Dann hielt sie Will Mendick ihren Dienstausweis hin. Er war lang aufgeschossen und hatte eine von Natur aus rosige Gesichtsfarbe, die sich allerdings sichtlich verdunkelte, als er erkannte, dass es die Polizei war, die ihn aufgesucht hatte. Definitiv die Haut eines Schuldigen, dachte Bea.
Mendick sah von Bea zu Havers und wieder zurück, und sein Ausdruck besagte, dass keine der Frauen so aussah, wie er sich eine Polizistin vorgestellt hatte. »Ich hab Pause«, sagte er, als befürchtete er, sie wären gekommen, um über seine Arbeitsmoral zu befinden.
»Das ist uns nur recht«, erwiderte Bea. »Wir können reden, während Sie… tun, was immer Sie da tun.«
»Wissen Sie, wie viele Lebensmittel in diesem Land weggeworfen werden?«, fragte er sie schroff.
»Ziemlich viele, schätze ich.«
»Und das ist noch untertrieben. Tonnenweise. Tonnen! Kaum ist das Verfallsdatum überschritten, fliegen die Sachen raus. Das ist ein Verbrechen.«
»Dann ist es ja aller Ehren wert, dass Sie sie einer sinnvollen Verwendung zuführen.«
»Ich esse sie.« Sein Ton war defensiv.
»Genau das habe ich mir gedacht«, bemerkte Bea.
»Ich wette, das müssen Sie auch«, warf Barbara Havers freundlich ein. »Es dürfte schwierig sein, die Lebensmittel in den Sudan zu schicken, ehe sie verderben, verschimmeln, vertrocknen oder was auch immer. Außerdem kostet es Sie nichts noch ein Vorteil.«
Mendick beäugte sie, als wollte er das ganze Ausmaß ihrer Respektlosigkeit ausloten. Ihr Gesicht gab jedoch nichts preis. Er schien zu dem Schluss zu kommen, jedwedes Urteil, das sie über seine Aktivitäten fällen mochten, zu ignorieren. »Sie wollen mit mir reden?«, fragte er. »Also, reden Sie!«
»Sie kannten Santo Kerne. Gut genug, dass er ein T-Shirt für Sie entworfen hat, wie wir herausgefunden haben.«
»Wenn Sie das wissen, wissen Sie sicher auch, dass das hier eine Kleinstadt ist, wo die meisten Leute Santo kannten. Ich hoffe, mit denen reden Sie auch.«
»Wir werden nach und nach all seine Bekannten aufsuchen«, antwortete Bea. »Aber momentan interessieren wir uns nur für Sie. Erzählen Sie uns von Conrad Nelson. Er sitzt im Rollstuhl, habe ich gehört.«
Mendick hatte ein paar Pickel um die Mundpartie, und sie nahmen schlagartig die Farbe von Himbeeren an. »Ich hab meine Zeit dafür abgesessen«, sagte er und fuhr fort, die Müllcontainer des Supermarkts zu durchforsten. Er sicherte sich ein paar Äpfel, die Druckstellen aufwiesen, und einige weiche Zucchini.
»Das wissen wir«, versicherte Bea. »Was wir hingegen nicht wissen, ist, wie es passiert ist und warum.«
»Was hat das denn mit Ihren Ermittlungen zu tun?«
»Es war ein vorsätzlicher tätlicher Angriff«, erklärte Bea. »Ein Fall von schwerer Körperverletzung. Die Ihnen einen längeren Ferienaufenthalt auf Staatskosten eingebracht hat. Wenn jemand eine solche Vorgeschichte hat, Mr. Mendick, dann müssen wir mehr darüber erfahren. Insbesondere wenn er in Kontakt ob nun eng oder nicht mit einem Mordopfer stand.«
»Und wo Rauch ist, ist immer auch Feuer«, und als wollte sie ihren Worten Nachdruck verleihen, zündete Havers sich eine neue Zigarette an.
»Sie zerstören Ihre Lungen und die Ihrer Mitmenschen obendrein«, belehrte Mendick sie. »Rauchen ist eine ganz und gar widerliche Angewohnheit.«
»Und was genau ist das Durchwühlen von Mülltonnen?«, gab sie zurück.
