Dann, an Sugriva gerichtet: „Was ist geschehen?“
„Herr“, fuhr Sugriva fort, „wir sind verraten worden. Eine englische Flottille segelt den Narbada herauf, unterstützt von einem Korps von fünfzehntausend Engländern und Sepoys. General Barclay soll sich unter den Mauern von Bhagavapur mit ihnen vereinigen.“
„Na, von Seiten Barclays ist wohl nichts zu befürchten. Was die anderen angeht, so ist noch nichts verloren. Hat man sie kampflos passieren lassen?“
„Großer Maharadscha, der Zemindar Usbeck ist mit einem Teil seiner Leute auf die Seite der Engländer übergelaufen.“
„Bei allen Göttern!“ fluchte Corcoran. „Behalte die Neuigkeiten für dich. Ich will, daß Bhagavapur gleichzeitig den Verrat und die Strafe erfährt. Laß mein Pferd satteln und eine Eskorte aufsitzen. Du bleibst hier. Ich werde gehen. Ich habe lange genug den Maharadscha gespielt, jetzt bin ich wieder Kapitän Corcoran und hoffe, daß es jeder, ob Freund oder Feind, merken wird.“
21.
Abreise
„Nun, lieber Freund“, sagte Quaterquem, als Sugriva gegangen war, „was hast du vor? Willst du Barclay noch einmal schlagen? Mir scheint, daß er von seiner ersten Niederlage noch genug haben dürfte.“
„Was? Sie haben den berühmten General Barclay geschlagen, den Helden von Lucknow?“ fragte Alice.
„Und so tüchtig geschlagen“, fiel Quaterquem ein, „daß er in diesem Augenblick noch immer nach Bombay unterwegs sein dürfte.“
Und er erzählte von der Feuersbrunst im englischen Lager.
Seine Gattin dagegen zollte ihm nicht den Beifall, den er erwartet hatte, im Gegenteil, sie zeigte sich sehr entrüstet, daß er an dieser Aktion teilgenommen hatte.
„Meiner Treu“, erwiderte Quaterquem, „ich bin neutral geblieben. Das waren Corcoran und Baber, die das erledigt haben. Ich habe mich damit begnügt, ihnen mein Fahrzeug zu leihen.“
Alice wahrte den Takt und ging nicht weiter auf den Vorfall ein, man merkte aber doch, daß sie zu sehr Engländerin war, als daß sie die Haltung ihres Gatten gebilligt hätte.
Der Aufenthalt der Quaterquems würde heute enden. Sie wollten beide wieder auf ihre Insel zurück. Sita bot ihrer neuen Freundin ein Diamantenkollier von unschätzbarem Wert an. Es hatte einst der berühmten Nurmahar gehört, die über drei Generationen hinweg die schönste Frau Hindustans gewesen war.
Alice sträubte sich einige Zeit, es anzunehmen, obwohl sie es mit den Augen verschlang, denn Sitas Großzügigkeit ließ sie sehr wohl die Härte fühlen, die sie eben gezeigt hatte.
„Es ist die Erinnerung an eine Freundin“, sagte Sita. „Wenn mein vielgeliebter Corcoran siegen wird, brauche ich all diese Schätze nicht mehr. Hindustan wird uns gehören. Wenn er besiegt wird, so will ich nicht mehr leben. Ich werde den Scheiterhaufen besteigen wie meine Großmutter Sita. Ich werde das Vergnügen gehabt haben, den edelsten aller Männer geliebt zu haben, und ich werde mich selbst erdolchen, um ihn früher wiederzufinden und mich mit ihm in Brahmas Obhut wieder zu vereinen.“
Sita sprach mit so viel Natürlichkeit, daß Alice begriff, daß ihr Entschluß unwiderruflich feststand. Sie akzeptierte schließlich das kostbare Geschenk und umarmte Sita mit echter Zuneigung. Sie meinte, sie nie mehr zu sehen, denn als gute Engländerin, die sie wahr, schien es ihr nachgerade unmöglich, daß Corcoran als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen würde. Mit nachdenklicher und herzlicher Festigkeit verabschiedete sich Corcoran ebenfalls von ihr und umarmte seine Freunde wie ein Mann, der fest entschlossen war, entweder zu siegen oder unterzugehen.
