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Jetzt weiß sie aber wohl doch mal was, sie kommt ziemlich dicht zu mir ran, der Bus schubst sie mir noch entgegen. Ich rieche ihren Pausenbrotatem, als sie flüstert:»Hast du den Iren schon gesehn?«

«Was?«, frage ich. Ich bin mir nicht sicher, sie überhaupt richtig verstanden zu haben. Ich überlege kurz, ob auch sonst irgendwas nicht stimmt mit ihr, ob sie Aussetzer hat oder so.

«Na ja«, sagt sie bloß. Und dann wieder in diesem Flüsterton:»Er sitzt da vorne. «Sie zuckt mit dem Kopf. Was soll das? Ich kann es nicht ausstehen, wenn Leute flüstern, Mama macht das auch ständig, entweder man sagt, was man will, oder man lässt es.

«Wer?«, frage ich.

«Ich weiß nich«, sagt sie, jetzt fast normal, als hätte sie bereits gemerkt, dass sie mich krank macht und ich drauf und dran bin, das Gespräch abrupt und kommentarlos zu beenden. Als ob das eine meiner leichtesten Übungen wäre.

«Er hat bloß gesagt, dass er aus Irland is.«

Aus Irland! Das klingt wie vom Himmel gefallen hier. Mein Blick rastet auf einem dunklen Hinterkopf ein, den meint sie wohl. Ich traue mich kaum, ihr weitere Fragen zu stellen. Irgendwie glaube ich ihr auch nicht so richtig. Ich mustere sie von der Seite.»Wie heißt er denn?«

«Ach, weiß ich nich. Hab ich vergessen. «Sie lächelt und guckt mich ein bisschen kleinlaut an.

«Na ja«, sage ich.

Als der Bus an der letzten Bresekower Haltestelle bremst, steigt der sogenannte Ire tatsächlich mit uns aus. Nur wir drei, was aber immerhin schon eine Zuwachsrate von fünfzig Prozent ausmacht. Er geht auf Ella zu und sagt wirklich» Hallo «zu ihr. Und mich trifft der Schlag.

«Du wohnst auch hier?«, fragt er mich.

«Ja«, sage ich, ich bin total verdattert. Ella guckt mich an. Wohl weil nichts weiter von mir kommt, sagt sie:»Das ist Romy. Sie ist auch vom Gymnasium.«

Ich finde das ganz schön dreist, kann aber nicht weiter darüber nachdenken. Mich beschäftigt nur eins. Dieser Mensch sieht aus wie Paul. Paul McCartney. Wie Paul McCartney mit dreiundzwanzig wohlbemerkt.

Er gibt mir die Hand, er lächelt.

«Ich bin Paul«, sagt er.

JOHN & PAUL

GLAUBST DU AN EINE LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK

JA ICH BIN SICHER DASS ES STÄNDIG PASSIERT

WAS SIEHST DU WENN DU DAS LICHT AUSMACHST

ICH KANN ES DIR NICHT SAGEN ABER ICH WEISS DASS ES MEINS IST

BRAUCHST DU IRGENDJEMANDEN

ICH BRAUCHE NUR JEMANDEN ZUM LIEBEN

KÖNNTE ES IRGENDJEMAND SEIN

ICH WILL JEMANDEN ZUM LIEBEN

HENRY

Warum sie mit dem Brief angekommen sind, weiß er genau. Sie haben vorher kein Wort gesagt, sie haben ihm sein Mittagessen gegeben, und er hat alles aufgegessen, weil sie das gerne sehen, aber manchmal sagen sie auch,»schling nicht so«, manchmal sagen sie auch,»der frisst wie ein Schwein«. Dann hat er seinen Mittagsschlaf gemacht. Am Anfang wollte er nie Mittagsschlaf machen, zu Hause hat er nie Mittagsschlaf gemacht. Hier hat er sich dran gewöhnt, wie sie es ihm gesagt haben,»du gewöhnst dich schon dran«. Bestimmt hat er geschnarcht, sie sagen dann immer,»du hast wieder ganze Wälder abgesägt«, und das hört er gerne und lacht dann, er lacht immer laut darüber, wenn sie wieder sagen, du hast ganze Wälder abgesägt. Sie machen ja bloß Spaß, aber ihm gefällt das, dass er Wälder absägt und dass es auch noch lustig ist. Dass er beim Schlafen eine Säge hat. Ich hab doch keine Säge, hat er mal gesagt, und da haben sie alle gelacht. Er macht gerne Spaß, aber manchmal sagen sie,»jetzt reichts«,»jetzt hör aber ma auf«, und wenn er mit den anderen Spaß macht, verpetzen die ihn, und dann sagen sie zu ihm,»das macht man nicht «und immer solche Sachen, und dann hört er nicht mehr hin, dann hört er nämlich weg. Das kann er gut, das haben sie früher schon zu ihm gesagt, ja, das kann er, und manchmal haben sie gesagt, das ist das Einzige, was er kann, aber das stimmt nicht, aber das hat er ihnen nicht gesagt, dass er auch noch ganz andere Sachen kann, und auch nicht, dass er in Wirklichkeit das gar nicht so gut kann, weghören, in Wirklichkeit weiß er nämlich gar nicht, wie das geht, er weiß nur, wie man so tut, als wenn man weghört. Ha ha, hätte er hinterher am liebsten immer gesagt, ich hab gar nicht weggehört, ich hab alles gehört, was ihr gequatscht habt, aber dann hätten sie das ja gemerkt.

