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Der wolkenlose Himmel und die klare Atmosphäre gestatteten, auch die kleinsten Details der Landschaft zu bewundern. Quaterquem, der neben seinem Freund in der Steuerkabine saß, richtete sich genauso sicher nach den Sternen wie ein Seemann auf See nach dem Kompaß.

„Hörst du den Fluß, der zwischen diesen beiden Bergketten hindurchrauscht? Erkennst du ihn? Das ist der Narbada. Die Berge rechts sind ein Teil des Ghats; jene links, die uns ihre dunklen Gipfel entgegenstrecken, gehören zu einer Kette des Vindhyagebirges…“

Sie flogen über das nachtklare Land, blickten auf die fernen Berge, erkannten unter sich den Dschungel, dann Steppe, schauten auf den dunklen Fleck einer großen Elefantenherde, die sich ihren Weg durch die Wälder bahnte.

Quaterquem machte eine leichte Bewegung. Das Steuerruder gehorchte seiner Hand wie ein gehorsames Kind der sanften Stimme seines Lehrers. Nach fünf Minuten schwebte das Luftschiff über einem befestigten Lager, das mit starken Palisaden umgeben und mit etwa hundertfünfzig Kanonen bestückt war. Die Fregatte senkte sich herab. Quaterquem warf den Anker in eine riesige Palme, und Corcoran kletterte mit Hilfe einer Strickleiter zur Erde.

„Warte auf mich“, sagte der Maharadscha, „in einer Stunde bin ich wieder hier.“

Dann wandte er sich, ohne auf Wachen zu stoßen (denn er war im inneren Bezirk des Lagers gelandet), zum Zelt von General Akbar, was soviel wie „der Siegreiche“ bedeutet, ein Titel, der ihm aufgrund seiner zahlreichen Niederlagen verliehen worden war.

Akbar saß auf einem Teppich. Seine ranghöchsten Offiziere umstanden ihn und rauchten schweigend.

„General Akbar, haben Sie Neuigkeiten vom Maharadscha erhalten?“ fragte einer von ihnen.

„Nein“, erwiderte Akbar.

„Er sitzt in seinem Palast in Bhagavapur und hat uns hier vergessen.“

„Der Maharadscha vergißt niemanden“, sagte Akbar.

„Inzwischen rücken die Engländer vor. In drei Tagen werden sie uns angreifen. Weiß das der Maharadscha?“

„Der Maharadscha weiß alles“, sagte Akbar.

„Wenn er es weiß, warum ist er dann nicht bei uns?“ Bei diesen Worten betrat Corcoran das Zelt.

„Wer sagt dir denn, daß er nicht hier ist, Oberst Hayder?“ fragte er scharf.

Sofort fielen alle Anwesenden auf die Knie und hoben ihre Hände zum Himmel.

„Der Maharadscha ist überall und sieht alles“, sagte Corcoran. „Er ist das rechte Auge Brahmas auf Erden. Er bestraft Nachlässigkeiten. Er ahndet Verrat.“

„Gnade! Gnade, Herr!“ rief Oberst Hayder, der sich schon gepfählt sah.

„Wer an mir zweifelt, verdient bestraft zu werden“, sagte Corcoran. „Aber ich werde dich nicht bestrafen. Du wirst allerdings die Armee verlassen, denn in ihr kann ich nur Männer gebrauchen, die wissen, daß mir Brahma seine Kraft und Allmacht gegeben hat.“

Nach diesem Exempel, das er für notwendig hielt, ließ sich der Bretone über die Situation der Armee und ihre Versorgung informieren; er zeigte sich seinen Soldaten, um sie zu ermutigen. Nachdem sich die Neuigkeit, daß er im Lager sei, unter den Soldaten verbreitet hatte, stießen sie Freudenschreie aus und zündeten Fackeln an, die seinen Weg erhellten.

„Lang lebe der Maharadscha! Lang lebe der Nachfolger Holkars, des letzten der Raghuiden!“

„Es ist gut“, sagte Corcoran. „Löscht die Feuer und kehrt in eure Zelte zurück.“

Man gehorchte ihm auf der Stelle. Sein Erscheinen, das ans Wunderbare grenzte, denn keine Wache hatte ihn ins Lager kommen sehen, verstärkte noch die ohnehin verbreitete Meinung, daß er die elfte Inkarnation Wischnus auf Erden sei.

Der Maharadscha verabschiedete seine Soldaten, gab den Offizieren letzte Weisungen, entfernte sich wieder und stieg über die Strickleiter wieder in die Fregatte hinauf.

