„Ja“, erwiderte Corcoran, „es ist allerdings ein schreckliches Gewerbe.“
„Schrecklich? Aber in allen Londoner oder Pariser Salons stellen doch jeden Tag die distinguiertesten Männer in aller Nüchternheit Berechnungen an, wie sie zu einigen hunderttausend Franc mehr kommen können, was möglicherweise den Tod von einigen Tausenden Menschen zur Folge haben könnte. Ich kenne in Bombay drei ehrenwerte Händler – zwei Parsen und einen Engländer –, die Gott fürchten, jeden Morgen und Abend zu ihm beten, und die sich letztes Jahr zusammengetan haben, um in der Provinz das Reismonopol zu erwerben. Nach vierzehn Tagen hatte ihr Schachzug den Reispreis um das Doppelte in die Höhe getrieben. Von diesem Reis leben dreißig Millionen Menschen. Vierzigtausend Inder sind vor Hunger gestorben; der Rest mußte den Gürtel enger schnallen; die drei Händler haben ein märchenhaftes Vermögen dabei gemacht. Würdest du dich weigern, die Hand dieser ehrenwerten Mitglieder der Gesellschaft zu schütteln? Sie haben kein Gesetz übertreten. Nichts verbietet ihnen, Reis zu kaufen und mit Gewinn weiterzuverkaufen.“
„Und deshalb hast du dich auf deine Insel zurückgezogen wie weiland Robinson Crusoe sich auf die seine?“
„Ja. Dort bin ich wenigstens weit genug von den anderen Menschen entfernt. Sieh an, es ist erst acht Uhr. Wir sind nur zweitausend Meilen von Quaterquem entfernt. Komm mit und schau dir meine Insel an. Wenn wir gemütlich weiterfliegen, sind wir gegen sechs Uhr abends dort. Nini wird uns ein vorzügliches Souper bereiten, und wir könnten den Abend gemeinsam verbringen, indem wir uns über dies und jenes unterhalten. Du wirst sehen, ob meine Einsamkeit nicht dein Reich, deine Krone und deine Hoffnung, eines Tages Herrscher über Indien zu sein, aufwiegt?“
„Vielleicht hast du recht“, sagte Corcoran. „Denken wir übrigens nicht mehr daran und besuchen wir deine Insel. Es ist mir ein Vergnügen, heute abend Ninis Kochkünste zu genießen und Monsieur Zozo zu umarmen.“
Bei diesen Worten wurde die Fregatte von einem gewaltigen Stoß erschüttert. Das war Acajou, der vor Freude, am selben Tag noch Nini zu sehen und mit ihr zu speisen, in der Gondel umhersprang.
„Oh, Mister Quaterquem!“ schrie er. „Sie sind gut wie warmes Brot; zart wie Reiskuchen, der vom Feuer kommt. Wie wird sich Nini freuen! Nini wird Acajou wiedersehen, ihn streicheln, ihre Hände auf Acajous Haar legen. Nini wird Ärmel hochkrempeln, Teig kneten und Apfeltorte backen. Acajou wird neben Nini Äpfel schälen und Bratspieß für Nini drehen. Acajou wird Zozo auf seinen Knien halten und mit Zozo essen und ihm Lied vom Krokodil vorsingen, das seine Brille verloren hat:
Runde Brille vom Kroko
auf der Nase von Zozo…“
Dabei imitierte der Neger nacheinander Nini, Zozo, das Krokodil und lachte aus ganzem Herzen.
„Schau dir diesen glücklichen Acajou an“, flüsterte Quaterquem seinem Freund zu. „Er ist nicht gebildet, weder stolz noch furchtlos, weder vorausschauend noch intelligent oder kühn wie du; er ist nicht Maharadscha, und noch viel weniger denkt er daran, eines Tages Herrscher über Indien zu werden. Nini und Zozo, Alice und ich, das ist sein ganzer Horizont; mein Haus, meine Insel, die man in drei Stunden abgeschritten hat, ist sein Universum. Er ist tausendmal glücklicher als du, der sich abarbeitet und zerreißt, um an ein illusionäres Ziel zu gelangen. Und in dem Moment, wo du glaubst, dein Ziel erreicht zu haben und hundert Millionen Sklaven befreien zu können, wirst du an irgendeiner Kugel sterben, die man aus dem Hinterhalt auf dich abfeuern wird.“
„Und du willst damit sagen“, unterbrach ihn Corcoran, „daß ich besser daran täte, es Acajou nachzumachen; mein lieber Freund, das hieße vom Apfelbaum Pflaumen zu erwarten. Jetzt ist der Wein eingegossen, und man muß ihn trinken.“
Während dieser Unterhaltung durchflog die Fregatte, von kundiger und geschickter Hand gesteuert, die Lüfte mit einer Geschwindigkeit, der auf Erden nichts gleichkam, ausgenommen vielleicht die Elektrizität.
Vom Kaspischen Meer war man ostwärts geflogen, hatte nach etwa einer Stunde den Himalaja erreicht und flog nun über Tibet hinweg, dessen Berge in ewigem Schnee glitzerten.
