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„Mein lieber Freund, es bedarf zwischen uns nicht dieser Briefe, und das Schreiben von Sir William Barrowlinson hätte Ihnen jetzt, wo ich mich nicht gerade gut mit den Engländern stehe, kaum von Nutzen sein können, würde ich nicht wissen, wer Sie sind, und hätte ich nicht mit eigenen Augen gesehen, mit welchem Mut Sie mir das Leben gerettet haben. Unglücklicherweise marschiert Colonel Barclay, wie ich weiß, auf Bhagavapur zu, und ich fürchte, daß ich Sie bei Ihren weiteren Forschungen kaum werde unterstützen können. Ich fürchte sogar, daß Ihnen meine Freundschaft in den Augen der Engländer schaden könnte.“

„Fürst Holkar“, sagte der Kapitän, „macht Euch weder um mich noch um die Engländer Sorgen: Wenn mich Colonel Barclay anders denn als Freund behandeln sollte – selbst wenn er durch dreißig Regimenter beschützt wird –, dann mag er erfahren, wie schwer meine Faust sein kann, wenn sie zuschlägt. Macht Euch um mich keine Sorgen; aber vielleicht könnte ich als Vermittler dienlich sein und Frieden…“

„Frieden mit diesen Barbaren!“ schrie Holkar, und seine Augen funkelten vor Zorn. „Sie haben meinen Vater und meine beiden Söhne getötet. Sie haben mir die Hälfte meines Staates geraubt und die andere gebrandschatzt. Bei der leuchtenden Erscheinung Indras, dessen Streitwagen das Firmament durchzieht und Licht in die entferntesten Winkel des Universums bringt, wenn ich nur meine Schätze und mein Leben hergeben müßte, um den letzten dieser roten Barbaren ins Meer zu werfen, ich würde keine Minute zögern; jawohl, ich schwöre es, daß ich noch heute wie meine Vorfahren die Ewige, Unwiderrufliche und Unvergängliche Substanz annehmen würde.“

„Und Ihr würdet mich allein auf der Erde zurücklassen?“ unterbrach ihn die schöne Sita mit vorwurfsvoller Stimme.

„Oh, mein liebes Kind, vergib mir“, sagte der Alte und nahm seine Tochter in die Arme. „Allein die Erwähnung der Engländer macht mich schon rasend. Ich bitte den Kapitän, mich vielmals zu entschuldigen…“

„Keine Ursache, verehrter Gastgeber“, sagte Corcoran. „Es, muß Euch nicht leid tun, die Engländer zu verfluchen. Für mich – ausgenommen Sir William Barrowlinson, der mir ein braver Mann zu sein scheint, obwohl etwas weitschweifig in seinen Erklärungen und seinem Stil – ist ein Engländer nicht mehr wert als ein saurer Hering oder eine Ölsardine. Ich bin Bretone und Seemann – das sagt alles. Zwischen den Angelsachsen und mir gibt es keine falschen Sentimentalitäten.“

„Ha! Sie gefallen mir, Kapitän“, sagte Holkar. „Ich hatte anfangs Sorge, daß Sie sich von Ihren Freunden abwenden könnten, und wenn ich an die Zukunft denke, die die Engländer meiner armen Sita zugedacht haben, gefriert mir das Blut in meinen alten Adern, und ich würde am liebsten allen Engländern, die sich in Indien befinden, den Kopf abschlagen lassen… Aber reden wir nicht mehr davon; lies uns doch, liebe Tochter, zur Erbauung und um meinen Jähzorn zu besänftigen, doch lieber etwas aus einem unserer herrlichen Bücher vor, die den Ruhm der Vorfahren begründet und ihnen die Mußestunden verzaubert haben.“

„Möchtet Ihr“, fragte Sita, „daß ich Euch diesen Teil aus dem Ramayana vorlese, in dem König Dasharatha in so bewegenden Worten auf dem Totenbett sein Schicksal beklagt, daß sein geliebter Sohn Rama, der unsichtbare Held, in dieser Stunde nicht bei ihm ist, und er sich bezichtigt, selbst die Sühne der Götter auf sich gezogen zu haben, weil er in seiner Jugend einen unbeabsichtigten Mord begangen hat.“

„Ja gut, lies“, erwiderte Holkar.

Daraufhin erhob sich Sita, holte das Buch und begann zu lesen:

Noch am selben Tage kehrte Sumantra mit der trauernden Menge nach Ayodhya zurück und berichtete seinem Herrn Dasharatha und Kausalya von Ramas Abschied. Der König brach in Tränen aus und sank kraftlos auf sein Lager. Er verbrachte die kommenden Tage in tiefem Schmerz und erinnerte sich der Taten, die er während der langen Jahre seiner Herrschaft vollbracht hatte. Sein Geist war umdüstert, und er glaubte sich dem Tode nahe. So vergingen sechs unglückselige Nächte, die er an der Seite der klagenden Kausalya verbrachte. Beim Nachdenken über sein Leben kam ihm eine böse Tat in den Sinn, die ihn immer stärker zu bedrücken begann.

