Doch ich muß mich geirrt haben, denn er antwortet mir: ‘Kermadeuc, alter Seebär, Sita ist eine Frau, die nicht ihresgleichen hat in der Welt’, und das stimmt, auch bei den Türken nicht und bei den Moskowitern erst recht nicht…
Also sage ich: ‘Käptn’, sage ich, ‘das ist egal. Sie machen ein Gesicht, als hätten Sie Gegenwind, und ich will kein verstockter Kelte sein, wenn das normal ist.’
Er dreht mir den Rücken zu, sagt nichts, also hab ich ins Schwarze getroffen. Aber zehn Tage drauf ist er ganz verändert. Er läßt mich eines Morgens kommen.
‘Man hat mir mitgeteilt, daß das Gurukaramta in einem Tempel in Pandara versteckt ist’, sagt er. ‘Willst du mit mir den Fluß hinauffahren?’
‘Wie Sie wollen, Käptn.’
Als Passagiere nur ich, der Käptn und Louison. Wir fahren noch am selben Abend los, Flußschiffahrt, sag ich Ihnen, wenn ich das schon hör, aber na ja, wir fahren am Vindhyagebirge vorbei. Rechts und links vom Fluß sieht man nur schwarzen Wald. Hin und wieder Tigergebrüll, Elefantengetrappel oder dieses tückische Pfeifen von Kobras. Also, Sommerfrische ist das gerade nicht, tagsüber röstet einen die Sonne, und nachts fressen einen die Moskitos auf. Morgens hatte ich Lippen wie eine Blutwurst, und meine Nase sah aus wie eine Kartoffel. Schließlich sind wir in ein Dorf mit lauter Fakiren gekommen. Wissen Sie, was ein Fakir ist, meine Herren, also, das ist so ein ganz besonders schmutziger Brauner, der ein Gelübde getan hat, sich niemals zu waschen.
Na ja, also, all diese Fakire sitzen um ihren Tempel rum, als wir ankommen. Nicht einer hebt den Kopf, und keiner sagt was Nettes. Der Käptn sieht das und pfeift Louison, die nur mal kurz faucht. Da wachen die ganzen Schlafmützen auf und rennen mit einemmal alle in den Tempel – ich dachte erst, die wären gelähmt, so elend sahen die aus, aber na ja, nichts war. Sie rennen also alle in den Tempel und schreien: ‘Da kommt Baber Sahib!’ (das heißt Tiger, wie mir der Käptn später erklärt hat) und weinen zu ihrem Schiwa.
Louison will ihnen folgen, aber der Käptn hält sie zurück, um die Leute nicht noch mehr zu erschrecken. Dann geht er direkt auf den Anführer der Fakire zu, das heißt auf den dreckigsten und zerlumptesten. Das war so ein Alter mit weißem Bart, der von den anderen sehr respektiert wurde. Na ja, der Käptn redet also mit ihm in seiner Kartoffelsprache, die wirklich nur was für Gelehrte ist, nicht für so einfache Leute wie mich. Was sie geredet haben, habe ich nicht verstanden, aber ich habe ihre Bewegungen gesehen, und der Käptn hat mir ja auch später alles erzählt. Der Käptn wollte immer das Gurukaramta haben, und der andere hatte es wohl, wollte es aber nicht hergeben. Also, sie reden und gestikulieren, und gestikulieren und reden den halben Tag. Na ja, und da kommt plötzlich Louison anspaziert, die langsam ungeduldig wird, erhebt sich auf ihre Hinterpfoten und legt ihre Vorderpfoten auf Corcorans Schultern; die Schmeichlerin will sich streicheln lassen. Als das der Fakir sieht, fällt er auf die Knie, schreit irgendwas, daß sich Brahmas Wille nun erfülle oder so und der Käptn die was weiß ich wievielte Inkarnation Wischnus ist, weil in den Büchern geschrieben steht, daß Wischnu mit einem gezähmten Tiger erscheinen wird. Dann holt er einen Haufen zerflederter Blätter und drückt sie dem Käptn in die Hand, na ja, und der guckt es sich an und tut überhaupt nicht überrascht, als ob er sein ganzes Leben schon immer Wischnu gespielt hätte.“
Dieser naiv vorgetragene Bericht hatte den größten Erfolg; der Präsident beglückwünschte Kermadeuc, daß er an dieser ruhmreichen Expedition zur Ehre Frankreichs hatte teilnehmen können, und drei Tage später las man in allen großen Pariser Zeitungen den Sitzungsbericht über diesen denkwürdigen Tag.
