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Aber wenigstens is mir so was wie deine Ingrid erspart geblieben, das hätt ich auch nich ausgehalten, ich hab mich immer gefragt, wie du das aushältst, na, du bist da ganz anders als ich, na, gewesen, immer, wenn ich wegen was die Hände überm Kopf zusammenschlagen wollt, hast du nur gelacht und gesagt,»is doch nich so schlimm«. Manchmal hab ich gedacht, dass du kein Herz hast, oder nich ganz gescheit bist, dabei warst du viel heller als ich, hast mich ja abschreiben lassen in der Schule und dann mit mir gemeckert,»Abschreiben is keine Lösung«, hast du gesagt und mir versucht was einzupauken, und das mit den Gefühlen hast du gut versteckt, ich hab dich nie heulen sehen. Das hat mir als Erstes imponiert, dass du keine Heulsuse warst und die Jungs dich nich ausgelacht haben, ich glaub, nur deswegen wollt ich deine Freundin sein. Ich hab gedacht, dass du meinen Eltern gut gefallen würdst, weil die das Heulen ja nu auch überhaupt nich leiden konnten, aber dann konnten sie dich auch nich leiden und haben mich ausgemeckert, weil ich nu eine mitgebracht hatte, die sich wohl für was Bessres hält,»verstooht dei denn keen Platt?«.

Ich weiß nich, ob du dich nu wirklich für was Bessres gehalten hast, aber wenn, dann hattst du keinen Grund dazu, sag ich dir, Anna Hanske, du am allerwenigsten. Das hab ich nich verstanden, wie du bei dem ganzen Dreck vor deine eigene Tür immer noch so tun konntst, als wär da nix. Vielleicht konntst du nich für alles was, das mag ja nu sein, aber wenn einem so was alles passiert, kann man da nich noch stolz tun. Ich weiß ja, dass du die alle für bisschen beschränkt gehalten hast, wir haben da ja oft genug drüber gelacht, über Else und Martha und über Sieglinde, die, bloß weil sie Fritz Boohn geküsst hatte, nu Angst hatte, dass sie ein Kind kriegt, aber da hab ich nur dir zuliebe gelacht, ganz wohl war mir nich dabei, ich hab gedacht, wenn die nu wirklich ein Kind kriegt. Das is mir wieder eingefallen, als ich denn das erste Mal schwanger war, und da musst ich denn erst richtig dadrüber lachen, na wenns so einfach gehn würd, mit Küssen, hab ich gedacht, da hätt ich das aber lieber auch so gemacht, aber dann hab ich ja das Kind verlorn, und bloß paar Tage vorher hatt ich so über Sieglinde gelacht, weil die da ja auch schon eine Zeit verheiratet war, aber immer noch nich schwanger, vielleicht wartet die immer noch dadrauf, dass das mit Küssen was wird, hab ich gedacht, und da hab ich denn allen Ernstes angenommen, so, das is nu die Strafe dafür. Hochmut kommt vor dem Fall, das kam mir gleich in’n Kopf, das war mit das Erste, was die uns eingebläut hatten im Kommunionsunterricht, und ich Dummlack hab gedacht, dass das nu wirklich was mit Hinfallen zu tun hat, und hab immer penibel dadrauf aufgepasst, nich zu stolpern und lang hinzuschlagen, damit die nich denken sollen, dass ich vielleicht hochmütig war. Ich dacht, denn lassen die mich nich zur Kommunion und ich krieg nich so ein schönes Kleid, bis dahin muss ich aufpassen, hab ich gedacht, danach is egal, da können sie es denn ja nich mehr rückgängig machen.

Später hab ich nich mehr gewusst, ob du mich da nu dazuzählst, zu die, wo du immer gesagt hast, die haben doch keine Ahnung. Das haben die doch auch mitgekriegt, was du von die denkst, und da hab ich das beinah verstehen gekonnt, dass die denn ein bisschen, na, schadenfroh waren, als das mit Ingrid passiert is. Vorher hab ich das nich gedacht, als dein Theo nich mehr wiedergekommen is, ich hab gedacht, es is vielleicht wirklich wegen dem lütten Peter, was soll er denn nu von so ein fremdes Kind halten, aber da hast du mir leid getan, und ich hab auch gedacht, dass du vielleicht zu gut für Theo bist. Und später konnt ich auch nich verstehn, wie die da nu noch schadenfroh sein können, als Henry, das war doch wirklich schlimm, und die haben doch alle gesehn, dass du nu nix dafür kannst, da kann man doch nich mehr schadenfroh sein, vor allem schon wegen Erna nich. Da hab ich das verstanden, warum du auf die alle runtergeguckt hast, aber richtig war das trotzdem nich die ganze Zeit, und danach denn auch nich mehr, man muss wissen, wann Schluss is, wann man dat Muul hulln mööt.

