„Ergeben Sie sich!“ rief einer der Angreifer. „Sie werden gegen ein Lösegeld freikommen!“
Dabei versuchte er durch eine Finte dem Kapitän den Säbel aus der Hand zu schlagen, doch Corcoran ahnte das Vorhaben, sprang etwas zur Seite und hieb ihm mit seinem furchtbaren Krummsäbel den rechten Arm ab. Dann wandte er sich gegen einen anderen Husaren, der ihm zusetzte, und spaltete ihm mit einem gezielten Schlag den Schädel.
Früher oder später hätte er jedoch der Übermacht weichen müssen, wenn sich nicht Louison im letzten Moment zu ihm durchgekämpft hätte. Garamagrif folgte ihr in einigem Abstand, denn er wagte nicht, sich nach der Zurechtweisung vom Vorabend vor Corcoran zu zeigen.
Als die englischen Soldaten die beiden neuen Hilfskräfte des Maharadschas sahen, ließen sie sofort von ihm ab und versuchten ihr Regiment zu erreichen, das allerdings die beiden Tiger schon früher bemerkt hatte und deshalb auch früher geflüchtet war. Corcoran heftete sich sofort an ihre Fersen und erreichte dabei seine hinter ihm zurückgebliebenen Leute wieder. Die Marathen, die ihn verloren geglaubt hatten, stießen ein Freudengeheul aus, als sie ihn sahen, und machten sich zu einem neuerlichen Angriff fertig. Corcoran war diesmal jedoch vorsichtiger und schickte eine Abteilung seiner Reiterei auf den rechten Flügel, um den linken der Engländer zu binden, während seine inzwischen aufgerückte Artillerie sie von der Seite unter Feuer nahm und die Infanterie auf das Zentrum vorrückte.
Der englische Kommandierende, der weder Artillerie noch Infanterie zur Verfügung hatte, um sich behaupten zu können, befahl den Rückzug, der anfangs noch einigermaßen geordnet vor sich ging. Aber die Burschen, die Händler, das ganze Volk, das eine englische Armee in Indien zur Kriegführung nötig zu haben glaubt, fürchtete, im Stich gelassen zu werden, und warf sich deshalb in die Linien der Kavallerie, klammerte sich an herrenlose Pferde oder einzelne Reiter, um möglichst bald die Infanterie General Spaldings zu erreichen. In wenigen Augenblicken war die Unordnung zum Chaos geworden. Am Ende floh jeder, so gut er konnte, selbst die Offiziere versuchten nicht länger, ihre Untergebenen zusammenzuhalten. Glücklich waren jene zu nennen, die ihre Pferde behalten hatten! Sie erreichten noch am selben Abend General Spalding.
Corcoran merkte bald, daß ihm die Engländer keinen ernsthaften Widerstand mehr entgegensetzten, deshalb ließ er seine Armee halten. Nur die Kavallerie verfolgte die Flüchtigen.
„Meine Freunde“, sagte der Maharadscha, „so muß man die Engländer schlagen. Greift sie von vorn an, mit gezogenem Säbel oder aufgepflanztem Bajonett, ohne zu schießen, und Wischnu und Schiwa geben euch den Sieg… Übrigens haben wir noch keine Ruhe vor ihnen, aber für heute soll es genug gewesen sein.“
Er zog sich mit seinen Truppen in das verlassene Lager zurück. Auch die Kavallerie, die die Engländer mehr beobachtet als verfolgt hatte, kehrte wieder zur alten Ausgangsbasis zurück. Corcoran wußte, daß die englische Infanterie nichts unversucht lassen würde, ihn anzugreifen. Sorgfältig wählte er selbst die vorgeschobenen Posten aus, die während der Nacht Wache halten sollten. Dann drehte er sich zu Louison um, die ihn aufmerksam betrachtete und ein freundliches Wort erwartete.
„Unter uns, meine Schöne“, sagte er, „das ging um Leben und Tod. Und du, Garamagrif, alte Kriegsgurgel, sollst mein Freund sein, wenn du willst – aber hör in Zukunft auf, Scindiah zu ärgern.“
Er betrat sein inzwischen aufgestelltes Zelt, wo andere Aufgaben auf ihn warteten. Louison und Garamagrif ließen sich vor dem Eingang nieder wie zwei Schildwachen, die den Auftrag hatten, über die Sicherheit des Maharadschas zu wachen, und niemand kam in Versuchung, seine Arbeit ohne dringende Notwendigkeit zu unterbrechen.
23.
Sir John Spalding
Am nächsten Tag um drei Uhr morgens ließ Corcoran zum Wecken blasen, versammelte seine Truppen um sich und setzte die Verfolgung fort.