Demgegenüber erklärten die britischen Zeitungen einmütig, daß besagter Corcoran ein mieser Abenteurer sei, von Beruf Bandit, der das wertvolle Schriftstück des Gurukaramta einem englischen Reisenden gestohlen habe und sich darüber hinaus mit dem Halsabschneider Nana Sahib verbündet habe, um alle Engländer in Indien zu ermorden.
Die deutschen Zeitungen teilten sich in zwei Lager. Die einen versicherten, daß die Entdeckung des Gurukaramta alles andere als eine Neuigkeit sei; ihres Wissens sei das Buch schon seit langem veröffentlicht worden, und Doktor Cornelius Gunkel aus Berlin besitze ein Exemplar im Original, Doktor Hauffert aus Göttingen bereite seit langem eine Übersetzung vor, und Doktor Spellart aus Jena sei gerade dabei, einen Kommentar über den tatsächlichen Ursprung, seine Wirkung auf die immerwährende Idee, das Prinzip und die Struktur des Hinduismus sowie die nicht absehbaren Folgen für das Abendland zu verfassen.
Das andere Lager erklärte freiweg, daß das Schriftstück eine Fälschung sei; daß besagter Corcoran besagtes Gurukaramta niemals zu Gesicht bekommen hätte, geschweige denn Indien; daß die französischen Philologen den deutschen eh nicht das Wasser reichen könnten; daß – wie man ja hierzulande bestens wisse – diese eitle Nation zwischen Rhein, Alpen, Mittelmeer, Pyrenäen und Atlantik sowieso unfähig wäre, etwas Nützliches und Gutes vorzulegen; daß es eigentlich nur in der Lage sei, zu tanzen und Feuerwerke zu veranstalten; und wenn es tatsächlich einmal einige wenige gäbe, die etwas mehr Sinn und Verstand als die anderen hätten, so verdankten sie das ihrer deutschen Abstammung, weil sie wohl oder übel in Elsaß-Lothringen geboren seien, was wieder einmal konsequenterweise vor Augen führe, daß das Deutsche Reich diese beiden deutschen Provinzen wiederhaben müsse, die man heimtückisch vom großen Vaterland Hermann des Cheruskers abgetrennt habe; und daß schließlich deutsche Säbel, deutsches Denken, deutsche Gelehrsamkeit, deutsche Weisheit und deutsches Sauerkraut (mit Bratwurst!) über alles in der Welt gingen.
Worauf eine französische, sehr bekannte Zeitung erwiderte, wobei sie die unsterblichen Prinzipien von 1789 ins Feld führte, daß es jetzt endlich an der Zeit sei, die Freiheit der Meere und die Neutralisation der Meerengen zu regeln, was nun allerdings mit dem Problem des Gurukaramta eigentlich nicht das geringste zu tun hatte.
Ungeachtet dieses Gezeters in den europäischen Zeitungen lebte Corcoran glücklich und zufrieden in Bhagavapur und regierte nachsichtig sein Volk. Doch ein unvorhergesehenes Ereignis trübte die Freuden seines Lebens und, wie man im nächsten Kapitel sehen wird, auch die Freundschaft, die ihn mit Louison verband.
2.
Erste Eskapade Louisons
Eines Tages saß Corcoran in seinem Park unter dem Schatten üppiger Palmen. Dort hielt er seine Beratungen ab und übte Gerechtigkeit gegenüber den Marathen, wie es der heilige Ludwig weiland in Vincennes zu tun pflegte. Neben ihm las die schöne Sita im Gurukaramta und kommentierte die göttlichen Ratschläge.
Da erschien Sugriva. Der Leser wird sicher nicht vergessen haben, daß Sugriva der furchtlose Brahmane war, der Corcoran so tatkräftig geholfen hatte, die Engländer zu besiegen. In Würdigung seiner Verdienste hatte ihn Corcoran zum Ersten Minister ernannt.
Sugriva stellte sich vor Sita und Corcoran, hob die Hände dachförmig vor die Brust, streckte sie dann zum Himmel; danach setzte er sich auf einen der Perserteppiche und wartete darauf, daß der Maharadscha zuerst das Wort an ihn richtete.
„Was gibt es für Neuigkeiten?“ fragte Corcoran.
„Maharadscha“, erwiderte Sugriva, „im Reich ist es ruhig. Hier sind die englischen Zeitungen aus Bombay, sie schreiben nur das Allerschlechteste über Sie.“
„Arme Engländer, sie wollen mir eine Reputation verschaffen. Zuerst die Bombay Times.“
Er faltete die Zeitung auseinander und las laut vor: