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Der erste, dem es gelang, die Plattform, auf die sich außer Scindiah alle zurückgezogen hatten, zu erklimmen, war ein walisischer Sergeant namens James Bosworth. Überstürzt versuchte er, ganz aus der Nähe auf den Maharadscha zu schießen, der jedoch riß den Lauf des feindlichen Gewehrs nach oben, so daß die Kugel in die Luft ging. Gleichzeitig feuerte Corcoran aus seinem Revolver auf den Waliser und traf ihn zwischen die Augen. Einen zweiten Angreifer ereilte das gleiche Geschick. Ein dritter gelangte zunächst unbemerkt auf die Plattform, ein Tatzenhieb Louisons jedoch warf ihn ebenso postwendend hinunter, wie er emporgeklettert war. Garamagrif hielt sich ebenfalls großartig. Allein sein Anblick flößte den Engländern Respekt ein. Drei Soldaten hatten inzwischen versucht, Corcoran von der anderen Seite zu überraschen. Es war ihnen gelungen, sich zwischen die Felswand und Scindiah, der unterhalb der Plattform in Deckung gegangen war, zu schleichen. Glücklicherweise bemerkte es der Elefant noch rechtzeitig. Sanft lehnte er sich an den Felsen. Pech für die Soldaten, daß sie sich genau zwischen seinem Bauch und dem Felsen befanden.

„Schluß damit!“ befahl Barclay. „Es ist nicht der Mühe wert, so viele gute Männer zu opfern, um diesen Starrkopf festzunehmen. Bewacht ihn und laßt ihn nicht entwischen: Irgendwann wird ihn der Hunger zwingen, seinen Felsenhorst zu verlassen.“

Und das entsprach den Tatsachen, denn wenn sich Louison und Garamagrif notfalls der Soldaten bedienen konnten, so war Scindiah gewohnt, jeden Tag bis zu hundertzwanzig oder hundertdreißig Pfund Gräser und Blätter zu fressen. Schon seit einiger Zeit riß er seinen Rachen in der fürchterlichsten Art und Weise vor Hunger auf. Auch Corcoran, Sita und der kleine Rama hatten seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen.

Die Qual dauerte auch in der hereinbrechenden Nacht an. Corcoran war am Ende seiner Kräfte und wußte nicht, an welchen Heiligen er sich noch wenden sollte. Konnte er die Waffen strecken? Gegen diesen Gedanken rebellierte sein ganzer Stolz. Würde er untergehen? Was sollte aus Sita und Rama werden? Sollte er sich den Engländern ergeben, wenn sie dafür garantierten, Sita und Rama kein Leid anzutun?

Er hatte sich völlig diesem Gedanken hingegeben und hob die Augen zum Himmel, um den Allmächtigen um Rat zu bitten. Dabei erblickte er etwas ganz Wunderbares.

26.

Unerwartete Hilfe. Der Tod zweier Helden

Es war ein Gegenstand, der ihm außerordentlich riesig vorkam und mit großer Geschwindigkeit am Himmel entlangflog. Dann, als sich der Gegenstand immer schneller herabsenkte, glaubte er, einen gewaltigen Vogel wahrzunehmen, der direkt auf seinen Kopf zustürzte. Schließlich erkannte er die Fregatte und hörte die frohgemute Stimme seines Freundes Quaterquem. Noch nie, seit die Schiffbrüchigen der Medusa endlich am Horizont ein Segel auf der einsamen Wasserwüste des Ozeans erblickt hatten, wurde eine derartige Freude empfunden.

„Sag mal, lieber Freund“, rief Quaterquem, „was machst du denn da mit all deinen Tigern, deinem Elefanten, deiner Frau, deinem Sohn und fünfhundert englischen Gaffern, die dich bewachen wie die Kronjuwelen?“

„Mein guter Quaterquem“, sagte Corcoran und umarmte ihn, „nimm als erstes Sita und Rama in deine Fregatte und gib ihnen etwas zu essen, denn sie haben seit sechsunddreißig Stunden nichts zu sich genommen.“

„Oh, Mister Quaterquem“, rief Acajou, „kleiner Matscharaha hat noch nicht gegessen! Kaltes Fleisch und guter Wein wird dem Kleinen schmecken.“

Diese beiden göttlichen Worte „kaltes Fleisch“ weckten mit einemmal Ramas Lebensgeister. Mit wahrhaft kindlichem Appetit machte er sich über die Speisen her. Auch Sita ließ sich nicht lange bitten, während Corcoran mit vollem Mund seinem Freund die neuesten Abenteuer erzählte.

