Holkar ließ ihn nur durch einige Kundschafter verfolgen. Sugriva näherte sich ihm.
„Ich höre nichts“, sagte Holkar. „Ist Corcoran bereits tot oder zusammen mit meiner Tochter gefangengenommen worden?“
„Herr“, erwiderte Sugriva, „ich werde mich davon überzeugen. Sicher ist jedoch, daß Eure Tochter lebt, denn die Engländer haben großes Interesse, ihr kein Haar zu krümmen, und was den Kapitän betrifft, so habe ich ihn bei der Arbeit gesehen und kann nur sagen, daß die Kugel, die ihn töten soll, noch nicht gegossen wurde.“
Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als man seitens der Engländer wüstes Geschrei hörte. Das war niemand anders als Corcoran, genauer gesagt Louison, die sich Holkars Linien mit großen Sprüngen näherte, gefolgt von Sita und dem Bretonen, der die Nachhut bildete.
Als die Engländer die Pagode verlassen hatten, ahnte er, daß Holkar angekommen sein müsse; da er allerdings nicht allzu großes Zutrauen in die militärische Schlagkraft der Marathen hatte, hoffte er nicht, durch sie befreit zu werden. Er wollte nichts unversucht lassen, deshalb hatte er der schönen Sita seinen Plan unterbreitet.
„Wir sind fünfhundert Schritt von Ihrem Vater entfernt“, hatte er gesagt, „wollen wir es riskieren, uns zu ihm durchzuschlagen?“
Statt einer Antwort erhob sich Sita sofort, um ihm zu folgen.
„Passen Sie gut auf“, hatte Corcoran noch hinzugefügt, „die Schießerei hat begonnen, und Kugeln kennen weder Freund noch Feind, ich werde Louison auf dem linken Pfad, der mir weniger bewacht zu sein scheint, vorausschicken. Bei Louisons Anblick werden die fünf oder sechs Reiter, die dort postiert sind, das Weite suchen, da bin ich sicher. Sie folgen Louison, und ich folge Ihnen.“
Und tatsächlich, alle drei hatten glücklich das offene Gelände überquert, das sie vom Dschungel trennte, wobei sie sich die Verwirrung der Engländer zunutze machten, deren Aufmerksamkeit nur Holkar und dessen Soldaten galt; sie hatten sich dann durch das hohe Gras gekämpft und – durch den Gefechtslärm geführt – unverletzt Holkar erreicht.
Als der Fürst seine aus der Gefangenschaft befreite Tochter wiedersah, schloß er sie voller Rührung in die Arme und wandte sich an den Kapitän:
„Kapitän“, sagte er bewegt, „wie soll ich Ihnen das je vergelten?“
„Fürst Holkar“, erwiderte der Bretone, „sobald es Eure kostbare Zeit erlaubt und Ihr etwas Muße habt, bitte ich Euch, mit mir das sagenumwobene Schriftstück der Gesetze Manus zu suchen, das zu finden mich die Akademie zu Lyon hierhergeschickt hat; allerdings haben wir heute noch etwas anderes zu erledigen. Glaubt mir, das beste wäre, wir würden so schnell wie möglich nach Bhagavapur zurückreiten. Wahrscheinlich wird die englische Armee unter dem Kommando Colonel Barclays schon unterwegs sein, und einem wendigen Offizier dürfte es nicht schwerfallen, uns den Weg abzuschneiden…“
„Und Sie?“ fragte Holkar.
„Oh, ich, das ist etwas anderes… Wenn Ihr mir eines von Euren zwei Regimentern überlassen könntet, dann verspreche ich Euch, John Robarts in der Pagode einzuschließen und ihn wie einen Fuchs auszuräuchern. Stellt Euch vor, Hoheit, dieser hochnäsige Gentleman wollte mich erschießen lassen! Na, dem werde ich Manieren beibringen.“ Die Idee schien Holkar zu gefallen.
„Kapitän“, sagte er zu Corcoran, „begleiten Sie lieber Sita, und ich werde diesem feinen John Robarts die Kehle ein wenig ritzen.“
„Zu jeder anderen Gelegenheit würde ich Sita liebend gern begleiten, aber heute geht es beim besten Willen nicht… Robarts hat mich provoziert, ich habe noch eine Rechnung mit ihm zu begleichen.“
„Gut“, sagte Holkar, „ich bleibe.“
„Schickt wenigstens Eure Kundschafter den Engländern entgegen, damit man Euch rechtzeitig von ihrer Ankunft unterrichtet“, fügte Corcoran hinzu.
