und Tränen so schöner Augen widerstanden… Fürst Holkar, könnt Ihr mir einen Revolver und eine Reitpeitsche geben? Mit diesen beiden Waffen antworte ich auf alles, besonders auf die Fragen des Verräters Rao.“

Ali hastete davon und brachte Revolver und Reitpeitsche. Danach stiegen der Fürst, Corcoran und Ali die Stufen des Turmes hinab, während die schöne Sita für ihre Verteidiger den Schutz Brahmas erflehte.

Eine kleine Anzahl treuer Soldaten schien bereit, den Eingang des Palastes zu verteidigen, aber es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis sie der Menge weichen würden. Drei putschende Regimenter belagerten den Eingang und ließen aufrührerische Schreie hören. Rao kommandierte sie zu Pferd und stachelte sie an, den Sturm zu beginnen. Von allen Seiten schwirrten Kugeln durch die Luft, und die Rebellen schleppten Kanonen heran, um den Eingang zu beschießen. Corcoran sah, daß keine Minute mehr zu verlieren war.

„Öffnet das Tor!“ befahl er.

Das sichere Auftreten des Kapitäns machte seinen Begleitern Mut. Das Tor wurde geöffnet, und dieser Vorgang verblüffte die meuternden Regimenter, die sich auf eine Belagerung vorbereitet hatten, derart, daß sie instinktiv zurückwichen. Die Schießerei hörte schlagartig auf, und über den Platz breitete sich Schweigen.

Corcoran fragte mit schneidender Stimme:

„Wo ist Rao?“

„Hier bin ich“, erwiderte Rao, der sich, begleitet von seinem Adjutanten, zu Pferde näherte. „Ergibt sich Holkar freiwillig?“

„Teufel auch“, meinte Corcoran, „dieser Kerl ist ja geradezu von dreister Unverschämtheit.“ Und er pfiff leicht. Bei diesem Pfiff tauchte Louison auf.

„Meine Liebe“, sagte Corcoran zu ihr, „pflück mir diese Blume des Bösen von seinem Pferdchen, aber krümm ihm kein Härchen. Nimm ihn sanft zwischen Ober- und Unterkiefer, ohne ihn zu stoßen oder zu zerkratzen, und bring ihn her… Hast du mich verstanden, Liebling?“

Und er zeigte auf Rao.

Dieser bemerkte die Geste und wollte sofort mit seinem Pferd kehrtmachen, leider scheute sein Pferd und keilte aus. Die Pferde der anderen Offiziere zeigten auch nicht mehr Disziplin. Die Offiziere drehten ihren Truppen den Rücken und versuchten, aus dem Durcheinander quer durch die Infanterie zu entkommen, aus Angst, von Louison mit dem Verräter und Anführer Rao verwechselt zu werden.

Dieser wäre gern dem heldenhaften Beispiel seiner Offiziere gefolgt, aber das Schicksal hatte kein Erbarmen mit ihm. Schon hatte ihn Louison aus seinem Sattel gezerrt, ihn wie eine Katze, die eine Maus im Maul hat, gepackt und ihn bald darauf halb ohnmächtig zu Füßen des Kapitäns niedergelegt.

„Fein, mein Kind“, sagte der Kapitän zufrieden, „ich werde dir Zucker zum Nachtisch geben. Ali, entwaffne den alten Spitzbuben und bewache ihn, während ich mit diesen verblendeten Aufrührern sprechen werde.“

Darauf näherte er sich, die Reitpeitsche in der Hand, bis auf fünf Schritt der ersten Reihe der aufständischen Soldaten, deren Gewehre angelegt und zum Feuern bereit waren.

„Ist jemand unter euch, der gehängt werden möchte?“ rief er. „Oder gepfählt oder enthauptet oder lebendig gehäutet oder Louison vorgeworfen… Keine Freiwilligen?“

Der Schreck war tatsächlich allen in die Glieder gefahren. Allein der Anblick des Kapitäns, der vom Himmel gefallen zu sein schien, verwirrte die abergläubischen Inder. Darüber hinaus erschreckten sie die Zähne und Krallen Louisons noch mehr. Und schließlich, für wen und wofür sollten sie eigentlich noch rebellieren, Rao war doch bereits in den Händen Holkars.

Also beeilte sich jeder von ihnen, laut zu versichern: „Es lebe Fürst Holkar!“

„So ist es recht!“ sagte Corcoran. „Ich merke, daß ihr eurem rechtmäßigen Fürsten in Treue fest verbunden seid. Und jetzt entwaffnet mir die drei Obersten, die drei Majore und die drei Hauptleute… So ist’s recht…, bindet ihnen Hände und Füße und legt sie aufs Pflaster…, sehr schön. Und nun, liebe Leute, kehrt ruhig in eure Kasernen zurück, und wenn mir zu Ohren kommt, daß ein einziger von euch zu murren wagt, dann werde ich ihn Louison zum Frühstück überreichen… Gute Nacht. Und wir, Fürst Holkar, können nun endlich soupieren.“

5. Ein Brief, ein Buch, ein Befehl

Die Tafel war in einem Innenhof unter dem weitgestreckten Himmelsgewölbe und in der Nähe eines Springbrunnens, dessen Wasserstrahl die heiße Luft erfrischte, angerichtet. Holkar, seine lotosäugige Tochter und Kapitän Corcoran hatten sich nach europäischer Art zu Tisch gesetzt. Zwei Dutzend Diener schwirrten um sie herum, räumten auf, räumten ab. Die Tischgesellschaft aß schweigend und mit der würdevollen Gelassenheit asiatischer Souveräne.

Neben der Tafel hatte sich Louison zwischen ihrem Herrn und der schönen Sita niedergelassen und erhielt von beiden ihre Nahrung, was sie veranlaßte, ihren schmeichelnden Blick sowohl dem einen als auch der anderen zukommen zu lassen.

Sita, dankbar für den erwiesenen Dienst und stolz auf den Gehorsam der Tigerin, behandelte sie wie ihr Lieblingswindspiel, gab ihr Zucker, verwöhnte sie; und Louison, zu intelligent, als daß sie die guten Absichten Sitas nicht bemerkt hätte, bewies ihr ihre Wohlgesonnenheit, indem sie behaglich mit dem Schweif wedelte und wohlig den Hals räkelte, wenn das junge Mädchen ihre Hand auf den Kopf der neuen Freundin senkte.