„Jetzt, da der Sepoyaufstand niedergeschlagen wurde, scheint es an der Zeit, auch im Land der Marathen wieder für Ordnung zu sorgen und diesem französischen Abenteurer die Strafe zukommen zu lassen, die er verdient.
Wie wir erfahren haben, beginnt sich dieser Piratenkapitän, der von einer Bande internationaler Mörder unterstützt wird, dem Abschaum der zivilisierten Welt, in Bhagavapur und in seiner Umgebung häuslich einzurichten. Nicht zufrieden damit, daß er dem alten Fürsten Holkar Leben und Reich genommen hat, schreckt er auch nicht davor zurück, wie man hört, dessen Tochter Sita, den letzten Abkömmling der ältesten Herrscherdynastie Indiens, zu seiner Frau zu machen. Was muß es Schrecklicheres für diese Frau geben, die immer in der Angst lebt, eines Tages das gleiche Schicksal wie ihr Vater zu erleiden, als neben Holkars Mörder auf dem Thron sitzen zu müssen.“
„Bravo! Sehr gut!“ rief Corcoran aus. „Dieser Engländer beginnt bewundernswert. Es scheint, daß sie sich für stark halten, weil sie beginnen, mich zu verleumden. Schauen wir, wie es weitergeht.“
„Das ist noch nicht alles. Dieser Schurke, der, so sagt man, aus der Strafanstalt von Cayenne ausgebrochen ist, wo er mit Tausenden ähnlicher Galgenvögel eingekerkert war, hat das ganze Reich der Marathen in einem regelrechten Handstreich an sich gerissen. Mit einer zahlreichen Armee durchstreift er plündernd und brandschatzend das Land, unterwirft sich eine Provinz nach der anderen und überzieht alles, was sich ihm widersetzt, mit Feuer und Schwert…“ Corcoran warf die Zeitung zu Boden.
„So also wird Geschichte geschrieben“, sagte er. „Glaubt sich Lord Braddock mit diesen Lügen auf einen Kampf gegen mich vorbereiten zu müssen?“
„Herr“, sagte Sugriva. „Was wollen Sie unternehmen?“
„Ich? Nichts. Wenn Lord Braddock ein Mann wäre, der sich mit mir auf freiem Feld mit dem Degen in der Hand messen würde, dann würde ich ihm die Brust durchbohren, wie er es verdient hätte. Aber dieser große Mylord wird doch seine kostbare Herrenhaut niemals riskieren… Wir werden ihm mit gleicher Münze heimzahlen. Ich werde den Bhagavapurer Anzeiger beauftragen, eine Gegendarstellung zu drucken.“
„Lieber“, unterbrach ihn Sita, „willst du dich erniedrigen, indem du dich rechtfertigst?“
„Da sei Wischnu vor! Rechtfertigt man sich etwa, wenn man angeklagt ist, Vater und Mutter getötet zu haben? Mein Anzeiger wird schreiben, daß Barclay ein Esel sei, den ich arg verprügelt habe, daß der Gouverneur von Bombay ein Hanswurst und Habenichts und Lord Braddock ein Dieb wären, die man pfählen sollte, und daß alle drei vor mir zitterten wie das Kaninchen vor der Schlange. Und diese Dinge soll der Redakteur mit seinem schönsten indischen Stil ausschmücken und hinzufügen, was ihm sein Einfallsreichtum noch beschert. Da es ja in meinem Lande Pressefreiheit gibt, habe wohl auch ich das Recht, alles zu drucken, was gegen meine Feinde nützlich sein kann.“
„Was übrigens die Pressefreiheit betrifft, Herr“, sagte Sugriva, „die Zeitungen von Bhagavapur nutzen diese Freiheit weidlich aus und schreiben den ganzen Tag gegen Sie.“
„Aha. Oho. Und was schreiben Sie?“
„Daß Sie ein Abenteurer sind, der zu den schlimmsten Verbrechen fähig sei, daß Sie das Volk der Marathen unterdrücken und daß man Sie so bald wie möglich von der Erde vertilgen sollte.“
„Laß sie schreiben. Da ich ihr Herr bin, ist es nur natürlich, daß sie mir Übles nachsagen.“
„Aber Herr, wenn man gegen Sie revoltiert?“
„Weshalb sollten sie revoltieren? Wo finden sie denn einen besseren Fürsten?“
„Und wenn sie nun zu den Waffen greifen?“
„Wenn sie zu den Waffen greifen, verletzen sie das Gesetz. Wenn sie das Gesetz verletzen, werde ich sie erschießen lassen müssen.“
„Was? Du würdest keine Gnade vor Recht ergehen lassen?“ fragte Sita.
