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Auch die Kinder des Vraccas erlitten Verluste, wurden verstümmelt und verletzt, doch keiner von ihnen haderte mit dem Schicksal. Schließlich sie waren die Zwerge, das härteste Volk der bekannten Welt und die Beschützer des Geborgenen Landes.

Und dennoch haben sie uns überrumpelt. Glandallin dachte an die rätselhaften Kreaturen in den Schächten, denen so viele Angehörige seines Stammes zum Opfer gefallen waren. Plötzlich waren sie da gewesen. Äußerlich glichen sie den Elben: hoch gewachsen, schlank und grazil in ihren Bewegungen, aber sie waren grausamer und heimtückischer im Kampf.

»Elben oder unbekannte Bestien?«, rätselte er halblaut und entschied sich für Bestien. Tion der Niederträchtige wird sie vor langer Zeit in der Erde vergraben und vergessen haben. Unsere eigenen Mineure müssen sie aus ihrem Schlaf gerissen und aus dem Fels befreit haben, suchte er nach einer Erklärung.

Glandallin war sich so gut wie sicher, dass es keine Elben aus dem Geborgenen Land sein konnten. Zwerge und Spitzohren hassten einander; Vraccas und Sitalia, die Schöpferin der Elben, hatten es so beschlossen, als sie die Völker ins Leben gerufen und ihnen gegenseitige Abneigung mitgegeben hatten. Daraus entsprang so mancher unversöhnliche Streit und so manches Scharmützel, das Tote forderte, niemals jedoch ein Krieg.

Und wenn sie es doch waren? Ist der Hass derart gewachsen, dass wir in einen Krieg mit ihnen geraten?, dachte er im Stillen. Oder wollen sie einen Krieg wegen unserer Schatzhorte? Sind sie neidisch auf unser Gold? Glandallin wusste keine Antwort darauf und zwang sich, die notwendige Aufmerksamkeit walten zu lassen. Die Gedanken an das Gemetzel in den finsteren Stollen gegen die unheimlichen Krieger, Elben oder nicht, lenkten die Augen ab, machten sie stumpf. Sie glitten über die Landschaft, ohne die Berge und den Steinernen Torweg wirklich zu sehen.

Seine Augenbrauen zogen sich im Zorn zusammen, denn der scharfe Nordwind, der ihm so weit oben eisig um die Bartsträhnen pfiff, trug ihm einen Geruch zu, den er aus seinem tiefsten Inneren hasste. Orks.

Sie stanken nach geronnenem Blut, nach Exkrementen und Schmutz; dazu mengte sich das ranzige Aroma ihrer eingefetteten Rüstungen. Sie glaubten, die Schneiden der Zwergenäxte würden an dem Talg abrutschen und so weniger Schaden am Metall anrichten.

Das Fett wird euch wieder nichts gegen uns nützen. Glandallin wartete nicht, bis er die zerlumpten Banner und verrosteten Speerspitzen über die letzte Anhöhe des Steinernen Torweges kommen sah oder das Scheppern der Panzerhemden vernahm. Er machte einen Schritt zur Seite und stellte sich auf die Zehenspitzen; die schwieligen Hände legte er um die hölzernen, rauen Griffe der beiden Blasebälge. Die künstlichen Lungen füllten sich mit Luft, ehe der Zwerg ihren Atem mit einer kräftigen Bewegung auspresste.

Die Luft strömte durch das breite Rohr, schoss in die Tiefe und erweckte das Signalhorn unter der Erde zum Leben. Dumpfes Dröhnen rollte die Stollen und Gänge der Fünften entlang.

Der Zwerg betätigte die Blasebälge im Wechsel, damit der Luftstrom nicht abriss. Das Dröhnen schwoll zu einem gleichmäßigen, durchdringenden Ton an, der selbst den Verschlafensten seines Stammes aus den Kissen jagte. Einmal mehr rief sie die ehrenvolle Pflicht, das Geborgene Land zu verteidigen.

Schwitzend blickte Glandallin über die rechte Schulter, um den Vormarsch der Angreifer abzuschätzen.

Sie kamen. Zu Hunderten.

Die Kreaturen des Gottes Tion schoben sich in breiter Front den Steinernen Torweg entlang, und das zahlreicher als je zuvor. Beim Anblick der Ungeheuer hätte das Herz eines Menschen vor Furcht ausgesetzt, und die Elben wären in den Schutz ihrer Wälder geflüchtet. Nicht so ein Zwerg!