Von dort drehte man dann südwärts, da der Widerschein des Schnees die Augen ermüdete und die Reisenden gleichzeitig die Kälte immer unangenehmer spürten, obwohl Quaterquem dem Klimawechsel vorgebeugt hatte und mehrere Plaids und warme Kleidung an Bord mit sich führte. Bald hatte die Fregatte ihre großen Schwingen über das weite und dunkle Gangesdelta gebreitet, das fruchtbarste des Universums.
Sie sahen auf den Fluß, der in der Sonne glitzerte, von einer Unmenge kleiner Dschunken und Segelboote übersät. Schließlich entdeckten sie in der Ferne Kalkutta.
Es war inzwischen Mittag geworden, und die sengende Sonne ließ Tiere und Menschen in ihre Unterkünfte fliehen. Die gewaltige Stadt schien menschenleer zu sein. Da und dort schliefen einige Gruppen von Indern friedlich im Schatten der Hauseingänge. Aber nicht ein Europäer überquerte die Straßen. Die Geschäfte waren leer, selbst die Natur schien die Ruhe zu genießen:
„Schau dir Fort William an“, sagte Corcoran. „Dort sitzen unsere gefährlichsten Feinde. Siehst du die englische Flagge, die über dem Palast flattert. Das ist der Palast von Sir Henry Braddock. Wieviel elende Hütten, um einen teuren und prächtigen Palast in dieser gewaltigen Stadt entstehen zu lassen!“
„Ach, mein Freund, schau dir doch Paris oder London genauer an. Du findest die gleichen Kontraste.“
Und während die beiden Freunde ihre Eindrücke austauschten und darüber philosophierten, setzte die Fregatte ihren Flug fort und wandte sich pfeilschnell Richtung Indochina. In weniger als zwei Stunden überquerte sie die Königreiche Burma und Siam, das Land der Annamiten und die steinige, vulkanische Insel Sumatra.
„Du siehst heute etwas“, sagte Quaterquem zu dem Maharadscha, „was vor mir noch kein anderes menschliches Auge erblickt hat. In diesen gewaltigen Tälern, in denen Flüsse rauschen, neben denen die Donau und der Rhein nur Bächlein sind, ist der Europäer ein unbekanntes Wesen. Hier und da gibt es in den undurchdringlichen Wäldern, durch die Wege zu schlagen selbst die Siamesen und Annamiten nicht gewagt haben, einige wenige Missionsstationen.“
Der asiatische Kontinent schien unter den unbeweglichen Reisenden hinwegzugleiten. Man hätte glauben können, daß die Wolken besonders schnell unter den Schwingen der Fregatte dahinschwebten. Um nicht zu sehr in ihrem Dunst zu verschwinden, ließ Quaterquem die Fregatte steigen. Als der Himmel dann wieder aufklarte, ging er auf fünfhundert Fuß Höhe hinab.
Schließlich machte sich die Nähe des Pazifischen Ozeans bemerkbar. Schon war die Atmosphäre mit einem salzhaltigen Duft angereichert, und sich drehende Winde versuchten einmal die Geschwindigkeit der Fregatte zu verringern, ein andermal ihren Weiterflug zu beschleunigen. Doch dem Luftschiff machten diese wechselnden Wetterbedingungen offensichtlich nichts aus, denn es setzte ruhig seinen Flug fort.
„Jetzt sind wir über dem Chinesischen Meer“, sagte Quaterquem. „Bis zu meinem Staat ist es nicht mehr weit. Hörst du den Ozean rauschen? Das sind die Wellen, die sich an den Felsen der Insel Borneo brechen. Eine schöne Insel, dieses Borneo; aber der Sultan, der dort regiert, hat schlechte Angewohnheiten; er liebt frisches Fleisch und würde aus dir und mir nur einen Frühstückshappen machen, wenn wir Lust verspürten, dort zu landen.“
„Während meiner Reisen bin ich einmal einem Engländer namens Brooke begegnet“, sagte Corcoran, „der sich nicht weit von hier niedergelassen hat, um genau zu sein, direkt im Rachen des Ungeheuers, in Sarawak.“
„Ja, ich erinnere mich, ich kenne die Geschichte. Mister Brooke war ein draufgängerischer Zeitgenosse, der in der Ostindischen Kompanie gedient hatte. Nachdem er ein Vermögen erworben hatte, langweilte er sich. Er ist ein Misanthrop, fast so wie ich. Er wollte Indien, England und alle zivilisierten Länder hinter sich lassen. Für einen Engländer nur eine ganz natürliche Idee. Aber jeder Engländer muß auch reich sein und es komfortabel haben; nun, er hatte ja kein unerhebliches Vermögen. Er charterte ein kleines Kriegsschiff, bestückte es mit zwanzig Kanonen, und wie man auf Hasenjagd geht, begab er sich ins Chinesische Meer, um Jagd auf malaiische Piraten zu machen. Blick unter dich…