Und dann sind sie angekommen und haben gesagt:»Wir müssen dir was sagen, Henry«, und er hat erst mal wieder gelacht, weil sie so komisch ausgesehen haben, weil sie so ausgesehen haben, als wenn man nicht lachen darf. Sie haben gesagt:»Henry, deine Großmutter ist leider gestorben«, und dann haben sie ihm den Brief hingehalten, und er hat gelacht, weil er doch gar keine Großmutter hat, er hat doch gar keine Mutter. Und weil er doch gar keine Wörter lesen kann, schon gar nicht so viele Wörter auf einmal, so viele schwarze kleine Wörter, so viel Fliegenschiss, hat sie immer gesagt,»das ist doch nur Fliegenschiss«.»Da muss man sich nicht drüber aufregen. «Außerdem wollten sie bloß sehen, was er macht, wenn sie ihm den Brief zeigen, das machen die nämlich öfter, die zeigen ihm Sachen oder sagen Sachen zu ihm und wollen sehen, was er dann macht. Dann lacht er meistens, und dann sagen sie, er soll nicht immer bloß lachen, er soll mal was sagen, aber er sagt nichts, er nicht, er ist nicht so doof wie die andern, die sind doch alle doof.»Lass die doch alle«, hat sie immer gesagt, die sind doch alle doof,»die wissen das nicht besser.«»Du weißt das doch besser. «Er ist hin- und hergelaufen, er ist immer um den Stuhl drumrum und hat gesagt,»ich sag nichts, ich sag nichts, ich weiß das besser, ich sag nichts«. Sie haben gesagt,»Henry!«, und dann hat er gesagt:»Is Oma tot?«

Sie haben gesagt, ja, deine Oma ist tot, sie ist vorgestern gestorben, das steht in dem Brief hier, und dann haben sie wieder auf den Brief gezeigt.

«Das glaub ich nich«, hat er gesagt,»ich bin doch nich doof. Kommt Oma jetz aufn Friedhof, jetz gleich? Kommt sie jetz gleich in Himmel oder sonstwas?«Sie haben» Beerdigung «gesagt, und dass er da nicht hinkann, weil das nämlich nicht gut für ihn ist, weil das nämlich zu viel Stress ist und Ärger, weil das nicht gut ist.

«Ich war das nich«, hat er gesagt, ganz laut,»ich war das nich«, sie haben gesagt, beruhig dich, du kriegst gleich was, was zur Beruhigung, gleich, er hat ganz laut gelacht und gesagt,»ich war das nich, ich war das nich, ich war das nich«, sie haben ihn festgehalten.

MARIA

Tja, und unsereins muss nu noch immer noch weitermachen mit dem Leben. Du hast das ja immer besser gehabt, Anna, nich, wie oft hab ich zu dir gesagt, du hast das gut. Aber neidisch war ich nich, das kannst du nich sagen, na, manchmal hab ich schon geguckt auf deine Kleider, besonders das blaue mit die Rüschen, dabei hab ich ja gewusst, dass Blau mich gar nich kleidet, und du hattst so schöne blonde Haare, aber das is ja nu lange her, ach Gott, das is ja nu schon gar nich mehr wahr. Aber ich hab das alles noch im Kopf, ich, und du hast das vielleicht alles schon vergessen gehabt, du hast ja bloß noch gesagt,»na, Maria«, wenn wir uns mal übern Weg gelaufen sind, und dabei hast du immer son bisschen traurig geguckt, das hab ich genau gesehn, und da hab ich immer gedacht, na, du hast ja auch allen Grund zum Traurigsein, aber denk man nich, dass du da nich auch selber dran schuld bist. Denn wenn da nu einer neidisch sein konnte auf einen, denn du auf mich, wenigstens so von außen, aber ich sag dir, ich wär nich neidisch auf mich gewesen, mir ging das auch nich so gut, wie das vielleicht aussah, du brauchst dir nu nich einzubilden, dass nur dir das dreckig ging, bloß dass das bei dir nu alle gesehn haben, und bei mir haben sie bloß Simon gesehn und haben gesagt, was ich fürn guten Mann hab, und dass Maria Behn da aber ein unverschämtes Glück gehabt hat, und später haben sie denn Hartmut gesehn, und dass Maria Wachlowski da aber nu stolz drauf sein kann, dass ihr Sohn so gut war in der Schule und nu denn noch Lehrer geworden is, aber ich sag dir, mit Hartmut fings an.