Die Attacke gegen den Durchgang überraschte Glandallin zwar nicht, doch der Zeitpunkt beunruhigte ihn. Seine Freunde und Verwandten brauchten Ruhe, um sich vollständig von den Strapazen der letzten Kämpfe und der schleichenden Krankheit zu erholen. Die nahende Schlacht würde gewiss mehr Kraft kosten als gewöhnlich. Mehr Kraft und mehr Leben.

Die Verteidiger besetzten die Wehrgänge rund um die Pforte eher zögerlich; einige von ihnen taumelten mehr, als sie gingen, und ihre Finger schlossen sich kraftlos um die Schäfte der Äxte. Die Schar, die sich schleppend zur Abwehr formierte, kam gerade einmal auf einhundert tapfere Seelen. Tausend hätten sie benötigt.

Glandallin beendete seine Wache, weil er an anderer Stelle dringender gebraucht wurde.

»Vraccas stehe uns bei! Wir sind zu wenige«, flüsterte er und konnte die Augen nicht von der Straße wenden, auf der sich der breite, stinkende Strom von Orks ergoss. Grunzend und brüllend walzten sie voran und hielten genau auf das Portal zu. Die nackten Berghänge warfen ihre animalischen Laute zurück, und das Echo verstärkte das siegessichere Grölen.

Die verzerrten Klänge drangen tief in sein Gemüt, und ihm kam es plötzlich so vor, als hätten sich die Bestien verändert. Die tobende und lärmende Masse strömte eine solche Siegesgewissheit aus, dass er sie förmlich greifen konnte.

Unwillkürlich machte der Zwerg einen Schritt zurück. Zum ersten Mal empfand er Furcht vor den Wesen.

Und sein Schrecken wuchs.

Als seine Augen abschätzend über das Heer der Angreifer wanderten, streiften sie auch die kleine Gruppe von standhaften Höhentannen, die den kargen Verhältnissen stets getrotzt hatten. Er kannte sie von klein auf, hatte sie wachsen und gedeihen sehen.

Nun aber senkten sich ihre Zweige nach unten, die Nadeln regneten auf den steinigen Untergrund herab und verschwanden zwischen den Felsen. Sie waren todkrank, starben.

Es geht den Tannen wie uns. Glandallin dachte an seine leidenden Freunde. Welche Kräfte sind hier am Werk, Vraccas? Beschütze dein Volk!, betete er und nahm seine Äxte vom Sims.

Angsterfüllt küsste er die Runen. »Bitte, verlasst mich nicht«, rief er sie leise an, wandte sich um und hastete die Stufen hinab, um der Hand voll Verteidiger beizustehen.

Er gelangte bei ihnen an, als die erste Angriffswelle gegen die Mauern schwappte. Pfeilschauer sirrten auf die Zwerge herab. Die Orks legten Dutzende Sturmleitern an und kletterten ohne zu zögern die wackligen Sprossen hinauf. Andere setzten tragbare Katapulte zusammen, um den Sturm auf die Zinnen mit Brandgeschossen zu unterstützen. Die prall gefüllten, brennenden Lederbeutel zischten durch die Luft und barsten, sobald sie auf Widerstand trafen. Alles in ihrem näheren Umkreis wurde mit Petroleum überschüttet und entzündet.

Die ersten Salven flogen zu tief; dass die vordersten Orkabteilungen im eigenen Feuersturm vergingen, störte die schwarze Brut nicht. Weder der Steinhagel noch die heiße Schlacke, die von oben auf sie niedergingen, vermochten ihren Eifer und ihre Gier zu bremsen. Für einen Gefallenen drängten fünf neue Bestien auf die Tritte. Dieses Mal wollten sie durch die Pforte hindurch gelangen, dieses Mal sollte der Steinerne Torweg fallen.

»Gib Acht!« Glandallin stand einem Verteidiger bei, den ein Pfeil in die rechte Schulter getroffen hatte. Eines der Geschöpfe Tions, ein weniger kräftiges Exemplar mit breiten Hauern und platter Nase, nutzte den Moment der Unachtsamkeit. Es schwang sich auf die Mauer und sprang zwischen den Zinnen hindurch auf den Wehrgang.

Zwerg und Ork starrten einander an, die Zeit schien still zu stehen. Das Geschrei, das Zischen der Pfeile und das Klirren der Äxte wurden mit einem Mal leiser, undeutlicher.

Dafür hörte Glandallin das schwere Atmen des Gegners. Verunsichert rollten die rot geäderten Augäpfel, die tief im Schädel saßen, nach rechts und nach links. Der Zwerg erkannte deutlich, was die Bestie bewegte. Sie war die Erste ihrer Art, die es bis auf den vordersten Verteidigungswall geschafft hatte, und dieses Glück musste sie erst einmal fassen.