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Die Depesche Napoleons ist so klar, so präzise und schmucklos abgefaßt, er hat alle möglichen Zwischenfälle, die dem Unternehmen zustoßen könnten, bedacht, daß man sie allein am Stil erkennen würde, wenn Unterschrift und Handschrift nicht den wahren Autor verraten würden.“

„Und welchen Gebrauch willst du von Napoleons Plänen machen?“

„Sie ausführen.“

„Hast du einhundertzwanzigtausend Mann zur Verfügung wie er?“

„Ich habe Indien, das scheinbar erschöpft am Boden liegt, aber wie eine Riesenschlange erwachen wird, bereit, sich auf seine Beute zu stürzen. Bedenke, daß ich in den Augen dieser armen Leute die elfte Inkarnation Wischnus bin. Seit zwei Jahren lassen Tausende von Brahmanen und Fakiren unter der Hand die Hindus wissen, daß Wischnu selbst Mensch geworden sei, um sie zu befreien. Man erfindet Legenden über mich. Man sagt – und ich lasse es zu, daß man es glaubt, denn es gibt nichts Nützlicheres als einen geheiligten Schwindel –, daß Kugeln an mir abprallen und Säbel sich verbiegen, wenn sie mich berühren. Zwei oder drei kritische Situationen, denen ich glücklich entkommen bin, haben meinen Ruf, übernatürlich zu sein, erhärtet. Du wirst in Bhagavapur ohne weiteres hundert Leute treffen, die schwören, mit ihren eigenen Augen gesehen zu haben, wie ich aus meinem Mund Flammen gespien und das Lager der Engländer in Brand gesetzt habe. Andere wollen miterlebt haben, wie ich mit meiner Reitpeitsche die ganze englische Kavallerie in die Flucht geschlagen habe. Je absurder diese Geschichten sind, desto eher werden sie geglaubt. Diese armen Hindus sind auf der Suche nach einem Helden und Rächer auf mich gestoßen. Wenn sich die Engländer noch drei oder vier Jahre so ruhig wie jetzt verhalten hätten, wäre ihr Untergang gewiß, denn ganz Indien hätte dann auf meinen Befehl hin zu den Waffen gegriffen.“

„Sie kennen deine Pläne und werden dir zuvorkommen. Du hast es am Brief dieses englischen Spions gesehen. Auf jeden Fall bereiten sie etwas vor.“

„Wenigstens Doubleface wird mir für alles zahlen“, sagte Corcoran. „Morgen früh, nach dem Frühstück, verspreche ich dir ein amüsantes Schauspiel.“

13.

Von der Erziehung und den Manieren des Misters George William Doubleface

Am nächsten Morgen gegen acht Uhr wurde Quaterquem durch den Lärm von Trommeln und Trompeten geweckt. Das ganze Volk schien sich auf den Straßen und Plätzen von Bhagavapur versammelt zu haben. Gleichzeitig wieherten im Hof des großen Palastes die Araberpferde.

Quaterquem fragte einen der Bediensteten nach dem Grund der Unruhe.

„Herr“, erwiderte der Hindu, „der Maharadscha gibt ein großes Fest für sein Volk.“

„Was für ein Fest soll denn das sein?“

„Heute werden wir den Engländer hängen.“

„Armer Doubleface“, meinte Quaterquem.

Er kleidete sich hastig an, um nichts von dem Schauspiel zu verpassen, das sich so lautstark ankündigte. Corcoran erwartete ihn schon. Das Frühstück war aufgetragen, und Sita und Alice setzten sich den beiden Freunden gegenüber.

„Könnten Sie ihn nicht meinetwegen begnadigen und nach Kalkutta schicken?“ fragte Alice den Maharadscha. „Immerhin ist er ein Landsmann. Und Sie, teure Sita, möchten Sie nichts für den Unglücklichen tun?“

„Wischnu ist mein Zeuge“, sagte die sanfte und charmante Tochter Holkars, „daß ich einen Abscheu davor habe, Blut zu vergießen; aber ich glaube Corcoran in den Rücken zu fallen, wenn ich ihn um das Leben dieses Verräters bitte.“

„Meinetwegen“, sagte Quaterquem, „sollte man alle Verräter der Welt hängen. Ich bin nicht verärgert, daß man mit diesem beginnt.“

„Nun, es bleibt ihm immerhin noch eine Chance“, fügte Corcoran hinzu, der bis jetzt geschwiegen hatte. „Ein Strohhalm, an dem er sich retten kann, wenn er will. Ein Verrat mehr oder weniger, darauf kommt es doch bei einem Doubleface nicht an.“

Dann ordnete er an, daß man ihm die Gefangenen vorführen sollte.

Doubleface erschien mit stolzer Miene. Baber folgte ihm. Beide waren mit Eisenketten an Händen und Füßen gefesselt.