Der Weg war mit Waffen übersät, mit getöteten oder verwundeten Pferden und Reitern. Fast die gesamte englische Kavallerie war vernichtet worden oder hatte sich zerstreut. Nur eine kleine Abteilung hatte Spalding erreicht, der im Eilmarsch die Flüchtenden zu entsetzen versuchte.
Corcoran, der von seinen Kundschaftern informiert wurde, daß die Engländer vorrückten, bezog auf einer kleinen Anhöhe Stellung, die die ganze Ebene des Narbadatals beherrschte, denn er hatte nur begrenztes Vertrauen zu dem Mut seiner Soldaten und wollte sich wenigstens den Vorteil des Geländes zunutze machen. Er ließ sogar in aller Hast einen Graben von zehn Fuß Länge und drei Fuß Tiefe ausheben – nicht daß ihm diese Vorsichtsmaßnahme sehr nützlich vorgekommen wäre, da die Engländer ja keine Kavallerie mehr hatten –, aber er wollte den Feind glauben machen, daß er sich defensiv verhalten wolle, um ihn dadurch zu ermutigen, die Offensive zu suchen. Sein Ziel war, mit diesem Armeekorps sofort zu Rande zu kommen, um freie Hand gegenüber einem wiederhergestellten Barclay zu haben.
Die List hatte Erfolg.
Sir John Spalding war ein dicklicher, untersetzter und wohlgenährter Gentleman, ohne Zweifel ein braver Soldat, der jedoch noch nie im Feld gestanden und darüber hinaus keinerlei Indienerfahrung hatte. Bisher hatte er sein Leben friedlich als Ausbilder auf dem Truppenübungsgelände von Aldershot in England verbracht, war dann in Gibraltar, Malta und Jamaika gewesen; zum erstenmal hatte er vor drei Tagen Pulver gerochen. Seine ganze Taktik bestand in drei Punkten: den Feind mit der Artillerie weich schießen, dann mit gefälltem Bajonett überrennen und ihn schließlich durch die Kavallerie niedersäbeln. Zufällig war seine erste Feindberührung überaus glücklich ausgefallen, so daß er sich insgeheim für einen Wellington oder Marlborough hielt. Die leichtsinnige Kühnheit seiner Kavallerie, die auf Bhagavapur vorgerückt war, ohne auf ihn zu warten, hatte ihm keinerlei Unruhe bereitet.
Von allen Seiten hatte man ihm Gefangene zugeführt. Die ganze Armee des Maharadschas schien in die vier Winde zerstreut, und wahrscheinlich wäre sie es ohne die überraschende Ankunft und die unvorhergesehene Attacke Corcorans auch tatsächlich gewesen.
Auch er gab sich den trügerischen Hoffnungen hin, die für kurze Zeit Barclays Glück gewesen waren. Seine Absicht war es, als erster in Bhagavapur einzumarschieren. Es war ein Wettlauf zwischen ihm und Barclay um den besten Futterplatz, obwohl sie Order hatten, sich erst vor Bhagavapur dem Maharadscha zum Kampf zu stellen. Von dem Desaster seines Rivalen und dem Feuer in dessen Lager wußte er noch nichts.
Er dachte gerade an die reiche Beute, die ihn in Bhagavapur erwartete, als ihn die Nachricht von dem plötzlichen Überfall auf seine Kavallerie erreichte. Zuerst wollte er kein Wort davon glauben und ließ den Boten, einen Hindu, einsperren, wobei er sich schwor, ihn erschießen zu lassen, sobald sich herausgestellt haben würde, daß ihn jener belogen hatte. Später sprengten jedoch einige englische Reiter in das Lager und berichteten ihm, daß drei Regimenter der europäischen, kampferfahrenen Kavallerie vernichtet worden waren.
„Drei Regimenter!“ wütete Spalding. „Wo ist dieser Esel, der sie befehligt hat? Wo ist Colonel Robertson?“
„Tot, General.“
„Wo ist Major Mac Farlane?“
„Von einer Kugel niedergestreckt.“ Spalding fühlte, wie ihn die Betroffenheit übermannte.
„Sie sind also in einen Hinterhalt geraten?“ fragte er. „Es gibt keinen Präzedenzfall für eine ähnliche Niederlage.“
Leutnant Churchill erstattete Bericht über die Aktion.
„Anfangs sind die Marathen vor uns geflohen wie ein Schwarm Rebhühner“, sagte er. „Aber dann ist plötzlich der Maharadscha aufgetaucht…“
„Der Maharadscha!“ unterbrach ihn Spalding hochfahrend. „Sie sollten eigentlich wissen, Sir, daß die Regierung Ihrer Majestät, der Königin Victoria, im Land der Marathen keinen Maharadscha anerkannt hat, daß er also für England schlichtweg nicht existiert und es, schlichtweg gesagt, unpassend ist, einen hergelaufenen Abenteurer mit diesem Titel zu bezeichnen.“