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„Nein, nein“, beeilte sich der Präsident zu versichern, der in seinem ganzen Leben die Sprache Shakespeares noch nie gehört hatte, außer im Theater des Palais Royal. „Sehr überzeugend, Monsieur… Und Sie verstehen auch Sanskrit, vermute ich?“

„Falls zufällig einer der Herren einen Band des Bhagavadgita bei sich haben sollte, könnte ich es Ihnen sofort beweisen.“

„Oh, oh“, flötete der Präsident. „Nicht nötig. Und Parsi und Hindi?“

Corcoran hob die Schultern.

„Kinderspiel.“

Und sofort begann er in einer allen unbekannten Sprache eine Rede, die länger als zehn Minuten dauerte. Die Akademiemitglieder betrachteten ihn verblüfft.

„Bei dem Planeten, den Monsieur Le Verrier entdeckt hat!“ meinte der Präsident entzückt. „Ich habe nicht ein Wort verstanden!“

„Nun“, erwiderte Corcoran, „das ist Hindi. Man spricht es unter anderem in Kaschmir, Nepal, im Königreich Lahore, Multan, Audh, Bengalen, Dekan, an der Malabarküste, in Coimbatore, Maisur, Assam, Kornatak, Bihar, Berar, Nagpur, Radschastan, im Pandschab und an der Koromandelküste.“

„Sehr gut, Monsieur! Sehr gut!“ rief der Präsident. „Es bleibt uns nunmehr nur noch eine Frage, die wir an Sie stellen müssen. Entschuldigen Sie meine Indiskretion, aber wir sind durch das Testament unseres bedauernswerten Freundes mit einer so großen Verantwortung betraut, daß wir gern wissen möchten…“

„Gut, gut“, unterbrach ihn Corcoran. „Reden Sie frei von der Leber weg, aber beeilen Sie sich bitte, denn Louison wartet auf mich.“

„Louison!“ erwiderte der Präsident indigniert. „Wer ist diese Person?“

„Eine Freundin, die mich auf all meinen Reisen begleitet.“

Bei diesen Worten hörte man im Nachbarzimmer das Geräusch trippelnder Schritte. Kurz darauf wurde eine Tür mit großem Knall zugeschlagen.

„Was ist das?“ fragte der Präsident.

„Das wird Louison sein, die sich langweilt.“

„Na schön, soll sie warten“, fuhr der Präsident fort. „Unsere Akademie ist, so vermute ich, nicht dazu da, um Madame oder Mademoiselle Louison zu Diensten zu sein.“

„Wie Sie meinen“, sagte Corcoran.

Und indem er sich selbst einen Stuhl griff, da niemand die Höflichkeit besessen hatte, ihm einen anzubieten, setzte er sich bequem zurecht, um den Erklärungen des Akademiepräsidenten zuzuhören.

Nun, der Gelehrte hatte Schwierigkeiten, den Anfang zu finden, denn man hatte vergessen, Wasser und Zucker – die beiden Quellen der Beredsamkeit – auf den Tisch zu stellen. Um dem abzuhelfen, zog er die Klingelschnur. Aber niemand erschien.

Er läutete ein-, zwei-, drei-, fünfmal, doch jedesmal vergeblich.

„Monsieur“, sagte Corcoran, der Erbarmen mit dem Martyrium des Präsidenten zeigte, „läuten Sie nicht mehr. Der Diener wird Ärger mit Louison bekommen und daraufhin den Saal verlassen haben.“

„Mit Louison!“ rief der Präsident erstaunt. „Ist denn diese Person von einem derart abscheulichen Charakter?“

„Nein. Nicht schlechter als andere. Aber man muß sie zu nehmen wissen. Er wird sie beleidigt haben. Sie ist noch sehr jung, da wird sie sicher zornig geworden sein.“

„Sehr jung. Wie alt ist denn Mademoiselle Louison?“

„Etwas über fünf“, entgegnete Corcoran.

„Oh! In diesem Alter erreicht man immer, was man will.“

„Ich weiß nicht. Sie kratzt und beißt mitunter…“

„Aber Monsieur“, sagte der Präsident, „man braucht sie doch nur in ein anderes Zimmer zu schaffen.“

„Das ist schwierig. Louison ist eigensinnig; sie ist nicht gewöhnt, daß man anderer Meinung ist als sie. Sie ist in den Tropen geboren, und dieses mörderisch heiße Klima hat die natürliche Hitze ihres Temperaments noch verstärkt…“

„Hören Sie“, sagte der Präsident, „eine Akademie hat Wichtigeres zu tun, als sich über Mademoiselle Louison den Kopf zu zerbrechen. Ich komme auf unser Problem zurück. Sie sind kerngesund, Monsieur?“