„O Kausalya, es ist die lautere Wahrheit, daß der Mensch entsprechend seiner guten und bösen Taten später die Früchte sammelt. Darum höre, was ich in meinem Übermut als Jüngling anrichtete. Um als guter Bogenschütze geachtet zu werden, lenkte ich die Pfeile auf ferne Ziele. Wie ein Kind, das in Unwissenheit Schaden anrichtet, mähte ich die Kronen der Bäume nieder, deren Wurzeln ich in Erwartung süßer Früchte mit Wasser benetzt hatte. An einem jener Tage, als wir noch nicht durch Heirat vereint waren, nahm ich Bogen und Pfeile in meinen Wagen und ging auf die Jagd. Es war heiß, aber man spürte schon die Regenzeit, alles lechzte nach Wasser, die Erde, die Vögel, der Fluß und die Tiere des Waldes. Ich schlug mein Lager an einer seichten Furt der Tamasa auf, wo in der Nacht die Büffel, Tiger und Elefanten zur Tränke kamen. Lange wartete ich, bis ich das Nahen eines Elefanten zu hören glaubte. Ich nahm einen Pfeil aus dem Köcher, tauchte seine Spitze in Schlangengift und schoß ihn auf das noch unsichtbare Ziel. Da hörte ich plötzlich den klagenden Schrei eines Jünglings und sah eine Gestalt vor einem Gebüsch zu Boden sinken. ‘Wer hat auf einen Asketen geschossen?’ rief der Getroffene.

‘Wer hat auf einen geschossen, der nicht einen einzigen Feind im Walde hat?’

Voll Schrecken lief ich zu ihm, um ihm zu helfen. ‘Um Wasser zu holen, bin ich hierhergekommen’, sagte der junge Asket. ‘Hab ich dir jemals unrecht getan, daß du mich mit deinem Pfeil verwunden mußtest? Wer einen Heiligen verletzt, kann kein tugendhafter Mensch sein.’“

König Dasharatha schwieg, erschöpft durch die Erinnerung. Dann fuhr er fort: „Ich war überwältigt vor Gram, als ich den Heiligen mit meinem Pfeil in der Seite vor mir liegen sah. Sein Haar war zerzaust, sein Körper mit Blut besudelt, und aus der Koskosnußschale war das Wasser in die Erde gesickert. Ich ließ den Bogen fallen und beugte mich zu dem Sterbenden nieder. Er sah mich mit einem schrecklichen Blick an und sprach zu mir: ‘Du hast mich mit deinem mörderischen Pfeil getroffen und ebenso meinen Vater und meine Mutter, die vor Kummer sterben werden. Halb verdurstet und hungrig warten sie auf meine Rückkehr, ich aber liege hier und verblute. Sind das die Früchte meines heiligen Lebens in der Einsamkeit der Wälder? Habe ich die Lehren der Veden und Puranas gehört, damit meine blinden, hilflosen Eltern jetzt den Tod leiden? O Königssohn, eile zur Hütte meines Vaters und erzähl ihm, was du mir angetan. Ich fürchte, daß dich der Fluch einst vernichten wird wie ein Feuer den Wald.’

O Kausalya, ich zitterte vor Furcht und Schmerz und wagte es nicht, den Pfeil aus der Wunde zu ziehen, weil ich glaubte, der junge Asket würde dann verbluten. Doch er erriet meine Gedanken und sagte leise: ‘Hab keine Angst, Sohn eines Königs, obwohl deine Tat schwer wiegt, hast du doch keine Todsünde begangen, denn ich gehöre nicht zum Stand der Brahmanen. Meine Mutter gehört zur Kaste der Shudra und mein Vater zu den Vaishyas.’

Er flüsterte die letzten Worte, so daß sie kaum zu verstehen waren. Sein Antlitz erbleichte, und als ich den Pfeil aus der Wunde zog, starb er. Ich bettete ihn auf ein weiches Lager aus Kushagras und eilte zur Hütte seiner Eltern. Der blinde Vater glaubte die Schritte seines Sohnes zu hören und erhob sich, als ich mich näherte. Ich sagte ihm, wer ich sei, und berichtete ihm weinend vom Tod seines edlen Sohnes. Der Vater brach in Wehklagen aus und sprach: ‘O Königssohn, hättest du mir nicht selbst von deiner bösen Tat erzählt, würde der Zorn der Götter dich auf der Stelle vernichtet haben. Du erhältst dir dein Leben einzig und allein, weil du aufrichtig zu uns armen Eltern warst und die Sünde ohne Absicht begingst. Führ mich mit meinem Weib jetzt zu der Stelle, wo du meinen Sohn getötet hast!’