„Für ihre Anführer nicht. Wenn ein freier Mann das Gesetz verletzt, das ihm seine Freiheit und die der anderen garantiert, gibt es keine Entschuldigung dafür, und er verdient, daß man ihn deshalb aufknüpft, erschießt oder ins Exil schickt.“
Plötzlich unterbrach Corcoran das Gespräch und wandte sich an Louison, die neben Sita auf dem Teppich lag.
„Was meinst du?“
Louison antwortete nicht. Sie schien sogar die Frage nicht gehört zu haben. Ihr sonst so klarer, intelligenter und fröhlicher Blick irrte in die Ferne und schien am Horizont irgend etwas zu suchen.
„Louison ist krank“, sagte Sita.
Corcoran schlug auf den Gong. Sofort erschien Ali. Ihm hatte man das Wohlergehen Louisons anvertraut.
„Ali, hat Louison den Appetit verloren?“ fragte Corcoran.
„Nein, Herr.“
„Hat sie jemand geschlagen?“
„Herr, das würde niemand wagen.“
„Woher kommt denn ihre Zerstreutheit?“
„Herr, seit drei Tagen verläßt sie regelmäßig bei Sonnenuntergang den Palast und spaziert ganz allein im Mondlicht durch den Park.“
„Und wann kommt sie zurück?“
„Bei Sonnenaufgang. Am ersten Abend wollte ich die Pforte schließen, aber sie hat so böse geknurrt, daß ich Angst um mein Leben hatte, und bei Schiwa, ich möchte noch nicht die Erde verlassen.“
„Im Mondschein“, murmelte Corcoran nachdenklich.
„Herr“, sagte Ali, „sie ist nicht allein gewesen.“
„Aha. Hast du ihr Gesellschaft geleistet?“
„Ich! Herr, ich werde mich hüten, ihr Gesellschaft zu leisten. Ich wollte ihr zwar gestern abend folgen, doch sie mag es nicht, daß man sie überwacht. Sie hat mich angefaucht, so daß ich schnurstracks in den Palast zurückgelaufen bin.“
„Woher willst du dann wissen, daß sie nicht allein gewesen ist?“
„Als ich in den Palast zurückgekehrt war, stieg ich auf das Dach der Terrasse, und da sah ich die Tigerin im Mondschein. Sie hatte sich auf der Mauer ausgestreckt, die den Park umzieht, und schien auf irgendein Geräusch zu lauschen. Plötzlich sprang etwas zu ihr auf die Mauer. Ich sah einen Kopf und Krallen, denn es war ein schöner und starker Tiger; aber Louison war wohl unzufrieden, denn mit einem Tatzenschlag stieß sie ihn zurück, so daß er wieder in den Graben sprang. Er hielt sich wohl noch nicht für besiegt und fing wieder an zu schnurren; allerdings wagte er nicht, noch einmal auf die Mauer zu springen, denn die Mauer ist mehr als dreißig Fuß hoch, und er hätte sich eine Pfote verletzen können. Schließlich zog er sich knurrend und fauchend zurück.“
„Du lieber Himmel“, erwiderte Corcoran, „das muß ich mir unbedingt ansehen.“
3.
Großer Kampf
Seit sechs Uhr abends lauerte Corcoran im Park. Vorsichtshalber hatte er einen Revolver mitgenommen, falls er gegen Louisons Kavalier kämpfen mußte.
Was er tat, war nicht recht. Man soll sich nicht in die Angelegenheiten seiner Nächsten mischen, selbst seiner intimsten Freunde nicht; Corcoran wurde für seine Neugier bestraft, wie man gleich sehen wird.
Gegen Viertel nach sechs – er saß einige Schritte von der Stelle der Mauer entfernt, die ihm Ali beschrieben hatte – hörte er das Geräusch raschelnder Blätter. Das mußte der Fremde sein, der sich auf seinen Posten im Graben am Fuße der Mauer begab und der seine Anwesenheit dadurch kundtat, daß er unterdrückt fauchte, als wollte er (und das wollte er in der Tat) nur von Louison gehört werden. Diese ließ nicht lange auf sich warten. Sie sprang mit einem Satz auf die Mauer, warf einen Blick in den Graben – ohne sich um Corcorans Anwesenheit zu kümmern, den sie sehr wohl sah – und hörte, was ihr der Tiger zu erzählen hatte.
Es war ja lange Zeit Mode, daß man annahm, Tiere hätten nur einen Instinkt. Man glaubte, sie hätten keinen Verstand und würden nichts fühlen. Das hat sogar Descartes behauptet; Malebranche hat ihn bestätigt, und beide haben sich auf das Zeugnis mehrerer berühmter Philosophen berufen. Was nur beweist, daß klugen Leuten nichts durch den gesunden Menschenverstand beizubringen ist.