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Nach einigen geschickten Handgriffen nahm der Zwerg die Kette und klemmte sie wieder am Haken fest. Der Behälter hielt, das Gulasch war gerettet. »Du kannst loslassen.«

Jolosin tat, wie ihm geheißen, und besah seine schmutzigen Hände; auch die kostbare dunkelblaue Robe hatte etwas abbekommen. Er blickte verunsichert zu Frala, die nun lauthals lachte, und wurde rot.

»Du hast das absichtlich getan, du elende Missgeburt!«, fauchte er Tungdil an. Er machte einen drohenden Schritt auf ihn zu und wollte die Hand gegen ihn erheben, überlegte es sich angesichts der körperlichen Überlegenheit des Schmiedes aber anders und lief stattdessen erbost hinaus.

Der Zwerg griente hinter ihm her und wischte sich die Hände an seinem Schurz ab. »Ich hätte mich auch mit ihm geprügelt. Schade, dass er gekniffen hat.«

Frala warf ihm einen Apfel zu, den sie aus dem Korb neben sich geangelt hatte. »Der arme Jolosin«, lachte sie. »Jetzt hat er seine schöne Robe ganz schmutzig gemacht.«

»Habe ich ihm gesagt, dass er sich einsauen soll?«, zuckte Tungdil mit den Schultern und trat zu der Magd, die wie er kleinere Besorgungen und Handreichungen in der Zauberschule Lot-Ionans erledigte. »Aber ich gönne es ihm schon«, fügte er hinzu, und die Heiterkeitsfältchen um seine warmen Augen wurden tiefer.

»Ihr beide habt euch gesucht und gefunden«, seufzte Frala. »Eines Tages wird sich jemand bei euren Streitereien noch richtig verletzen.« Eine geschälte Kartoffel landete in einem mit Wasser gefüllten Bottich.

»Wie man ins Bergwerk hineinruft, so schallt es heraus.« Tungdil strich sich über die kurzen Stoppeln am Kinn. »Seit er mir den Bart mit irgendeinem Zauberkram gefärbt hat, ist er mein Erzfeind. Ich habe ihn abrasieren müssen!«

»Ich dachte immer, die Orks seien die Erzfeinde der Zwerge?«, bemerkte sie blinzelnd.

»Bei ihm mache ich eine Ausnahme. Der Bart eines Zwerges ist sein Heiligtum, und ein echter Zwerg hätte ihn wahrscheinlich erschlagen. Ich bin einfach zu gutmütig.« Er biss herzhaft in den Apfel. Seine Linke glitt in die kleine Tasche an seinem Gürtel, dann drückte er sein Mitbringsel in Fralas Hand. »Hier. Für dich.«

Sie öffnete die Finger und erblickte drei Hufnägel, die der Zwerg mit enormer Akribie zu einem Schutzsymbol zusammengeschmiedet hatte. Die Frau streichelte ihm gerührt über die Wange.

»Das ist lieb von dir. Danke.« Sie stand auf, nahm ein Stück dickes Garn und fädelte den Anhänger ein. Rasch band sie einen Knoten, sodass Tungdils Geschenk nun auf ihrem Dekollete hing. »Steht es mir?«, fragte sie kokett.

»Als wäre es nur für dich gemacht worden«, antwortete er glücklich, weil sich die Magd über den einfachen Schmuck freute, als wäre er das edelste Geschmeide des Geborgenen Landes.

Die beiden verband etwas ganz Besonderes. Tungdil kannte Frala seit ihrem ersten Lebensjahr, er hatte sie aufwachsen und zu einer jungen Frau reifen sehen, deren Anblick den Zauberschülern den Kopf verdrehte. Inzwischen hatte sie selbst zwei Kinder, Sunja und eine einjährige Tochter namens Ikana.

Frala bildete sich nichts auf ihr Äußeres ein und blieb im Umgang mit den Bewohnern des Stollens herzlich, was den Zwerg stets mit einschloss. Für sie war sein Anblick vertraut und so normal wie der eines Menschen, und diese Einstellung hatte sie an ihr ältestes Kind weitergegeben.

Der Zwerg bemerkte den Unterschied sehr genau. Die Frauen und Männer, die ins Reich Ionandar zu Lot-Ionan kamen, um bei ihm die Hohe Kunst der Magie zu erlernen, betrachteten gewöhnlich ihn als Sonderling, als Kuriosum, das man sonst nur mit viel Glück in einer fahrenden Schmiede sah. Die Magd sprach dagegen mit ihm wie mit den Knechten oder der Köchin und gab ihm das Gefühl, angenommen und gemocht zu werden.

Tungdil hatte ihr früher kleine Figürchen aus Zinn gegossen, mit denen sie voller Hingabe gespielt hatte, und ihr seine Werkstatt gezeigt, wo sie den Blasebalg hatte betätigen dürfen. »Drachenatem« hatte sie das genannt und entzückt gelacht, wenn die Funken aufgestiegen waren. Frala vergaß es ihm nicht, wie er sich um sie und nun um ihre Tochter kümmerte.