„Ich habe zwar nicht daran gezweifelt“, sagte Quaterquem, „daß alles schlimm ausgeht. Dennoch glaubte ich nicht, daß sich meine Befürchtungen so bald bewahrheiten würden. An diesem Morgen bin ich zusammen mit Acajou von meiner Insel aufgebrochen, um dich und Sita zu holen. Alice erwartet euch. Ich bin in Bhagavapur gelandet. Sugriva hat mir gesagt, daß du bei der Armee bist und schon einen General besiegt hast, der Spolding oder Spalding heißt. Meinen Glückwunsch. Ja also, ich fliege hierher, aber von dir keine Spur. Ich sehe deine Armee in heilloser Verwirrung. Man sagt mir, daß du gestern nacht bei einem Angriff gefallen wärst. Ich fliege ins englische Lager, um dich wenigstens begraben zu können. Ich informiere mich, man sagt mir, daß du noch lebst. Ich steige also wieder in die Lüfte und entdecke dich auch gleich auf deinem Felsenhorst. Nun komm schon mit mir, ich werde dich dorthin bringen, wohin du willst, auf meine Insel oder meinetwegen nach Bhagavapur, wenn dir das besser gefällt.“

„Nein, ich werde mich nicht mit Schimpf und Schande davonstehlen!“ rief Corcoran. „Du nimmst Sita und Rama mit dir, ich selbst werde mich durch eigene Kraft hier davonmachen und diesen hochnäsigen Engländer zum Kampf herausfordern.“

Er ist verrückt, dachte Quaterquem, aber noch mehr ist er Bretone, also starrköpfig… „Und wie willst du die englischen Reihen durchbrechen?“ fragte er. „Machst du dir gar keine Sorgen?“

„Ich mache mir solche Sorgen, daß du dich in einer Viertelstunde davon überzeugen kannst, wie sehr ich mir Sorgen mache. Glaubst du übrigens ernsthaft, ich könnte Louison und Scindiah dem Feind überlassen? Das wäre ja schwärzester Undank.“

Die Bitten und Umarmungen Sitas konnten den Maharadscha ebenfalls nicht von seinem Entschluß abbringen. Er wartete geduldig, bis sich Quaterquem mit der Fregatte, in der Sita und Rama in Sicherheit waren, in die Lüfte erhob. Dann, allein auf dem Felsen zurückgeblieben, weckte er Scindiah, der wohl gerade davon träumen mochte, Reisstroh und süßen Zuckersirup vorgesetzt zu bekommen.

Louison stieg als erste von dem Felsen herab, um den Weg zu erkunden. Corcoran folgte ihr, Scindiah zur Rechten und Moustache zur Linken. Garamagrif beschloß das Gefolge.

Eine so zahlreiche Karawane konnte natürlich nicht unbemerkt mitten durch die englische Armee entkommen. Eine der Wachen gab Alarm und feuerte auf die Ausbrecher. Die Kugel streifte Garamagrif an der linken Seite. Er tat einen gewaltigen Satz, packte den Soldaten an der Gurgel und biß ihm die Kehle durch.

Bei dem Lärm und dem Schuß war im Nu das ganze Bataillon auf den Beinen und sah, daß sich Corcoran, seinen Säbel in der einen, den Revolver in der anderen Hand, abwechselnd säbelnd und schießend bis zum äußeren Ring der Engländer durchschlug, von seinen drei Tieren gefolgt. Dort glaubte er sich erst einmal in Sicherheit.

Leider erhellten die Feuer, die man ringsum entzündet hatte, seinen Weg, und die Engländer schossen mit allem, was ein Rohr war, auf ihn.

Er schaute nach hinten.

Garamagrif und Scindiah waren von den Schüssen tödlich getroffen worden. Der eine hatte eine Kugel ins Herz abbekommen, dem anderen waren mehrere Kugeln in den Kopf gedrungen. Der Tod hatte die beiden, die sich so oft gegenseitig geärgert hatten, vereint. Der furchtlose Garamagrif warf einen letzten, verlöschenden Blick auf den Gegner, der ihn von hinten erschossen hatte, und verschied.

Louison, unbeweglich und erschüttert, die Augen voller Tränen, betrachtete einige Augenblicke schweigend diesen stolzen Garamagrif, den Gefährten ihres Lebens. Sie erinnerte sich an die Freuden vergangener Zeiten und schien ihn nicht allein auf dem Schlachtfeld zurücklassen zu wollen. Doch auf eine zärtliche Geste Corcorans hin, der sie umarmte und auf den kleinen Moustache zeigte, der nun Halbwaise geworden war, verließ sie mit den beiden das Schlachtfeld.

Auch Scindiah, der stets die Gerechtigkeit gesucht und die Ungerechtigkeit verabscheut hatte, erwartete jetzt unbewegt das Ende seiner Leiden. Ebenso bescheiden wie gut, liebenswürdig, sanft und ernsthaft, hinterließ er im Herzen seiner Freunde eine Erinnerung, die nie verblassen würde.