Sechstausend Sklaven beiderlei Geschlechts hatten mit verbundenen Augen und auf dem Rücken gefesselten Händen vor der Stadtmauer, die kreisförmig verläuft, Aufstellung genommen. Hinter ihnen stand dieselbe Anzahl Soldaten mit gezücktem Säbel. Sie warteten auf einen Befehl ihres Sultans, der von seinem Thron herab das Zeichen geben würde.
Und dann sprach dieser Neger. Ich hörte nicht seine Worte, aber ich sah seine Gesten, ich sehe sie noch heute. Bei diesen Worten, bei dieser Geste fielen mit einemmal sechstausend Säbel auf sechstausend Hälse herab und schlugen sechstausend Köpfe ab. Ich zitterte vor Schrecken. Alice wollte weiterfliegen, doch ich bat sie zu bleiben, denn ich erhoffte mir, daß diese Tragödie einen Ausgang nähme, die der göttlichen Gerechtigkeit entspräche (wenigstens wollte ich etwas zu dieser Gerechtigkeit beitragen). Mit Hilfe eines bestimmten Mechanismus setzte ich zur Landung an.
Ich hatte mich nicht geirrt. Nach dieser schrecklichen Metzelei gab es unter der zuschauenden Menge, die die Stadtmauer von Segou umzog, einen Augenblick des Entsetzens, dann bemächtigte sich ihrer ein rasender Zorn, man stürzte sich auf die Wächter des Sultans, massakrierte sie, packte ihn selbst, erwürgte vor ihm seine Frauen und seine Kinder, aus ihren Leibern baute man einen Turm, auf die Spitze dieses Turmes legte man ein Brett, auf das man den Sultan festnagelte, und zwar derart, daß sein Kopf zum Himmel gerichtet war und er lebend zur Beute der Raubvögel wurde. Ich muß dir gestehen, mein lieber Maharadscha, daß ein solcher Anblick mir ein für allemal die Lust nahm, mich an den Ufern des Niger, des Nil oder Sambesi niederzulassen.
Wir kamen also auf meinen ersten Gedanken zurück, der darin bestanden hatte, eine einsame Insel zu suchen. Aber wo sollte man diese kostbare Insel finden, vor allen Piraten, Seeleuten und Glücksrittern geschützt? Mit Ausnahme des Pazifischen Ozeans gab es keinen Fingerhut voll Erde, auf den die Europäer nicht irgendeine zwei- oder dreifarbige Flagge gepflanzt hätten.
Wir suchten lange. Unser Luftschiff flog acht oder zehn Tage über dem Indischen Ozean und Mittelasien; aber wir fanden keine Insel, keinen Felsen, der sicher genug schien, unser Glück zu beschützen. Von oben gesehen kam uns der Kontinent wie eine gewaltige Ebene vor, die nur von kaum wahrnehmbaren Erhebungen durchbrochen war, auf deren Grund sich einige Bächlein wie Indus, Ganges, Brahmaputra ergossen. Euer Vindhyagebirge, auf das ihr so stolz seid, die Gebirgszüge des Ghats, ja selbst der Himalaja machten auf uns tatsächlich den Eindruck von Feldmarken, die ein normannischer Bauer errichtete, um die Grenze seines Ackers zu kennzeichnen, und die er mit einem Schritt überklettert.
Schließlich erblickten wir, als wir in südöstlicher Richtung zurückflogen, diese herrliche Gruppe von großen und unzähligen Inseln, unter denen Jawa, Borneo und Sumatra die bekanntesten sind. Dort zog uns alles an, die Fruchtbarkeit des Bodens, die Einsamkeit, das milde Klima. Die Menschen sind gesellige und wilde Tiere, die es lieben, sich zu Tausenden in einem Eckchen des Universums aneinanderzudrängen, um sich besser verschlingen zu können. Ich gerate in Wut, wenn ich diese Unfähigen sehe, die sich Staatsmänner nennen, wie sie ihr Volk in einen Käfig stecken, wo alles fehlt, Brot, Kleidung, Luft und Sonne, während fruchtbares Land ohne Bewohner bleibt.“
„Mein Freund“, unterbrach ihn Corcoran, „du hast recht, aber nun sag uns doch endlich, wo deine Insel liegt.“
„Meine Insel ist einzig in der Welt. Wenn du dir die Karte Ozeaniens betrachtest, so liegt sie etwa auf halbem Weg zwischen Australien und Kalifornien, etwa zweihundert Meilen südlich der Sandwichinseln.