Sie schüttete die restlichen Kartoffeln in eine Wanne und füllte Wasser nach, dann wandte sie sich ihm zu. Ihre grünen Augen musterten ihn. »Es ist schon seltsam«, sagte sie lächelnd. »Ich dachte eben, dass du dich für mich in den vielen Jahren nicht verändert hast.«

Kauend setzte sich der Zwerg auf den Schemel, der Apfel war schon zur Hälfte in seinem Bauch verschwunden. »Und ich dachte eben, wie glänzend wir uns verstehen«, erwiderte er ehrlich.

»Frala! Komm her und rühre mein Gulasch!«, befahl die Köchin. »Ich muss noch ein paar Kräuter holen.« Der langstielige Kochlöffel, der fast so groß wie Tungdil war, wechselte die Besitzerin. »Lass es ja nicht anbrennen«, mahnte sie mit warnendem Unterton und ging hinaus.

Die Magd stellte sich an den Kessel und rührte die wohlriechende Mahlzeit kräftig durch.

»Ich habe die Menschen altern sehen, sogar den ehrenwerten Magus«, setzte sie ihre Rede fort, »aber du bist in den dreiundzwanzig Zyklen stets der Gleiche geblieben. Ob du in weiteren dreiundzwanzig Zyklen immer noch so ausschaust?«

Die junge Frau schnitt eine Frage an, mit der er sich ungern beschäftigte. Wenn es stimmte, was er über die Lebensdauer eines Zwerges gelesen hatte, würde er noch dreihundert Sonnenzyklen und mehr leben. Die Gewissheit, dass er eines Tages ihren Tod erleben und die liebenswerte Frala verlieren würde, machte sein Herz jetzt schon schwer.

Nachdenklich schob er sich das Kerngehäuse in den Mund und kaute es. »Warte es ab, Frala«, meinte er und versuchte, die bedrückenden Gedanken zu verdrängen.

Aber die Magd schien an diesem Tag in sein Innerstes schauen zu können. »Versprichst du mir etwas, Tungdil?« Er nickte. »Wirst du dich später einmal um meine Töchter kümmern, wenn ich nicht mehr da bin?«

Er schluckte die bitteren Kerne hinunter; sie kratzten in seinem Hals. »Das hat noch viel Zeit. Du wirst mindestens«, Tungdil schaute an ihr hinab, »na, mindestens einhundert Zyklen alt. Ich bitte den alten Zauberkauz, dass er dir ewiges Leben schenkt. Und Ikana und Sunja gleich mit«, brummte er.

Die junge Frau lachte. »Keine Sorge, ich habe nicht vor, so schnell vor Palandiell zu treten.« Sie rührte sorgfältig im Kessel; der Schweiß rann über ihre Stirn und lief ihr übers Gesicht. »Es … ist nur ein gutes Gefühl zu wissen, dass jemand auf die Kinder aufpasst.« Ein wenig hilflos hob sie die Schultern. »Ich bitte dich, sei ihr Gevatter.«

»Bis du zu deiner Göttin gerufen wirst, sind die Kinder alt genug, dass es keinen Aufpasser mehr benötigt«, meinte er, aber als er merkte, dass es Frala mit ihrer Bitte durchaus ernst meinte, gelobte er, auf Ikana und Sunja Acht zu geben. »Es ist mir eine Ehre, ihr Pate zu sein.« Der Zwerg rutschte von seinem Sitz. »Falls der Haken abreißen sollte, schicke Jolosin«, verabschiedete er sich und bekam von ihr noch eine kleine Schüssel Gulasch als Wegzehrung mit.

In der Schmiede warteten Sunja und neue Arbeit auf ihn, die der Pferdeknecht brachte. Die Bänder zweier Vorratsfässer waren gerissen, also machte er sich daran, sie auszubessern. Dann brach ein Stück des Pfluges, der eilig repariert werden musste.

Tungdil freute sich über die Aufträge. Die Anstrengung und die Hitze des Feuers brachten ihn zum Schwitzen, die Tropfen perlten von seinen Armen und fielen mit einem Zischen in die Esse. Fralas älteste Tochter beobachtete ihn wie gebannt, reichte ihm die leichteren Werkzeuge und gab sich alle Mühe, den Blasebalg zu betätigen.

Das glühende Eisen ergab sich unter seinen Schlägen und wurde zu dem, was er haben wollte. In solchen Augenblicken fühlte er sich wie ein echter Zwerg und nicht wie ein Findelkind, das von zaubernden Menschen aufgezogen wurde.

Seine Gedanken schweiften ab. In seinem dreiundsechzig Zyklen zählenden Leben hatte er keinen einzigen Zwerg gesehen, und deshalb freute er sich, wenn Lot-Ionan ihn auf Botengänge schickte, was viel zu selten geschah. Er hoffte inständig, eines Tages einem Angehörigen seines Volkes zu begegnen und mehr über es zu erfahren; doch die fahrenden Zwerge machten sich rar.