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Da erkannte ich glücklicherweise, daß er ganz in meiner Nähe sein mußte, doch er beachtete mich anscheinend nicht weiter, weil er auf dem Weg zum Fluß war, um seinen Durst zu stillen.

Endlich sah ich ihn, aber nur im Profil. Sein Maul war blutverschmiert, er sah zufrieden aus und watschelte mit weit auseinander gespreizten Beinen wie ein Rentner, der nach einem guten Frühstück auf dem Boulevard des Italiens seine Zigarre spazierenträgt.

Zehn Schritt von mir entfernt schien ihm das trockene Schnappen meines Karabinerhahns einige Unruhe zu verursachen. Er wandte halb den Kopf, nahm mich durch das Gestrüpp, das uns voneinander trennte, wahr, blieb stehen und überlegte.

Ich richtete mein Auge fest auf ihn, aber um ihn mit einem Schuß töten zu können, hätte ich auf die Stirn oder das Herz zielen müssen, und obwohl er sich wie ein Salonlöwe beim Fotografen in Positur gesetzt hatte, verbarg er mir diese Stellen.

Nun, wie dem auch sei, auf jeden Fall ersparte mir die göttliche Vorsehung, daß ich an jenem Tag zu einem bedauernswerten Mörder wurde, denn dieser Tiger – oder vielmehr diese Tigerin – war niemand anders als meine liebe und charmante Freundin Louison, die uns jetzt so aufmerksam zuhört.

Louison hatte soeben gespeist, und das war ein großes Glück für mich – aber auch für sie. Sie dachte nur daran, in Ruhe zu verdauen. Nachdem sie mich einige Sekunden zweideutig angesehen – genau mit demselben Blick, mit dem sie gerade den ständigen Sekretär mustert – hier wechselte der Sekretär den Platz und ließ sich hinter dem Präsidenten nieder –, setzte sie ihren Weg gemächlich fort und wandte sich zum Fluß, der nur einige Schritt von uns entfernt war.

Ich marschierte hinter ihr her, den Karabiner im Anschlag und eine günstige Gelegenheit zum Schuß abwartend.

Aber da geschah die Überraschung. Als ich mich nichtsahnend einem am Flußufer liegenden Baumstamm näherte, sah ich plötzlich, daß dieser Baumstamm Tatzen und eine Hornhaut hatte, die in der Sonne glänzte; die Augen waren geschlossen, der Rachen stand offen.

Es war ein Krokodil, das sich wie ein Sommerfrischler auf dem Sand sonnte und dabei vor sich hin dämmerte. Kein Traum schien diesen stillen Schlummer aufzuregen. Es schnarchte friedlich, wie eben ein Krokodil, das nichts auf dem Kerbholz hat, schnarcht.

Dieser tiefe, friedliche Schlaf, diese gottergebene und selbstvergessene Pose, ich weiß nicht, was noch, vielleicht auch die für weibliche Wesen so typische Eingebung des Teufels schien Louison zu reizen. Ich sah, wie sie ihre Lippen bleckte. Sie lächelte wie ein Schülerbübchen, das seinem Schulmeisterlein einen Streich spielen will.

Lang und behutsam steckte sie ihre Pfote – so lang wie sie war – in den geöffneten Rachen des Krokodils. Sie versuchte doch tatsächlich, sich die Zunge des Schläfers als Dessert einzuverleiben; Louison war eben sehr naschhaft – ein Fehler ihres Geschlechts und ihres Alters.

Aber für ihre Hinterlist wurde sie streng bestraft.

Sie hatte kaum die Zunge des Krokodils berührt, als dessen Rachen zuschnappte. Dafür öffnete es die Augen – große Augen von meergrüner Farbe, die ich noch heute vor mir sehe – und betrachtete Louison mit einem Ausdruck des Staunens, des Zorns und des Schmerzes, der unmöglich zu beschreiben ist.

Louison war in einer mißlichen Lage. Die arme Kleine wand sich wie ein Teufel zwischen den spitzen Zähnen des Krokodils. Glücklicherweise hatte sie sich so kräftig in die Zunge des Krokodils gekrallt, daß das Unglückstier nicht wagte, all seine Kraft anzuwenden und ihr die Pfote abzubeißen; das hätte es sicher getan, wenn sich seine Zunge nicht in den Händen des Feindes befunden hätte.

Bis hierher war der Kampf gleich, und ich wußte nicht, wem ich mehr Glück gönnen sollte, denn schließlich war Louisons Absicht nicht löblich gewesen und ihr Scherz für ihren Gegner ziemlich unangenehm – aber Louison war so schön! Sie bewies soviel Anmut in ihrer Erscheinung, soviel Geschmeidigkeit in ihren Gliedern, soviel Würde in ihren Bewegungen. Sie ähnelte einer jungen Katze, die unter den Augen der Mutter in der Sonne spielt.

