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Auf das „Wer da?“ der englischen Schildwachen erscholl plötzlich der Kriegsruf Corcorans: „Vorwärts!“

Eine Schar Reiter galoppierte in das englische Lager. Schon von weitem erkannte Corcoran die mächtige Masse Scindiahs, die sich vor den Biwakfeuern abhob. Er rechnete damit, daß Sita und Rama in der Nähe des Elefanten seien, und versuchte, sich mit seinen Reitern bis dorthin durchzuschlagen.

Anfangs folgten ihm auch seine Reiter entschlossen und willens, zusammen mit ihrem Heerführer dessen Frau und dessen Kind zu befreien; aber die Engländer, die ja nicht unvorbereitet waren, schlugen den ersten Angriff zurück und schossen etwa fünfzig Männer der Marathen nieder. Die fürchteten daraufhin, in einen Hinterhalt zu geraten, und zogen sich zurück, wobei sie ihren Befehlshaber allein auf dem Schauplatz des Geschehens ließen.

Corcoran schwebte in der allergrößten Gefahr. Sein Angriff war zwar forsch und mutig gewesen, jedoch hatte er nicht damit gerechnet, daß die Engländer die kostbare Beute besonders wachsam hüteten. Sein Pferd war bei der Attacke unter ihm weggeschossen worden, er selbst von einer Kugel an der Schläfe verwundet.

Als das Pferd unter ihm zusammengebrochen war, stürzte der Maharadscha zu Boden, sein Kopf schlug auf einer der hölzernen Zeltstangen auf. Der Aufprall war so heftig und schmerzvoll, daß er das Bewußtsein verlor.

25.

Louison und Garamagrif sprengen den Ring

Zehn Minuten später kam Corcoran wieder zu sich. Er fühlte einen heißen Atem auf seinem Gesicht; vorsichtig stützte er sich auf einen Arm, um sich nicht den englischen Soldaten zu verraten, hob den Kopf und erkannte Louison.

Die Tigerin hatte vorausgesehen, was eingetreten war. Sie hatte Corcorans Kriegsgeschrei gehört und dann beobachtet, wie die Marathen versuchten, in das englische Lager einzudringen, dabei allerdings von den Engländern zurückgeschlagen wurden. Sie kannte Corcoran nur zu gut, als daß sie geglaubt hätte, auch er würde sich zurückziehen. Es mußte etwas mit ihm passiert sein. Sie hatte sich also auf die Suche nach ihrem Freund gemacht und ihn ohnmächtig neben seinem toten Pferd entdeckt.

Sie hätte Hilfe herbeifauchen können, aber sie hatte es sein lassen, weil sie merkte, daß sie rings von Feinden umgeben war. Also hatte sie sich damit begnügt, Corcoran das Gesicht zu lecken, bis er wieder zu sich gekommen war; jetzt packte sie ihn am Gürtel und zog ihn vorsichtig zu den Gefangenen. Nach wenigen Augenblicken war sie bei Sita angelangt.

Trotz aller Freude Sitas, ihren Gemahl bei sich zu haben, war die Gefahr nicht kleiner geworden, im Gegenteil. An der Spitze seiner Armee konnte Corcoran möglicherweise das Gesetz des Handelns diktieren, als Gefangener im feindlichen Lager blieb ihm nichts übrig, als es zu erdulden.

Als er Sita erzählt hatte, was er für Anstrengungen unternommen hatte, um sie zu befreien, machte sie ihm wegen seines Leichtsinns zwar milde, doch entschiedene Vorwürfe.

„Es wäre nicht leichtsinnig gewesen, wenn mir diese Feiglinge gefolgt wären…, den Rest hätten wir schon irgendwie geschafft“, sagte er, merkte jedoch selbst, daß seine Worte alles andere als überzeugend klangen. „Ich bin sehr müde. Die Verletzungen, die ich im Kampf mit Sir John Spalding erhalten habe, sind noch nicht verheilt“, flüsterte er Sita zu. „Ich werde mich ein wenig ausruhen. Louison, beste Freundin, halte zusammen mit Garamagrif die Augen offen…“

Wenige Stunden später konnte man bei Tagesanbruch die blutigen Spuren des nächtlichen Kampfes erkennen. Barclay, der mit Recht daran zweifelte, daß der Maharadscha wider seine Gewohnheit nicht an dem Überfall beteiligt gewesen sein sollte, wunderte sich noch mehr darüber, als ihm seine Kundschafter Meldung erstatteten, daß in der gewöhnlich ruhigen Armee der Marathen schier alle aus dem Häuschen zu sein schienen.

