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Obwohl er noch nicht schlief, träumte er schon. Er träumte vom Oberhaus und von Westminster Abbey. Köstliche Träume!

Seine Vorkehrungen waren getroffen. Unter seinem Kommando hatte sich die schlagkräftigste Armee versammelt, die jemals in Hindustan gekämpft hatte. So listig und wendig Corcoran auch sein mochte, diesmal würde man ihn überraschen, denn man wollte sein Land ohne Kriegserklärung überfallen. Vielleicht war er sogar bereits tot – Barclay war über den Ausgang der Konspiration Doublefaces noch nicht unterrichtet –, wenn er die Grenzen überschritt, und mit welchem Feind würde man es dann wohl schon zu tun haben?

Am Sieg der englischen Waffen gab es demnach nicht den mindesten Zweifel.

Er würde also ohne nennenswerten Widerstand in Bhagavapur einziehen.

Er würde damit England ein Reich mehr bescheren können. Er würde in einem Namen mit Clive, Hastings und Wellesley genannt werden.

Sein Anteil an dem Fischzug würde also gewiß nicht weniger als drei Millionen Rupien betragen.

Nun, mit zwölf Millionen französischen Franc und dem Titel „Der Sieger von Bhagavapur“ müßte er notwendigerweise einen Sitz im Oberhaus und den Titel eines Marqueß bekommen. Um da ganz sicherzugehen, könnte man sich ja den Marqueßtitel einer Grafschaft kaufen.

Zufälligerweise war in der Grafschaft Kent, fünf Meilen von Dover entfernt, ein nagelneues Schloß, Oak Castle, zu verkaufen, das von einem Händler aus der Londoner City erbaut worden war, der allerdings in dem Moment bankrott ging, als er sich im Schatten der zahlreichen Eichen und Buchen von ebendiesen Geschäften erholen wollte. Oak Castle stand zum Verkauf. Und zu dem Schloß gehörten dreitausend Hektar Wald, Wiese und Felder.

John Barclay, Lord Andover, war auch nicht in der Verlegenheit, sein Schloß nicht bevölkern zu können. Dank einer Fügung des Himmels war Lady Andover (respektive Mistreß Barclay) mit einer außerordentlichen Fruchtbarkeit gesegnet – bis jetzt hatte sie vier Söhnen und sechs Töchtern das Leben geschenkt.

Der älteste Sohn, James, würde der künftige Lord Andover werden. Er diente bei den Horse Guards und gab seiner Mutter Anlaß zu den größten Hoffnungen, denn bis jetzt hatte er schon zweitausend Pfund Schulden gemacht. Die anderen drei Söhne…

Als Barclay gerade die Zukunft seiner anderen Söhne erträumen wollte, wurde er durch tumultartigen Lärm, der unweit seines Zeltes anhob, aus den süßen Phantastereien gerissen.

„Herr“, hörte er eine Stimme auf Hindi, „ich will den General sprechen!“

„Was willst du von ihm?“ fragte Barclays Adjutant.

„Herr, ich kann es nur dem General selbst sagen.“

„Dann komm morgen wieder.“

„Morgen!“ rief der Hindu entsetzt. „Morgen wird es zu spät sein!“

Er versuchte erneut das Zelt zu betreten. Barclay hörte wiederum Lärm, dann Schläge und die Stimme des Adjutanten:

„He! Zwei Männer zu mir. Führt diesen komischen Kauz ab und sperrt ihn bis morgen ein.“

„Morgen!“ schrie der Hindu verzweifelt. „Morgen werdet ihr alle tot sein!“

Bei diesen Worten sprang Barclay vom Bett, suchte nach den Pantoffeln und schlug, nachdem er sie an den Füßen hatte, auf den Gong.

Sofort erschien sein indischer Kammerdiener.

„Dyce“, fragte der General, „woher kommt dieser Lärm?“

„Herr“, erwiderte Dyce, „es handelt sich um einen Unglücklichen, der den Schlaf Eurer Ehren unterbrechen wollte, unter dem Vorwand, Euer Ehren eine wichtige Mitteilung machen zu wollen. Aber Major Richardson wollte nicht, daß man Euer Ehren weckt, und hat den Hindu mit einem Faustschlag zu Boden gestreckt.“

„Ruf Richardson.“ Der Adjutant trat ein.

„Wo befindet sich der Mann, den ich soeben gehört habe?“ fragte Barclay.

