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„Entschuldigen Sie die Strenge dieser Befragung“, sagte Corcoran. „Ich habe Grund genug, den Engländern zu mißtrauen, und im ersten Moment habe ich geglaubt… doch der Brief von Sir William hat mir das Gegenteil bewiesen, ich werde Sie wie einen Freund behandeln. Ich werde Ihnen in Bhagavapur eine Unterkunft geben. Sagen Sie, was Sie für Ihre Forschungen brauchen. Verlangen Sie Elefanten, Wagen, Pferde, Diener, eine Eskorte, alles, was Sie wollen. Mein Palast ist der Ihre, und ich wäre glücklich, an meiner Tafel einen berühmten Gelehrten zu sehen.“

Dann verabschiedete er ihn, ohne die Dankbezeigungen, die ihm der Deutsche erweisen wollte, abzuwarten.

„Und du, Sugriva“, instruierte Corcoran den Ersten Minister, als der Deutsche gegangen war, „laß ihn nicht aus den Augen. Ich weiß nicht, warum, aber irgend etwas gefällt mir nicht an ihm. Verweigere ihm übrigens weder Geld noch Auskünfte, welcherart sie auch seien. Wenn er ein Spion ist, wird sein Verrat dadurch nur noch schwerwiegender; wenn er allerdings – was ich hoffen will – ein ehrenwerter Mann ist, so will ich nicht, daß er sich über mangelnde Gastfreundschaft beklagt.“ Sugriva verneigte sich und sprach:

„Herr, Ihr Wille ist Befehl.“

Teufel auch, sagte sich Corcoran, als er allein war, das ist so eine Gelegenheit, wo meine arme Louison ihre Spürnase hätte beweisen können. In zehn Minuten hätte sie den Spion unter der Maske des Gelehrten erkannt, wenn er wirklich ein Spion ist. Bei Brahma und Wischnu, sie wäre meine ideale Polizei. Wo sie wohl jetzt stecken mag? Sicher im Dschungel, mit ihrem großen Galan von einem Tiger… Ach, Louison, was bist du undankbar!

Er vergaß seine eigene Undankbarkeit. Aber man möge sich beruhigen. Er war viel früher im Begriff, Louison wiederzusehen, als er glaubte.

5.

Louisons Familie

Einige Tage später war der Deutsche schon zum untrennbaren Begleiter des Maharadschas geworden. Er war ein angenehmer Tischgenosse, gemütlich, sehr fröhlich, humorvoll, ein hervorragender Reiter, der leidenschaftlich gern jagte, der tiefsinnig und erschöpfend über Theologie, Theogonie, Kosmologie und Naturwissenschaften mit außerordentlicher Belesenheit diskutierte, dabei derart moderiert widersprach, daß ein Gespräch nicht in bockigem Schweigen endete, sondern durch die Andersartigkeit der Idee wieder neu belebt wurde; und letztlich war er für den kleinen Rama zum unentbehrlichen Spielgefährten geworden; er baute ihm Holzschiffe und Laternen, spielte mit ihm Kasperletheater; kurz, er war ein universeller Geist, und niemand dachte mehr daran, ihn zu überwachen.

Bei einer Gelegenheit wurde Corcoran jedoch in seinem Verdacht erneut bestärkt, aber an diesem Tag ereignete sich ein so unerwartetes und freudiges Ereignis, daß jede Unruhe durch die Freude über jenes Ereignis erstickt wurde.

Es war an einem Januarmorgen des Jahres 1860. Corcoran ritt zur Rhinozerosjagd, und Doktor Rückert begleitete ihn; mit von der Partie waren ebenfalls noch etwa zwanzig Bedienstete, die ihnen das Tier zutreiben sollten. Die beiden Weißen waren gute Reiter und aufs beste bewaffnet.

Sita sah aus dem Fenster ihres Gemachs, wie Corcoran davonritt, und hatte Mühe, den kleinen Rama zu bändigen, der Scindiah besteigen und ebenfalls das Rhinozeros jagen wollte.

Corcoran und sein Begleiter ritten bis zu der Lichtung, an der der Kapitän seinerzeit schon mit Holkar Jagd auf das Rhinozeros gemacht hatte, während sich die Treiber unter gewaltigem Geschrei in den Dschungel begaben und dort mit großen Steinen um sich warfen, um das Tier zu erschrecken und aus seinem Versteck hervorzulocken. Plötzlich klangen die Schreie anders. Sie hatten zwar ein Rhinozeros gesucht, dabei jedoch einen riesigen Königstiger geweckt, der ruhig im Schatten des Dickichts geschlafen hatte.