Sugriva wurde beauftragt, mit etwa dreißig Berittenen die Bewegung des Feindes zu überwachen.
Durch das Beispiel Holkars und des Kapitäns angespornt, die an der Spitze ritten, machten sich die Hindus entschlossen an die Einkreisung des Feindes. Sita hatte man auf ihren Elefanten gesetzt und unter guter Bewachung aus der Gefahrenzone gebracht. Die Engländer, die Holkars und Corcorans Absicht ahnten, zogen sich zurück.
John Robarts hatte bereits bei Holkars Eintreffen einen Soldaten zu Barclay geschickt, um diesen von der Gefahr, in der er schwebte, zu unterrichten. Als er entdeckte, daß Corcoran sich zu Holkar durchgeschlagen hatte, wurde ihm klar, daß seine Position sehr kritisch werden könnte. Ohne den Versuch zu wagen, durch die indischen Reihen durchzubrechen – dazu waren nun allerdings auch die Engländer zuwenig –, suchte er Zuflucht in der Pagode, die eben noch Corcoran als Festung gedient hatte.
Er ließ eher schlecht als recht die Öffnung verbarrikadieren, die seine eigenen Leute geschlagen hatten. Er ließ das Tor wieder in seine Angeln heben, dann schließen und dahinter alle Arten von Gegenständen auftürmen, um es zu stützen.
Als Holkars Soldaten erschienen, eröffneten dreiundvierzig englische Karabiner das Feuer. Es gab einige Tote und etwa zehn Schwerverletzte unter den Hindus, und dieser wenig glückliche Beginn kühlte doch merklich ihren Mut ab.
„Ich verspreche demjenigen tausend Rupien, der als erster den Fuß in die Pagode setzt“, sagte Holkar.
Aber diese Versuchung reizte niemanden. Die unglücklichen Hindus sahen sich schutzlos einem schrecklichen Beschuß ausgesetzt. Darüber hinaus schien der Feind in Sicherheit, sie jedoch mußten über offenes Gelände angreifen.
„Man sollte ihnen ein Beispiel geben“, sagte Corcoran zu Holkar, „denn die armen Teufel haben schreckliche Angst, Brahma und Wischnu gleichzeitig Aug in Aug gegenüberzustehen.“
Er stieg vom Pferd und, von etwa zwanzig Männern gefolgt, bemächtigte sich des Baumstammes, der schon den Engländern gegen ihn so nützlich gewesen war. Er und die Männer wuchteten ihn als Rammbock gegen das Tor der Pagode, das nach dem ersten Stoß auf die stützende Barrikade geworfen wurde. Bei diesem Anblick stießen die Hindus einen Freudenschrei aus, diese Freude allerdings war kurz, denn die englischen Karabiner schossen erneut in die Richtung der Angreifer, und diesmal auf eine so kurze Distanz, daß selbst die Kühnsten innehielten und nicht wagten, das feuerspeiende Bollwerk zu stürmen.
Corcoran, der ihr Zögern bemerkte, gab unverzüglich den Befehl zum Feuern, aber da hatte schon der gewaltige Pulverdampf einer doppelten Salve die Kämpfenden eingehüllt. Fünf Engländer waren tot oder schwerverletzt, zehn oder zwölf Hindus hatte das gleiche Schicksal ereilt. Der sichtlich von diesem Mißerfolg verschreckte Rest wich zurück. Selbst Holkar schien unentschlossen.
Ach, dachte der Bretone, wenn ich nur zwei oder drei meiner braven Matrosen vom Sturmsohn hier hätte, wir würden die Engländer schon weich klopfen, doch mit diesen Hasenfüßen ist nichts zu machen. „Wenn wir wenigstens eine Kanone hätten!“ meinte er, zu Fürst Holkar gewandt.
„Und wenn wir Feuer an die Pagode legten?“ erwiderte Holkar. „Was würden Sie dazu sagen?“
„Ich hätte diesen famosen und schlecht erzogenen Gentleman, der mich erschießen wollte, ja gern lebend gehabt“, sagte Corcoran, „aber da es kein anderes Mittel gibt, müssen wir ihn eben grillen.“
Und alsbald machten sich die Hindus daran, das trockene Dschungelgras abzuschneiden und um die Pagode zu schichten. Als sie soweit waren, es anzuzünden, hörte man in der Ferne Gewehrschüsse.
„Lassen wir die Engländer und Eure Rache“, sagte Corcoran zu Holkar, „und eilen wir lieber so schnell wie möglich nach Bhagavapur, denn dieses Gewehrfeuer, muß von Barclays Vorhut kommen.“