„Je höher der Verräter in der Rangfolge steht“, sagte er, „desto mehr Strenge ist angebracht.“
Nachdem er auf diese Weise verfahren war, überließ er das Kommando einem seiner Offiziere und machte sich eilig auf den Weg nach Bhagavapur, denn überall dort, wo er sich nicht aufhielt, war es um seine Angelegenheiten schlecht bestellt. Louison und Garamagrif, die ihm so wertvolle Dienste erwiesen hatten, durften ihn begleiten.
24.
Thronrede und Sitas Gefangennahme
Corcoran erreichte Bhagavapur am Vorabend des Tages, an dem die Gesetzgebende Versammlung seines Parlaments eröffnet werden sollte. Durch die besondere Gunst des Schicksals konnte er seinem Volk nur über Siege berichten, und obwohl die Gefahr noch sehr groß war, so bildeten die vergangenen und gegenwärtigen Siege in den Augen der Marathen ein nicht zu unterschätzendes Faustpfand für die Zukunft.
Am nächsten Tag um sieben Uhr morgens (denn wegen des Klimas mußten alle Sitzungen bis zehn Uhr vormittags beendet sein) begab er sich mit Sita und Rama in den Sitzungssaal und eröffnete die Versammlung. Hier einige Passagen aus seiner wahrhaft historischen Rede: „Freie Bürger des freien Volkes der Marathen!
Es bereitet mir stets ein besonderes Vergnügen, unter euch weilen zu dürfen. Seit unserer letzten Zusammenkunft hat es Brahma gefallen, seinen Segen über uns auszuschütten, so daß unsere Kraft und unser Gedeihen nicht anders kann, als ständig anzuwachsen. Der Handel, die Landwirtschaft, die Industrie haben erstaunliche Fortschritte gemacht, die wir – das müssen wir feststellen – der persönlichen Initiative jedes einzelnen und der Freiheit zum Handeln, der ihr euch erfreut, verdanken.
Aber ein Volk ist seiner Freiheit nicht würdig, wenn es sie nicht mit der Waffe in der Hand zu verteidigen weiß. Ich war gezwungen, soeben die Invasion eines mächtigen und heuchlerischen Nachbarn abzuwehren, der vorgibt, nur zum Wohle der Marathen zu handeln. Mit Billigung und unter dem Schutz Brahmas ist es mir gelungen, die Verräter zu bestrafen und den Feind zurückzuwerfen. Es hängt von ihm ab, unter ehrenvollen Bedingungen Frieden mit uns zu schließen; wenn er sich dem allerdings widersetzt, so soll er die Mühen seiner Unerbittlichkeit zu spüren bekommen.
Mein Innenminister Sugriva Sahib wird euch einen Finanzplan vorlegen. Ihr werdet gleich bemerken, daß darin weder die Rede davon sein wird, die Steuern zu erhöhen noch neue einzuführen oder gar eine Anleihe aufzunehmen. Dank Wischnu und trotz der Lasten, die uns der Krieg aufbürdet, ist Holkars Schatz noch nahezu unangetastet, und Sugriva Sahib ist mit der Aufgabe betraut worden, euch die Abschaffung aller indirekten Steuern, deren Erhebung so kostspielig ist, vorzuschlagen.
Freie Bürger des freien Volkes der Marathen, möge die Weisheit des göttlichen Wischnu euren Entschluß leiten.“
Die ganze Versammlung schrie:
„Lang lebe der Maharadscha! Er sei gesegnet, er und seine Großzügigkeit!“
Danach kehrte Corcoran in seinen Palast zurück.
Der Beifall war echt gewesen, dennoch schwebten über seinem Haupt dunkle Gewitterwolken. Die verräterischen Zemindars hatten mehr als einen Komplizen in der Versammlung. Der strenge Gerechtigkeitssinn Corcorans, der alle gleich behandelte, hatte ihm unter den Großgrundbesitzern ernste Feinde gemacht. Beim geringsten Rückschlag wäre man bereit gewesen, seinen Rücktritt zu fordern. Glücklicherweise hatte der eben errungene Sieg über die Engländer seine Feinde eingeschüchtert.
Währenddessen gab sich der Maharadscha jedoch nicht mit verflossenen Erfolgen zufrieden. Er wußte sehr genau, daß das indische Volk zu einem gemeinsamen Aufstand zu uneins und noch nicht bereit war; und obwohl es ihm fern lag, für sich selbst zu fürchten, so zitterte er doch manchmal bei dem Gedanken, welcher Zukunft seine Frau und sein Sohn entgegensahen.
Eines Morgens, es mochten etwa vierzehn Tage seit der Zusammenkunft der Deputierten vergangen sein, machte Baber dem Maharadscha seine Aufwartung.