Er erhob sich langsam, streckte seine Glieder und warf einen zerstreuten Blick um sich. Er hörte den Lärm und, sei es, daß er durch die rätselhaften Geräusche erschreckt wurde, sei es, daß er harmonischere und sanftere Äußerungen gewohnt war, auf jeden Fall setzte er mit großen Sprüngen auf die Lichtung und gelangte direkt vor Corcoran, ohne jedoch vorher von jenem gesehen zu werden. Dieser saß, den Finger am Abzug seines Gewehres, am Rand der Lichtung zu Pferd und erwartete das Rhinozeros. Dabei spähte er aufmerksam in die Runde. Auf der anderen Seite sah Doktor Rückert zwar den Tiger heranstürzen, hätte seinen Begleiter auch ohne weiteres warnen können, tat es allerdings nicht. War er durch die Gefahr verblüfft worden? Oder hatte er, wie der Maharadscha es später einschätzte, in diesem Augenblick seinen Tod gewünscht?

Plötzlich senkte sich ein enormes Gewicht auf die Kruppe von Corcorans Pferd und drückte es zu Boden. Das war der Tiger, der von hinten angriff. Da der Bretone den Finger am Abzug hatte, löste der Sprung des Tigers den Schuß. Er war entwaffnet. Darüber hinaus fiel das verletzte Tier so unglücklich, daß der Reiter mit einem Bein unter den Bauch seines Pferdes zu liegen kam und hilflos und unbeweglich den Angriff des Tigers erwartete. Verzweifelt schrie er:

„Zu mir! Rückert! So schießen Sie doch. Schießen Sie doch endlich!“

Rückert blieb unbeweglich und wartete ab, obwohl er schußbereit war und jederzeit feuern konnte, ohne befürchten zu müssen, bei einem Schuß auf den Tiger den Kapitän zu treffen und dabei zu verletzen.

Trotz dieser verzweifelten Situation verlor Corcoran nicht den Mut. Da ihm keine Zeit blieb, nach dem Revolver zu langen, der in seinem Gürtel steckte, stieß er den Kolben seines Karabiners dem Tiger mit solcher Kraft vor das Maul, daß dieser von ihm abließ und aufheulend zurückwich.

Er hatte nur eine Sekunde gewonnen, aber das genügte Corcoran, sich aufzurichten und seinen Revolver zu ziehen. Mit der Linken packte er ihn und schoß auf den Tiger, der gerade wieder zum Sprung ansetzte.

Da machte ein unvorhergesehener Zwischenfall dem Kampf ein Ende.

Plötzlich erschien brüllend ein anderer Tiger, etwas kleiner als der erste, auf der Bildfläche, und anstatt seinem Artgenossen beizustehen, packte ihn dieser kleinere am Hals, warf ihn zu Boden und verabreichte ihm eine so gewaltige Maulschelle, daß dem Tiger Hören und Sehen verging, Corcoran vor Überraschung wie gebannt stand, und dem Doktor Rückert die Augen so groß wie Scheunentore wurden.

Dieser Tiger – vielmehr diese Tigerin mit dem seidig glitzernden Fell – haben Sie erraten, wer das war? Natürlich. Es war Louison. Der andere war ihr Gefährte Garamagrif, dem sie in den Wald gefolgt war und sich gemäß der Tigerzeremonie angetraut hatte.

Es wird viel über die Grausamkeit der Tiger geredet, und Monsieur de Buffon, ein Naturwissenschaftler, der mehr Stil als Wissen hatte, schrieb so schöne Dinge über den schlechten Charakter dieser Tiere; aber sagen Sie mir, welche Frau hätte wohl mehr Mut, mehr Treue und Feingefühl gezeigt als Louison in dieser Situation? Ich meinerseits kenne keine. Und was nicht weniger bewundernswert ist als die Anhänglichkeit Louisons an Corcoran, das ist die Selbstverleugnung und Unterordnung des männlichen Tigers, ihres Gatten, der widerspruchslos Louisons Zurechtweisung hinnahm, obwohl er sie nicht verdient hatte, denn schließlich verband ihn mit dem Maharadscha nicht das geringste.

Doch weiter im Text. Kaum hatte der Bretone die Tigerin wiedererkannt, als er die alte Zärtlichkeit für seine Freundin empfand. Er steckte den Revolver in den Gürtel zurück und rief ihr zu: „Louison. Meine liebe Louison! Komm in meine Arme!“

Und sie befolgte seinen Wunsch.

„Du wirst mit mir nach Bhagavapur zurückkehren“, sagte Corcoran.

Dieser Vorschlag, den sie zweifellos schon erwartet hatte, verwirrte Louison. Sie warf einen Blick über ihre Schulter auf den großen Tiger, der die ganze Szene mit dumpfer Trauer beobachtete. Der arme Junge zitterte bei dem Gedanken, allein gelassen zu werden.