Aber zum Teufel! Sie wälzte sich ja schließlich nicht aus Spaß im Sand und stieß Schreie aus, die den Urwald ringsumher erzittern ließen. Die in gebührender Entfernung auf ihren Kokospalmen hockenden Affen beobachteten keckernd diesen schrecklichen Kampf. Die Paviane schnitten Louison Fratzen und äfften – den Daumen an der Nasenspitze und die übrigen Finger abgespreizt – die bekannte Geste der Pariser Gassenjungen nach. Einer von ihnen, der mehr Mut als die anderen zeigte, schwang sich von Ast zu Ast bis etwa sechs oder sieben Fuß über die Erde herab und kraulte ihr, sich mit dem Schwanz an einem Stamm festhaltend, mit den Fingerkuppen die Schnauze. Bei diesem Anblick brachen alle Paviane in lautes Gelächter aus; aber Louison machte eine so energische und drohende Bewegung, daß der junge Pavian, der sie gereizt hatte, den Schwanz einkniff und sich trollte, glücklich darüber, den mörderischen Zähnen seines Feindes entronnen zu sein.

Währenddessen versuchte das Krokodil die arme Tigerin in den Fluß zu ziehen. Sie verdrehte die Augen zum Himmel, als wolle sie ihn um Erbarmen anflehen oder doch wenigstens zum Zeugen ihres Martyriums machen, und senkte sie – zufällig? – wieder auf mich.

Was für schöne Augen! Welche Erhabenheit und hinschmelzende Ergriffenheit in diesem Blick voller Todesangst. Arme Louison!

Im selben Augenblick hatte das Krokodil Louison halb unter Wasser gezogen. Da entschloß ich mich.

Das kochende Wasser des Flusses zeigte Louisons Anstrengungen, sich zu befreien. Ich wartete eine halbe Minute, den Karabiner im Anschlag, den Finger am Abzug, das Auge auf das Ziel fixiert.

Louison, die, wenn Sie so wollen, ein Tier, aber keine Bestie ist, hatte sich in ihrer Verzweiflung mit der freien Pfote an einen echten Baumstamm geklammert, der am Ufer des Flusses lag.

Dieser Reflex rettete ihr Leben.

Sich mit aller Kraft gegen die Absicht des Krokodils sträubend, gelang es ihr, den Kopf über Wasser zu halten und, sich an den Stamm klammernd, der schlimmsten Gefahr – ertränkt zu werden – zu entgehen.

Mit der Zeit mußte auch das Krokodil das Bedürfnis verspüren, Luft zu holen; und so kam es, halb gutwillig, halb gezwungen, mit Louisons Pfote im Rachen an die Oberfläche. Darauf hatte ich gewartet. In Sekundenschnelle war sein Schicksal entschieden. Es ins Visier nehmen, abdrücken, ins linke Auge treffen und das Gehirn hinwegblasen – das alles war eine Sache von zwei Sekunden. Das unglückliche Tier öffnete den Rachen und wollte stöhnen. Es peitschte den Sand und das Wasser mit seinen vier Tatzen und verschied.

Die Tigerin hatte schon – viel schneller, als ich schießen konnte – ihre zerfetzte Pfote aus dem Rachen ihres Feindes gezogen.

Ihre erste Regung, muß ich sagen, war keine Bekundung des Vertrauens oder der Dankbarkeit. Vielleicht meinte sie, von mir mehr befürchten zu müssen als von dem Krokodil. Sie versuchte zunächst zu fliehen. Doch das arme Tier, nur auf drei Pfoten angewiesen, kam nicht sehr weit. Schon nach zehn Schritten hatte ich sie erreicht.

Ich versichere Ihnen, meine Herren, daß ich schon sehr viel Sympathie für sie empfand. Erstens hatte ich ihr einen unschätzbaren Dienst erwiesen, und wie Sie wohl wissen, gewinnt man seine Freunde viel eher durch die Dienste, die man ihnen erweist, als durch jene, die uns von ihnen erwiesen werden. Und zweitens schien sie mir doch einen guten Charakter zu haben, denn der Scherz, den sie sich mit dem Krokodil geleistet hatte, bewies doch eine natürliche Freude am Spiel; und der Spieltrieb, das wissen Sie ja selbst, meine Herren, ist schließlich charakteristisch für ein gutes Herz und ein ruhiges Gewissen.