„Ich habe eben einem armen Teufel gehörige Angst eingejagt“, sagte er und erzählte Quaterquem, was sich in dem Zelt zugetragen hatte.

„Welches besondere Vergnügen hast du denn daran, Verräter und Angsthasen zu regieren?“ fragte ihn Quaterquem. „Eines Tages werden dich diese Leute hinterrücks über den Haufen knallen.“

„Ach, lieber Freund“, erwiderte Corcoran, „es ist schon ein hartes Geschäft, Menschen zu regieren, aber ich kenne niemanden, der der Sache überdrüssig geworden wäre.“

„Und Karl der Fünfte?“

„Pah! Ein armer Teufel von Herrscher, der Gicht und Verdauungsbeschwerden hatte.“

„Und Diokletian?“

„Er hatte Angst, von seinem Schwiegersohn Galerius erwürgt oder vergiftet zu werden… Aber genug gerätselt über die Alten und die Heutigen. Besuchen wir jetzt lieber unsere Freunde, die Engländer. Ihr Lager muß nicht weit von hier sein. Nach dem Rapport meines treuen Akbar stehen sie dreiundzwanzig Meilen von ihm entfernt in südwestlicher Richtung, auf einem kleinen Hügel, der sich als Halbinsel in das Kerartal hineinschiebt.“

Quaterquem korrigierte die Flugrichtung, als ein gewaltiges Lachen, das aus dem Hintergrund der Fregatte zu ihnen drang, ihre Aufmerksamkeit erregte.

Acajou lachte aus vollem Halse, wobei er einen in der Dunkelheit kaum zu erkennenden Gegenstand betrachtete.

„Was ist denn mit dir los?“ fragte Quaterquem erstaunt.

„Oh, Mister Quaterquem, nicht ärgern!“ rief er, wobei er nicht aufhörte zu lachen. „Sie werden auch lachen, gleich. Acajou ist guter Neger, hat großen Spaß.“

Damit packte er mit seinen starken Armen den Gegenstand und brachte ihn, trotz dessen Widerstand, seinen Herren zu Augen. Beim Licht der Bordlampen erkannten sie den Gegenstand. Es war ein Mensch: Baber.

Der Hindu hatte einen Knebel im Mund, seine Hände waren ihm auf dem Rücken zusammengebunden. Und was die Beine betraf, die ebenfalls mit einem Strick gefesselt waren, so hatte es der Hindu, geschickt und wendig, wie er war, fertiggebracht, die Stricke schon teilweise zu lösen.

„Welches seltene Wild hast du uns da angeschleppt?“ fragte Quaterquem.

„Sie verstehen? Wenn seltenes Wild guten Herrn anfällt, dann wirft Acajou seltenes Wild über Bord. Aber Baber ist gutes Wild, tut niemand was.“

„Hat er sich etwa in die Fregatte geschmuggelt?“ fragte Corcoran. „In diesem Fall wirf ihn aus der Gondel. Ich begnadige nur einmal.“

„Nein, nein, Mister“, unterbrach ihn Acajou lebhaft. „Ich habe gesehen, wie er sich geschlagen hat mit Doubleface. Baber hat Doubleface erwürgt. Das heißt, eigentlich hat sich Doubleface selbst erwürgt. Acajou fand das feine Leistung, hat ihm viel imponiert. Acajou erwartet Baber auf dem Weg, bittet ihn um Rezept, Engländer zu erwürgen. Baber ist unhöflich, will kein Rezept hergeben. Ich bin guter Neger, tu niemand was, schlag Baber nur ganz kleines bißchen gegen die Brust, schon fällt er um. Steht wieder auf, will Acajou beißen und kratzen, Acajou an Haaren reißen, spucken, kreischen, plärren. Acajou ist ganz friedlich, holt Strick von Baber, bindet Hände von Baber zusammen, Füße von Baber, packt Baber, stellt ihn in eine Ecke der Gondel, will Baber Nini mitnehmen, damit Zozo lachen kann.“

„Der Teufel soll deinen Baber und Zozo holen“, sagte Quaterquem unwirsch. „Was sollen wir denn mit diesem Kerl machen? Man kann ihn nicht aus der Fregatte werfen, denn er ist schließlich gegen seinen Willen in sie hineingekommen. Ihn bewachen ist nicht sicher. Ihn aussetzen würde uns Zeit kosten. Zum Teufel mit diesem Baber!“

Diese Überlegungen machte er in französischer Sprache, die Baber unbekannt war. Er sah allerdings an Quaterquems Gesichtsausdruck, daß seine Anwesenheit in der Gondel den Reisenden gar nicht gefiel.