„Mein lieber Quaterquem“, sagte er zu diesem. „Ich weiß nicht, ob ich dich noch einmal sehe. Bewahre mir diese Kassette auf deiner Insel auf. Wenn du erfährst, daß uns etwas widerfahren ist, öffne sie. Was sie enthält, gehört dir. Wenn ich siegen werde, erbitte ich sie von dir zurück.“
Und sich dicht an das Ohr seines Freundes neigend: „Es sind die Steine des alten Holkar. Sie haben einen Wert von fünfzehn Millionen Rupien. Es soll Ramas Erbe sein. Leb wohl.“
Sie umarmten sich, und Quaterquem bestieg mit seiner Frau die Fregatte. Bevor sie jedoch den Anker lichteten, sagte er noch zu Sita:
„Teuerste, ich werde am fünfzehnten März nach Bhagavapur kommen, um Sie zu suchen und auf meine Insel zu führen, die Sie noch nicht kennen. Corcoran wird, so hoffe ich, bis dahin jeder Sorge enthoben sein und mit Lord Braddock seinen Frieden gemacht haben. Ich hoffe, er kann uns begleiten. Alice wird ihm das Haus einrichten und eine Kammerfrau suchen. Adieu, mein lieber und tatkräftiger Maharadscha. Du hast einen schwierigen Weg eingeschlagen, um zum Glück zu gelangen, aber die Erfahrung wird dich weise machen. Leb wohl.“
Die Fregatte hob sich in die Lüfte und wandte sich nach Osten.
Der nachdenklich gewordene Corcoran drückte Sohn und Frau an sich, bestieg sein Pferd und ritt mit einer Eskorte zu dem Lager seiner Armee.
22.
Zu Pferd! Mac Farlane zu Pferd!
Während zweier Tage und Nächte galoppierte der Maharadscha beinahe ohne Rast, dank den Stationen, die er auf allen Straßen eingerichtet hatte, um dort die Pferde wechseln zu können. Seine erschöpfte Eskorte hatte ihn nach achtzehn Stunden auf einem schwierigen Gelände aus den Augen verloren und war zurückgeblieben. Er meinte, es sei unnütz, auf sie zu warten, und war deshalb allein weitergeritten. Er hielt nur, um die Pferde zu wechseln oder ein Stück Brot zu essen.
Gegen Morgen des dritten Tages traf er endlich auf seine Armee. Aber es war eine Armee, die sich auflöste und vor dem nahenden Feind davonlief. Schweiß- und staubbedeckt, doch stolz und unnachgiebig, wie man ihn kannte, gelang es ihm, sie wieder um sich zu scharen und zum Kampf zu stellen.
Ein hoher Offizier galoppierte vorbei, ohne auf den Zuruf des Maharadschas zu achten. Corcoran packte ihn am Kragen und zog ihn zu sich heran. „Wohin willst du?“ fragte er. „Wo steht der Feind?“
Und da der andere, ihn noch immer nicht erkennend, zu fliehen versuchte, brüllte er ihn an:
„Wenn du noch einen Schritt machst, jage ich dir eine Kugel in den Kopf!“
Bei diesen Worten hielt der Offizier erschrocken inne. Er hatte den Maharadscha erkannt.
„Herr“, sagte der Offizier, „man hat uns verraten. Warum seid Ihr nicht früher gekommen.“
„Ihr sollt mich kennenlernen. Ein neues Pferd, und dann vorwärts!“
Ohne sich darum zu kümmern, ob ihm jemand folgte, ritt Corcoran an der Spitze der Versprengten in das verlassene Feldlager seiner Truppen.
Der Offizier hatte nicht übertrieben. Das Lager der Marathen war ein einziges Durcheinander. Die Armee, von Verrätern kommandiert, war auseinandergelaufen. Drei Zemindars hatten das Signal zur Flucht gegeben. Zwei andere, unter ihnen der Afghane Usbeck, im Dienste Holkars alt geworden, waren zu den Engländern übergelaufen. Der Rest, durch die Flucht dezimiert und demoralisiert, war nach dem ersten Artilleriebeschuß der Engländer davongelaufen. Im Lager befanden sich nur noch einzelne Männer, die gewillt waren, dem Maharadscha bis zuletzt die Treue zu halten und ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen.
Corcorans Anblick belebte ihren Mut wieder. Zusammen mit den Fliehenden, die Corcoran um sich gesammelt hatte, besaß er immerhin so viele Leute, um wieder aktionsfähig zu sein.
Bei seinem Anblick riefen die Soldaten: „Es lebe der Maharadscha!“
Corcoran zog den Säbel aus der Scheide, einen Krummsäbel, der früher dem sagenumwobenen Tamerlan gehört hatte und über Aurangseb an Holkar gekommen war. Dieser Säbel, dessen Griff mit Diamanten von unschätzbarem Wert übersät war, hatte früher einmal das Zeichen zum Tod vieler Männer gegeben. Er war in Samarkand von einem Waffenschmied aus Damaskus, dem berühmten Mohammed el Din geschmiedet worden. Auf der Klinge waren die Verse des Korans eingraviert: „Allah ist groß! Allah ist mächtig! Allah ist siegreich!“