DIE GEMEINDE

Hest ehr all seihn

Dei seiht doch noch so ut as wie doomols

As wenn sei goor nich öller

Dei is joo nu goor nich öller worden dat blonde Hoor

Ick kann mich ja nur n bisschen erinnern als sie mit ihrm

Aber die hat dat doch nich

Nie het sei dat seggt wer denn nu

Dei het ehr Mudder quäält un denn noch dat mit dän Henry

Nee nee

Und nu kricht se dat Haus oder wat dat Haus von Anna Hanske

Na is doch ehr Mudder öwwer Peter wat is mit em denn nu

Wat will die denn mit dat Haus wenn se da in England nu wohnt

Ach in Irland

Is denn nu ihr Mann uch n Irischer

Na der sieht doch schon so aus wie n so sieht doch nu kein Deutscher

Öwwer is dat nu ehr Soohn oder vun em der Soohn

Na dat is doch tau seihn dat is doch n Hanske durch un

Der sieht ihr nu aber gar nich

Wie der olle Hanske dei wier noch

Nu kricht se wohl dat ganze Geld noch als Belohnung dafür dat se

Und unsereins

Dei wulln doch nu nich hierbliewn

Na denn gut Nacht Marie

INGRID

Du hast keinen weiter angeguckt. Es wäre nicht möglich gewesen, ohne sofort einen Blick aufzugabeln, sie hätten alle gar nicht gewusst, wohin so schnell mit ihren Augen, hättest du aufgesehen, und du wolltest sie nicht noch mehr in Verlegenheit bringen, nicht wahr. Die meisten hast du erkannt, schon am Gang, an den verschämten Flüsterstimmen, als sie in die Kirche gestolpert kamen, an den Händen und den gehegten Beerdigungsjacken, als sie wie kopflose Puppen auf einem altersschwachen Fließband an dir vorbeiruckten und kurz ihre rauhe Hand in deine kalte legten, um dann eine Winzigkeit länger bei Peter zu verweilen. Er stand lang und sprachlos neben dir, für einen Augenblick wusstest du, dass er nicht dein Bruder ist. Aber umgekehrt, nämlich, dass er sehr wohl der Sohn von Anna Hanske ist. Du bist die rechtmäßige Erbin, wie lächerlich. Wie lächerlich du da rumgestanden hast, mit Peter an vorderster Front, und dem Feind nicht ins Angesicht zu blicken wagtest und nur an deine Rückendeckung dachtest. Du wusstest, dass Michael und Paul direkt hinter dir stehen, du hast dich an ihre Anwesenheit geklammert, ohne sie zu spüren, dein Rücken war kalt, als träten deine Hacken bereits auf freies Feld, als wären da nichts als Stoppeln, deine Familie abgemäht. Du hast dich nicht getraut, hinter dich zu greifen.

Der Pastor war dein Misstrauen nicht wert; als er dir die Hand gab, hast du in den graublauen Augen etwas gesehen, wofür du dir keine Entsprechung denken konntest hier und was dich an der Information, er habe den sogenannten Leichenschmaus befürwortet und organisiert, zweifeln ließ. Und warum hatte Peter das zugelassen? Das fragst du doch nicht ernsthaft. Aber du hast eine Weile gebraucht, um dahinter nicht nur die Wehrlosigkeit Peters zu sehen, sondern auch die Klugheit des Pastors.

Der Kuchen kam dir widerlich süß und schwer vor, er hat dich an die steifen, gerüschten Kindergeburtstagskaffeetrinken erinnert, bei denen es Muckefuck gab und man nicht krümeln durfte. Beim Anblick der Sahnetorte wurde dir stets übel, und du lehntest sie rundheraus ab, worauf man dir sowohl Undankbarkeit als auch Hochnäsigkeit vorwarf,»bei euch gibs wohl wat Bessres, wa«, und dir den Mund mit trockenem Sandkuchen stopfte, den man weder kauen noch schlucken konnte. Und so saßt du da, mit einem Klumpen im Mund, der dich stumm machte und dir den Atem nahm, der den Gaumen bedrängte und ein schmerzendes Gewölbe sein ließ und dir Tränen abpresste. Du wolltest keine Heulsuse sein. Du warst auch keine. Du hast nicht geweint, als Süwerts Hund dich gebissen hat und du die Tollwutspritze in den Bauch bekamst; du hast vor ihnen nicht geweint, als das Blut dir aus der Schulter spritzte, an der das neue Messer stolz ausprobiert worden war; du hast nicht geweint vor ihm, damals, nachdem. Wieso hättest du das ausgerechnet jetzt ändern sollen.