„Sie wissen, was Sie erwartet?“ fragte der Maharadscha den Engländer.

„Ich mache mir keine Illusionen“, antwortete dieser.

„Sie wissen ebenfalls, um welchen Preis Sie Ihr Leben und Ihre Freiheit retten können?“

„Ich weiß es. Hängen Sie mich.“

„Ich bin betrübt“, sagte Corcoran, „daß Sie damit einverstanden sind, ein solches Gewerbe auszuüben; immerhin sind Sie doch ein anständiger Mensch.“

„Pah“, meinte Doubleface. „Man übt das Gewerbe aus, das man beherrscht. Wenn ich als Sohn eines Lords geboren wäre, dann würde ich jetzt General in der Armee oder Gouverneur von Indien, Gibraltar oder Kanada sein; ich würde in der Öffentlichkeit Bemerkungen machen, die jeden Sinns entbehren, und für diese Lächerlichkeiten wie einer der höchsten Politiker gefeiert werden; ich würde mit dem Hochadel meiner Grafschaft zur Fuchsjagd gehen; ich würde zu jedem Bankett eingeladen und Toasts auf die anwesenden Damen ausbringen, die an Lächerlichkeit den öffentlichen Erklärungen in nichts nachständen. Aber das Schicksal hat es anders gewollt. Meinen Vater kennt niemand. Meine Mutter hat mich – weiß Gott wie – in den Straßen von London aufgezogen. Mit zehn kam ich als Moses auf ein Schiff, das Kaffee und Zucker von der Insel Mauritius transportierte; ich bin fünf- oder sechsmal um die Welt gesegelt, habe sieben oder acht Sprachen gelernt und bin schließlich, da das nicht ausreichte, ein Gentleman zu sein, Chef der Geheimpolizei von Kalkutta geworden. Lord Braddock hat mir diesen Auftrag angeboten, und ich habe angenommen. Ich wußte, daß ich riskierte, gehängt zu werden. Ich habe gespielt und verloren. Machen Sie mit mir, was Sie wollen. Den jedoch verraten, der mir den Auftrag gegeben hat – nein, das kommt nicht in Frage. Es gibt so etwas wie Berufsethos.“

„Gut“, sagte Corcoran. „Ich bin entschlossen. Dir, Freund Baber, werde ich genau wie dem Engländer die Chance bieten, nicht gehängt zu werden. Auch du kannst davon profitieren.“

Und sich an die Eskorte wendend: „Man soll beide in die Elefantenarena führen!“

Alle Welt weiß, daß die Elefantenarena von Bhagavapur, die in ganz Hindustan berühmt war, nach den Plänen und auf Anordnung des Poeten Valmiki, Architekt und gleichzeitig Autor des Ramayanas, erbaut worden war.

Das war eine runde Backsteineinfriedung, von außen völlig glatt, die im Innern eine weite Arena umschloß, einem römischen Circus nicht unähnlich. Die niedrigsten und vom Publikum gleichsam begehrtesten Plätze lagen achtzehn Fuß über der Arena, die noch einmal in eine innere Einfriedung unterteilt war, die von hohen und dicken Stämmen gebildet wurde, die so eng standen, daß sich kein Mensch durch sie hätte zwängen können, um ins Innere der Arena zu gelangen.

Dort also sollte, zum großen Vergnügen der Einwohner von Bhagavapur, der Kampf zwischen Baber und Doubleface stattfinden. Dem Sieger würde Corcoran das Leben schenken.

Die gnadenlos vom klaren Himmel herabbrennende Sonne beleuchtete die imposante Szenerie. Ganz Bhagavapur war auf den Beinen, saß im Rund des Amphitheaters und erwartete neugierig den Beginn des Festes. Männer, Frauen und Kinder aßen, tranken und lachten beim Gedanken an den Gesichtsausdruck des unglücklichen Engländers, wenn er seinen letzten Seufzer tun würde. Denn man rechnete damit, daß Baber den Kampf gewinnen würde. Er war schließlich ein Hindu.

Um die Ungeduld der Menge ein wenig zu beruhigen, ließ man zuerst einen wilden Elefanten los, den man am Vorabend im Dschungel gefangen hatte. Zusammen mit drei zahmen Elefanten, einer rechts, einer links, einer hinter ihm, stürmte er in die Arena. Die drei zahmen Elefanten pufften und stießen ihn mit dem Rüssel, um ihn mit seinen neuen Aufgaben vertraut zu machen. Die erschreckte Miene des armen Elefanten bot den vierzigtausend ein erquickliches Schauspiel. Das arme Tier! Er war auch das Opfer eines Verrats geworden. Eine junge Elefantendame hatte ihn in die vorbereitete Falle gelockt, und jetzt war er dem Vergnügen der Menschen ausgeliefert.