„General“, antwortete Richardson, „er ist in guter Obhut.“

„Warum haben Sie mich nicht von seiner Anwesenheit benachrichtigt?“

„General, ich habe gedacht, daß man Ihren kostbaren Schlaf nicht stören sollte.“

„Da haben Sie falsch gedacht“, sagte Barclay trocken. „Führen Sie mir den Mann vor.“

Verstimmt verließ Richardson das Zelt. Fünf Minuten später erschien der Hindu vor dem General. Er war ein Mann von etwa fünfzig Jahren, lang, hager, schlecht gekleidet, dessen malträtierte Wange noch die Spuren von Richardsons Faustschlag aufwies. An der Hüfte bedeckte eine blutverschmierte Serviette nur unzureichend eine Verletzung, die offensichtlich schwererer Natur sein mochte. Kurzum, es war unser Freund Baber.

Beim Anblick des Generals nahm er eine unterwürfige Haltung an und wartete gesenkten Blickes darauf, daß der General das Wort an ihn richtete.

„Wer bist du?“ fragte der General.

„Ein armer Parse, General, der der Armee folgt und den Soldaten Reis, Salz, Butter und Zwiebeln verkauft.“

„Dein Name?“

„Baber.“

„Was willst du von mir?“

„General“, sagte der Hindu, „ich bin gekommen, um Euch zu retten; aber man hat mich mit Faustschlägen und Kolbenstößen daran gehindert. Der Major hat mir zwei Zähne eingeschlagen.“

Dabei zeigte er auf seinen blutverschmierten Mund und holte ein schmutziges Tuch aus seiner Tasche, in dem die beiden Zähne eingewickelt waren.

„Schon gut, man wird sie dir bezahlen“, sagte Barclay. „Du wolltest uns also retten? Vor wem denn?“

„Herr“, sagte der Hindu, „man hat Euch verraten.“

„Wer sollte das tun?“

„Ich habe Sikhsoldaten im Lager darüber reden hören. Alle Unteroffiziere sind auf seiner Seite.“

„Auf wessen Seite?“

„Auf der Seite des Maharadschas.“ Dieser Name machte Barclay nachdenklich.

„Wo ist der Maharadscha?“

„Herr, ich weiß es nicht genau. Bevor ich zu Euch kam, habe ich von zwei Sikhsoldaten gehört, daß er mit seiner Reiterei auf der Straße nach Bombay sein soll, drei Meilen von uns entfernt.“

Diese Neuigkeit war besorgniserregend. Barclay betrachtete den Hindu. Sein listiges, aber unbewegliches Gesicht ließ keine weiteren Schlüsse zu. Andererseits hatte er von seinen Kundschaftern nichts über eine Truppenbewegung des Feindes gehört.

„Nenn mir die Verräter“, sagte er.

„Herr“, erwiderte Baber, „ich will es gern tun. Aber Ihr könnt Euch nur noch auf Eure Garde verlassen. Jeden Moment kann der Aufruhr losgehen!“

„Richardson, lassen Sie diesen Mann bewachen und alle englischen Regimenter leise wecken. Sollte es tatsächlich einen Verrat geben, so werden wir die Verräter überraschen und ihnen eine Lektion erteilen, die ganz Indien in unliebsamer Erinnerung bleiben wird.“

Man führte Baber weg. In dem Augenblick allerdings, als Richardson Befehl geben wollte, die englischen Regimenter unauffällig zu wecken, ertönte ein lauter Ruf: „Feuer! Feuer!“

In Sekundenschnelle schien das ganze Lager in Flammen zu stehen. An fünf oder sechs verschiedenen Orten war gleichzeitig Feuer ausgebrochen, ohne daß man es vorher bemerkt hätte.

Sofort erscholl Trommelwirbel, Trompeten schmetterten und riefen alle Soldaten zu den Waffen. Kavalleristen, Infanteristen, Artilleristen, plötzlich geweckt, liefen halb bekleidet umher und wußten nicht, gegen welchen Feind sie eigentlich kämpfen sollten.

Das Feuer hatte zuerst die Stelle erfaßt, an der die Händler lagerten. In wenigen Augenblicken brannten die leichten Wägelchen lichterloh. Die Flammen breiteten sich in Windeseile weiter aus und erreichten die Munitionskästen, in denen Kugeln, Granaten und Pulver lagerten. Die ersten Pulverkisten explodierten. Schon waren die Mannschaften, die für die Verpflegung und den Nachschub mit Munition zuständig waren, in heilloser Flucht den Hügel hinabgestürmt. Frauen, Kinder, Pferde und Maultiere folgten ihnen und vergrößerten das Durcheinander. Von allen Seiten schrie man: „Verrat! Verrat!“