Der durch die Rupien des Maharadschas reich gewordene Baber war jetzt ein Herr. Er präsentierte sich stolz erhobenen Hauptes, mit zufriedenem Blick, ernsthaft, würdig und gesetzt, wie es einem Ehrenmann gebührt, der sein Glück auf der Landstraße und in den verborgenen Winkeln des Waldes gemacht hat.
„Wo schläfst du nachts?“ fragte ihn der Maharadscha.
„Herr“, sagte Baber bescheiden, „ich habe gestern die zehntausend Rupien erhalten, die mir Eure Hoheit aus Ihrem Schatz zu überlassen geruht haben.“
„Und wohin willst du nun gehen?“
„Wohin es Eurer Hoheit gefällt, mich zu schicken.“
„Aha, sieh an, du hast an diplomatischen Missionen Gefallen gefunden? Hm, hm…, hast du genug Mut, um noch einmal für mich etwas auszukundschaften?“
„Warum nicht, Herr? Denkt Ihr, weil ich reich bin, bin ich ein Feigling geworden?“
„Und du würdest mir Informationen über meinen Freund Barclay besorgen?“
„Soviel Ihr wollt, großer Maharadscha. Ist das alles?“
„Ja. Am besten wäre, du machst dich sofort auf den Weg. Ich traue den Engländern nicht. Hier ist eine Anweisung für meinen Schatzkämmerer über zwanzigtausend Rupien.“
„Großer und erhabener Maharadscha!“ rief Baber mit einer Begeisterung aus, die nicht gespielt war. „Ihr seid wirklich der großzügigste aller großzügigen Männer unter der Sonne, und es ist einem ja geradezu ein Vergnügen, sich in Euren Diensten töten zu lassen.“
Der Hindu verbeugte sich mehrmals, hob die Hände zum Himmel und verschwand.
Am darauffolgenden Montag war er wieder zurück. „Großer und erhabener Maharadscha“, sagte er, „seid auf der Hut. Barclay hat Verstärkung erhalten; Pferde, Proviant, Munition und Artillerie. Seine Armee wurde um ein Drittel aufgefrischt; man will einen entscheidenden Schlag gegen Euch führen, bevor in Europa Sir John Spaldings Niederlage bekannt wird. Barclay will morgen oder übermorgen die Grenze überschreiten. Eure Generäle haben wieder einmal den Kopf verloren. Der alte Akbar antwortet nicht, wenn man ihn über die Lage befragt, und ist unfähig, irgendeinen Befehl zu geben…“
Und so mußte notgedrungen Corcoran wieder seine Pferde satteln lassen, um sich zu seiner Armee zu begeben.
Sita wollte ihm folgen.
„Ich will entweder mit dir leben oder sterben“, sagte sie. „Mißgönn mir nicht das Glück, dich zu begleiten.“
„Wer soll sich um Rama kümmern?“ entgegnete Corcoran.
Aber Rama wollte seinerseits die Mutter begleiten.
Der folgende Kampf wird die Entscheidung bringen, dachte Corcoran. Wenn ich Sita und Rama in Bhagavapur lasse, müßte ich stets fürchten, daß man sie verraten könnte. Vielleicht ist es wirklich besser, sie mitzunehmen.
Natürlich gehörte Scindiah ebenso zur Reisegesellschaft wie Louison und Garamagrif, denn Rama konnte sich nicht von ihnen trennen, nicht einmal von seinem Freund Moustache. Nach einigen vergeblichen Versuchen, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, ließ sich der Maharadscha schließlich überreden und nahm sie mit. Er begleitete sie bis zum Hauptlager seiner Armee und ritt dann allein weiter, um die vorgeschobenen Grenzposten zu inspizieren. Sugriva wurde wie gewohnt damit betraut, während der Abwesenheit des Maharadschas die Regierungsgeschäfte wahrzunehmen.
Es wurde höchste Zeit, daß Corcoran bei der Armee eintraf, denn die Nachrichten Babers erwiesen sich als nur zu wahr. Barclay war bereits in das Land der Marathen eingedrungen, und die Armee des Maharadschas war zurückgewichen, ohne sich bisher dem Gegner zur Schlacht zu stellen. Die Soldaten zeigten sich entmutigt, murrten und begannen bereits zu desertieren.
So war die Situation, als der Maharadscha allein zu Pferd, wie es stets seine Gewohnheit war, das Lager erreichte. Sofort schlug die Stimmung um. Es war am Morgen, und die Armee war, durch seine Gegenwart aus ihrer Lethargie gerissen, zum Kampf entschlossen.