»Eine Maßnahme gegen Verschwendung.«
»Mist. Ich wünschte, mein Charakter wäre so ehrsam wie der Ihre. Sie müssen Ihren Edelmut wohl aus Versehen vorübergehend vergessen haben, als Sie den Typen in Plymouth zusammengeschlagen haben, was?«
»Wie gesagt, ich hab die Zeit dafür abgesessen.«
»Wir haben gehört, Sie haben dem Richter gesagt, der Alkohol wäre schuld gewesen«, berichtete Bea. »Haben Sie immer noch ein Problem damit? Bringt der Suff Sie immer noch gelegentlich dazu auszurasten? So lautete Ihre Verteidigung, hat man mir gesagt.«
»Ich trinke nicht mehr, also bringt mich der Suff zu gar nichts mehr.« Er starrte wieder in den Container, tauchte hinein und kam mit einer Schachtel Feigenriegel wieder zum Vorschein, verstaute die Schachtel in seinem Beutel und setzte die Suche fort, riss ein Paket mit offenbar altbackenem Brot auf und warf es den Möwen hin. Gierig stürzten sie sich darauf. »Ich gehe zu den Anonymen Alkoholikern, wenn Sie das beruhigt«, fügte er hinzu. »Seit ich draußen bin, habe ich keinen Tropfen mehr angerührt.«
»Ich will für Sie hoffen, dass das der Fall ist, Mr. Mendick. Was hat diese Auseinandersetzung in Plymouth ausgelöst?«
»Ich hab Ihnen doch gesagt, es hat nichts…« Er hielt inne, schien seinen wütenden Tonfall und die Richtung zu überdenken, die ihre Unterhaltung zu nehmen drohte, seufzte schließlich und sagte: »Ich hab mich früher häufiger sinnlos besoffen. Ich bin irgendwie mit diesem Typ aneinandergeraten, ich weiß wirklich nicht mehr, warum. Wenn ich gesoffen hatte, wusste ich hinterher nie, warum ich ausgerastet bin oder ob ich überhaupt ausgerastet bin. Ich konnte mich am nächsten Tag noch nicht einmal mehr an diese Schlägerei erinnern, und es tut mir echt verdammt leid, dass der Kerl jetzt im Rollstuhl sitzt. Das hatte ich nun wirklich nicht beabsichtigt. Ich hatte ihn vermutlich nur ein bisschen zurechtstutzen wollen.«
»Ist das üblicherweise Ihre Methode, Leute zurechtzustutzen?«
»Als ich noch getrunken hab, war das so, ja. Aber das ist nichts, worauf ich stolz bin. Und außerdem ist es vorbei. Ich habe dafür bezahlt. Ich habe mich gebessert. Und ich versuche, trocken zu bleiben.«
»Sie versuchen…?«
»Verflucht noch mal!« Er kletterte in den Container und wandte sich mit unübersehbarem Elan wieder dessen Inhalt zu.
»Ein paar Tage vor seinem Tod hat irgendjemand Santo Kerne einen ziemlich ordentlichen Faustschlag verpasst«, bemerkte Bea. »Ich frage mich, ob Sie uns darüber irgendetwas sagen können.«
»Nein«, erwiderte er barsch.
»Können Sie nicht, oder wollen Sie nicht?«
»Warum wollen Sie mir das anhängen?«, fuhr er herum.
Weil du so verdammt schuldig aussiehst, dachte Bea bei sich. Weil du mich an irgendeinem Punkt belogen hast. Das sehe ich an deiner Gesichtsfarbe, die jetzt leuchtend rot ist von den Wangen bis zu den Ohren und sogar bis unter den Haaransatz. Doch sie sagte nur: »Das ist mein Job. Es irgendwem anzuhängen. Und wenn Sie derjenige nicht sein sollen, dann wüsste ich gern, warum nicht.«
»Ich hatte keinen Grund, ihm etwas anzutun. Geschweige denn ihn umzubringen. Oder sonst irgendwas.«
»Woher kannten Sie ihn?«
»Ich hab bei Clean Barrel gearbeitet. Das ist ein Surfladen unten im Zentrum.« Mendick nickte in Richtung Innenstadt. »Er kam vorbei, weil er ein Board kaufen wollte. So haben wir uns kennengelernt. Ein paar Monate nachdem er hierhergezogen ist.«
»Warum arbeiten Sie nicht mehr im Clean-Barrel-Surfshop? Hat das auch etwas mit Santo Kerne zu tun?«
»Ich hab ihn an LiquidEarth weiterverwiesen, und das ist rausgekommen. Deshalb wurde ich gefeuert. Weil ich jemanden zur Konkurrenz geschickt habe. Nicht dass LiquidEarth tatsächlich im engeren Sinne Konkurrenz wäre, aber das wollte mein Boss nicht einsehen. Also war ich draußen.«
»Und das haben Sie ihm übel genommen?«
»Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber die Antwort ist Nein. Es war richtig, Santo zu LiquidEarth zu schicken. Er war ein blutiger Anfänger. Er war noch nie draußen gewesen. Er brauchte ein Anfängerbrett. Wir hatten damals keine brauchbaren nur Schrott aus China, wenn Sie's genau wissen wollen, und den verkaufen wir hauptsächlich an Touristen. Also hab ich ihm geraten, zu Lew Angarrack zu gehen, der würde ihm bestimmt ein richtig gutes Brett bauen, auf dem er Surfen lernen könnte. Es würde ein bisschen mehr kosten, aber es wäre das Richtige für ihn. Das hab ich getan. Das war alles, was ich getan hab. Echt! Aber so wie Nigel Coyle reagiert hat, hätte man meinen können, ich hätte jemanden erschossen. Santo kam mit dem Brett vorbei, um es mir zu zeigen, Coyle war zufällig da, und den Rest können Sie sich wohl denken.«