Bald darauf erhielt er eine Erklärung. Ein desertierter Marathensoldat hatte berichtet, daß Corcoran während des nächtlichen Angriffs getötet worden war.

Diesmal, dachte Barclay, bin ich sicher, Lord zu werden. Und Mistreß Barclay wird man bald mit Lady Andover anreden müssen.

Und er gab Befehl, das Lager der Marathen anzugreifen.

In dem Augenblick, als die erste Kolonne zum Abmarsch bereit war, eilte ein Offizier auf ihn zu und unterrichtete ihn davon, daß man das tote Pferd Corcorans gefunden habe, den Maharadscha selbst allerdings nicht. „Wen kümmert das, wenn er tot ist?“ entgegnete Barclay.

Dennoch gab er vorsichtshalber Befehl, die Wache um Sita und ihre Tiere zu verdoppeln, um so jede Flucht zu verhindern. Dann ließ er die zweite Kolonne seiner Angreifer abrücken, um die erste bei deren Angriff zu unterstützen.

Er selbst wollte gerade mit dieser zweiten Kolonne ausrücken, als er aus der Richtung der Gefangenen Schreie und Gewehrschüsse hörte.

Das war Corcoran, der versuchte, den Ring, den die Engländer um Sitas Tragsänfte gebildet hatten, zu durchbrechen. In Sekundenschnelle war der Maharadscha auf ein herrenloses Pferd gesprungen, hatte mit Louison, Garamagrif, dem kleinen Moustache und Scindiah eine Art Karree um die Sänfte gebildet und war so durch die Reihen der Bewacher gebrochen.

Seine Absicht war, sofort in das befestigte Hauptlager der Marathen zu eilen, doch hätte er dabei eine baum- und buschlose Ebene von etwa einer Viertelmeile durcheilen müssen, wäre also dem Feuer der Engländer schutzlos preisgegeben, aber er konnte nicht leichtsinnigerweise die kostbare Fracht, die er mit sich führte, den Kugeln des Feindes aussetzen.

In einiger Entfernung hatte er einen einzelnen Felsbrocken entdeckt, der steil in die Ebene ragte und den man auf einem schmalen Grat erklimmen konnte. Dorthin ritt er mit seiner Karawane.

Die Engländer machten sich nach der ersten Verblüffung sofort an die Verfolgung, aber Louison und Garamagrif bildeten die Nachhut und fletschten dabei ihre Zähne so furchteinflößend, daß die braven englischen Soldaten nichts übereilten und lieber erst die Anweisungen ihres Oberbefehlshabers abwarteten. Barclay hatte erst dann bemerkt, daß Corcoran geflohen war, als er mit der zweiten Kolonne aus dem Lager ritt. Ohne sich weiter um die Angriffsvorbereitungen seiner Armee zu kümmern, sprengte er ins Lager zurück. Er schätzte, daß es im Moment wichtiger war, den Befehlshaber der Marathen gefangenzunehmen. Im Lager scharte er zwei Infanteriebataillone und eine Kavallerieeskadron um sich und ritt damit den Flüchtenden hinterher. Bei dem Felsen angekommen, umstellte er ihn mit seiner Streitmacht und forderte den Kapitän lauthals auf, sich zu ergeben.

„Gefangener der Engländer? Nie und nimmer!“ schrie Corcoran zurück.

„Wie Sie wollen! Feuer!“ befahl Barclay.

Der Maharadscha, Sita und Rama waren hinter einem natürlichen Schutzwall aus riesigen Steinen in Deckung gegangen. Der einzige Zwischenraum, den es zwischen den Felsblöcken gab, war durch den gewaltigen und anscheinend unverletzbaren Panzer des guten Scindiah versperrt. Die Kugeln prallten von diesem natürlichen Schild ab und klatschten gegen die Steine. Scindiah traf keine weiteren Schutzmaßnahmen, als seine Ohren vor den umherschwirrenden Kugeln glatt an den Körper zu legen. Eine zweite Salve hatte ebensowenig Erfolg.

„Vorwärts marsch!“ kommandierte der wutschnaubende Barclay. „Bringt sie mir tot oder lebendig!“

„Weder tot und schon gar nicht lebendig, General“, ließ sich Corcorans spöttische Stimme vernehmen.

Die Angreifer konnten allein auf einem sehr engen Pfad, der es jeweils nur einem einzigen Mann gestattete, sich auf ihm zu bewegen, den Felsbrocken ersteigen, was für die Verteidiger von großem Vorteil war.