„Ich vermute es“, antwortete Corcoran. „Ich hatte zweimal die Cholera, einmal Gelbfieber und lebe immer noch. Ich habe noch alle meine zweiunddreißig Zähne, und was meine Haare betrifft – überzeugen Sie sich selbst, ob das eine Perücke ist.“

„Schon gut. Ich hoffe, Sie sind kräftig?“

„Pah“, sagte Corcoran. „Zwar nicht ganz so wie mein verstorbener Vater, aber für den Alltag reicht es.“

Dabei blickte er sich um und bemerkte, daß das Fenster mit großen Eisenstäben vergittert war. Mit einer Hand nahm er einen der Stäbe und bog ihn ohne sichtliche Kraftanstrengung zu sich herab, als ob er einen Draht in der Hand hätte.

„Teufel, das ist vielleicht ein kräftiger Bursche!“ rief ein ausnehmend schmächtiges Akademiemitglied bewundernd.

„Na ja“, erwiderte Corcoran bescheiden, „aber so toll ist es nun auch wieder nicht. Wenn Sie mir eine Sechsunddreißigerkanone in die Hand drückten, ich würde mich verpflichten, sie in die Berge von Fourvières zu schleppen.“

Die Bewunderung der Anwesenden begann in Begeisterung umzuschlagen.

„Und“, fuhr der Präsident fort, „wie ich vermute, haben Sie auch schon Pulver gerochen?“

„Ein dutzendmal“, sagte Corcoran. „Nicht der Rede wert. Im Chinesischen Meer und vor Borneo, wissen Sie, da muß ein Handelskapitän immer ein paar Siebzehnpfünder an Bord haben, um sich der Piraten zu erwehren.“

„Sie haben Piraten getötet?“

„Um mein Leben zu verteidigen, jawohl“, antwortete der Seemann, „und zweihundert bis dreihundert werden es wohl gewesen sein. Oh, das habe natürlich nicht ich allein besorgt. Ich für meinen Teil werde vielleicht kaum fünfundzwanzig oder dreißig ins Jenseits geschickt haben. Die übrigen gehen auf das Konto meiner Mannschaft.“

In diesem Moment wurde die Sitzung unterbrochen. Im Nebenzimmer hörte man, wie mehrere Stühle umgeworfen wurden.

„Das ist ja unglaublich!“ schrie der Präsident erbost. „Was ist denn dort nur los!“

„Wie ich Ihnen schon sagte, man darf Louison nicht nervös machen“, entgegnete Corcoran. „Wollen Sie, daß ich sie hierherbringe, um sie zu beruhigen? Sie kann eben nicht lange ohne mich sein, ein rechtes Kind.“

„Monsieur!“ entrüstete sich einer der Herren Akademiemitglieder mit säuerlicher Miene. „Wenn man ein verrotztes Kind bei sich hat, dann wischt man ihm die Nase ab, ein verzogenes weist man zurecht, und ein schreiendes steckt man ins Bett; aber man läßt es nicht im Vorzimmer einer wissenschaftlichen Vereinigung warten!“

„Sie haben keine weiteren Fragen?“ erkundigte sich Corcoran, ohne dem Vorwurf Beachtung zu schenken.

„Pardon! Eine noch, Monsieur“, sagte der Präsident und schob mit dem Zeigefinger der rechten Hand den goldgefaßten Zwicker auf seiner Nase zurecht. „Sind Sie…? Nun, sehen Sie, Sie sind anständig, stark und gesund, das sieht man. Sie haben Bildung, und davon haben Sie uns ein schönes Beispiel gegeben, als Sie Hindi sprachen, obwohl niemand von uns diese Sprache versteht; aber sehen Sie…, sind Sie…, wie soll ich sagen…, schlau und listig? Denn Sie werden sicher Verständnis dafür haben, daß man das sein muß, wenn man zu diesen perfiden und grausamen Völkern reist. Und welches Interesse die Akademie hat, Ihnen die von unserem berühmten Freund Delaroche ausgesetzte Summe zuzuerkennen, welches Interesse sie hat, das hervorragende Gurukaramta, das die Engländer in ganz Indien vergeblich gesucht haben und dessen Schicksal wir in die Hände eines von uns so gewissenhaft ausgesuchten Mannes, wie Sie es sind, legen…“

„Ob ich schlau und listig bin, weiß ich nicht“, unterbrach ihn Corcoran. „Aber ich weiß, daß mein Schädel der eines Bretonen aus Saint-Malo ist, und die Fäuste an meinen Armen sind von etlichem Gewicht, mein Revolver ist ein gutes Fabrikat, und ich kenne niemanden, der je ungestraft Hand an mich gelegt hätte. Nur Feiglinge werden übertölpelt. Wir Corcorans machen unseren Nacken steif, wenn Gefahr im Anzug ist.“