Am fünfzehnten Juli letzten Jahres (dieses Datum ist mir deswegen im Gedächtnis geblieben, weil ich an diesem Tag immer die Gewohnheit hatte, meine Miete nicht zu bezahlen) fühlten wir uns von der vergeblichen Sucherei entmutigt. Mit einemmal erregte ein merkwürdiges Schauspiel unsere Aufmerksamkeit. Wir beugten uns über die Brüstung der Gondel und sahen etwa tausend Fuß unter uns einen amerikanischen Dreimaster in Seenot.
Die Oberfläche des Ozeans war ruhig; am Himmel war keine Wolke zu sehen, das Schiff hatte nichts von seiner Takelage verloren, trotzdem drehte es sich wild im Kreis, mit einer Geschwindigkeit, die von Minute zu Minute zunahm; dabei näherte es sich immer mehr einer Art von Strudel, aus dem der Wasserwirbel zu kommen schien – oder in ihn hineinfloß? Die Mannschaft und die Passagiere hatten sich aufgegeben, knieten an der Reling und schickten ein letztes Gebet zu Gott.
In der Tat, Gott allein hätte ihnen noch helfen können, denn die ganze Kunst der Seeleute, und wären sie noch so erfahren gewesen, hätte nichts gegen die blinde und unwiderstehliche Macht des Meeres ausrichten können. Der Strudel, in den das Schiff geraten, und der auf den Seekarten noch nicht vermerkt war, schien weitaus gefährlicher zu sein als der gefürchtete Malström vor Norwegens Küste. Das Zentrum des Wirbels war etwa tausendfünfhundert Meter von einer kleinen Insel entfernt, die ungefähr sieben oder acht Meilen im Durchmesser maß.
Plötzlich erscholl ein lauter Schrei von der Brücke des Schiffes. Der Dreimaster, der sich immer schneller drehte, war schließlich ins Zentrum des Strudels geraten und gesunken. Lange betrachteten wir voller Anteilnahme den Ort des Grauens; kein Überlebender zeigte sich. Das Meer hatte sich – Ironie die Schicksals – wieder beruhigt, als das Schiff gesunken war. Man hätte meinen können, ein böser Geist, der sich irgendwo versteckt hielt, hätte – zufrieden mit seiner Beute – dem Meer seine Ruhe wiedergegeben. Nach und nach fluteten die Wellen des Strudels in entgegengesetzter Richtung zurück und brachten all das wieder an die Oberfläche des Ozeans, was sie ihm eben genommen hatten. Der halbzerborstene Dreimaster wurde gegen die Felsklippen geschleudert…
Das also sahen wir, als wir uns über der Insel befanden; und wie zur Entschädigung für das eben Gesehene präsentierte uns die Natur in der Insel ihren ganzen Reichtum. Sie war, wie Fénelon sagte, gemacht, um den Augen zu gefallen. Wälder von Bananen, Orangen und Zitronen bedeckten ihren größten Teil. Der Rest war von einem Rasen überzogen, der viel feiner und dichter als der beste englische Rasen war. Inmitten der Täler flossen vier oder fünf Bächlein, deren Wasser so klar schimmerte, daß sich Tausende von Forellen darin tummeln mußten. Schließlich schien kein wilder oder zivilisierter Mensch je den Fuß auf unsere Insel gesetzt zu haben.
Ich sage unsere, denn wir zögerten nicht einen Augenblick. Seit dem ersten Augenschein hatte Alice entschieden, daß sie nur uns gehören könne. Der Strudel verteidigte sie gegen jeden Zugriff von der Meerseite her. Und was jene betrifft, die vom Himmel fallen, nun, so besaß glücklicherweise noch niemand außer mir das Geheimnis, Luftschiffe dorthin fliegen zu lassen, wo man wollte.“