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»Er gaukelt uns etwas vor«, beharrte McNulty. »Mark Foos letzte Welle ist Surfgeschichte. Das Gleiche gilt für Jay Moriartys Wipe-out. Jemand Neues in dem Sport weiß vielleicht nicht, wer das ist oder was ihm passiert ist, aber ein langjähriger Surfer? Jemand, der behauptet, er hätte Jahrzehnte in der Szene verbracht und wäre durch die ganze Welt gezogen, um den Wellen zu folgen? So jemand muss das wissen! Und dieser Reeth wusste es nicht. Obendrein haben wir seinen Wagen in der Nähe des Unglücksortes gefunden. Ich würde sagen, das ist unser Mann.«

Bea dachte einen Moment darüber nach. Sie wusste, McNulty war als Ermittler nahezu unfähig. Er würde den Rest seiner Tage in der Polizeiwache von Casvelyn versauern und es nie weiter bringen als bis zum Sergeant und selbst das nur dann, wenn er enormes Glück hatte und Collins vor ihm das Zeitliche segnete. Aber manchmal tat nicht nur Kindermund, sondern auch Narrenmund Wahrheit kund. Sie wollte diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen, bloß weil sie sich nur allzu oft versucht sah, dem Constable mit ein paar leichten Schlägen auf den Hinterkopf auf die Sprünge zu helfen.

Also fragte sie über die Schulter: »Wie steht es mit den Fingerabdrüсken an Santo Kernes Wagen? Sind auch welche von Jago Reeth dabei?«

Sergeant Collins fischte ein Schriftstück von Beas Schreibtisch und studierte es. An dem Auto seien erwartungsgemäß überall die Fingerabdrücke des Jungen gefunden worden, berichtete er. Die von William Mendick außen an der Fahrerseite. Die von Madlyn Angarrack fast überall dort, wo auch Santos gewesen seien: innen, außen, am Handschuhfach, auf den CDs. Einige weitere stammten von Dellen und Ben Kerne, andere auf der CD und im Kofferraum seien noch nicht identifiziert.

»Und auf der Kletterausrüstung?«

Collins schüttelte den Kopf. »Die meisten sind unbrauchbar. Verschmiert. Wir haben einen deutlichen von Santo und einen Teilabdruck, der aber auch noch nicht zugeordnet ist. Das ist alles.«

»Mist«, sagte sie. »Schuss in den Ofen. Nichts.« Das brachte sie zurück zu den Autos in der Nähe des Unglücksortes. Sie sagte, eher nachdenklich als zu irgend jemandem direkt: »Wir wissen, dass der Junge sich in Sea Dreams mit Madlyn Angarrack zum Sex getroffen hat. Damit hatte Jago Reeth Zugang zu seinem Wagen — Fingerabdrücke hin oder her. In dem Punkt gebe ich Ihnen recht, Constable. Außerdem wissen wir, dass der Junge sein Surfbrett bei LiquidEarth gekauft hat. Da haben wir die Verbindung zu Lewis Angarrack. Überdies war er mit Madlyn Angarrack zusammen, vermutlich also auch dann und wann bei ihr zu Hause. Ihr Vater hätte dort erfahren können, wo er seine Kletterausrüstung aufbewahrt hat.«

»Aber es gibt doch sicher noch weitere Personen, oder?«, fragte Havers. Sie betrachtete die Magnettafel, wo Sergeant Collins diensteifrig die Liste der Aktivitäten erweiterte. »Jeder, der den Jungen kannte — seine Kumpel und sogar seine eigene Familie, wusste doch wahrscheinlich, wo er seine Ausrüstung lagerte, oder? Und hätten sie nicht leichter Zugang gehabt?«

»Vielleicht leichteren Zugang, aber kein Motiv.«

»Und niemand hat irgendeinen Vorteil durch seinen Tod? Die Schwester vielleicht? Oder ihr Freund?« Havers wandte sich von der Magnettafel ab und las offenbar irgendetwas in Beas Miene, denn sie fügte respektvoll hinzu: »Ich spiele hier nur den Advocatus Diaboli, Inspector, denn ich schätze, wir wollen nicht voreilig irgendwelche Türen zuschlagen.«

»Natürlich. Da ist immer noch die Frage von Adventures Unlimited«, bemerkte Bea.

»Ein Familienunternehmen«, sagte Havers. »Immer ein gutes Motiv.«

»Nur dass sie noch gar nicht eröffnet haben.«

»Vielleicht wollte irgendjemand Sand ins Getriebe streuen. Verhindern, dass sie den Betrieb aufnehmen. Ein Konkurrent?«

Bea schüttelte den Kopf. »Nichts ist so überzeugend wie die SexSchiene, Barbara.«

»Bislang«, schränkte Havers ein.

Zennor war selbst bei schönstem Wetter ein trostloser Ort, was einerseits seiner Lage in einer geschützten Mulde zwischen windgepeinigten Hügeln etwa eine halbe Meile von der See entfernt geschuldet war, zum anderen seiner monochromen Erscheinung in durchgängigem Granitgrau, nur hier und da aufgelockert durch den kuriosen Anblick einer vertrockneten Palme. Bei weniger günstigen Bedingungen wie schlechtem Wetter, in der Dämmerung oder mitten in der Nacht wirkte das Dorf fast schon unheimlich, umgeben von Weiden, auf denen Felsbrocken verstreut lagen, als hätte ein zorniger Gott sie wie Flüche hinabgeschleudert. Es hatte sich seit hundert Jahren nicht verändert und würde dies vermutlich auch in den kommenden hundert Jahren nicht tun. Seine Vergangenheit war vom Bergbau geprägt, seine Gegenwart setzte auf Tourismus, doch selbst im Hochsommer war davon nicht allzu viel zu sehen, denn die Strände in der näheren Umgebung waren nicht leicht zu erreichen, und die einzige Sehenswürdigkeit, die die Neugierigen möglicherweise anzulocken vermochte, war die Kirche abgesehen höchstens noch vom Tinner's Arms und den Speisen und Getränken, die ebendieser Pub zu bieten hatte. Die Größe seines Parkplatzes schien einen Hinweis darauf zu geben, dass zumindest im Sommer die Geschäfte einigermaßen gut liefen. Lynley stellte seinen Wagen vor dem Pub ab und ging hinein, um sich nach dem Sitz der Meerjungfrau zu erkundigen. Der Wirt war gerade dabei, ein Sudoku zu lösen. Er hob die Hand, um ihm zu bedeuten: Einen Augenblick bitte, schrieb eine Ziffer in eines der Kästchen, runzelte die Stirn und radierte sie wieder aus. Als er sich schließlich dem Besucher zuwandte, nahm er dem Sitz, den Lynley suchte, die Genitivkonstruktion. »Meerjungfrauen haben wenig Verwendung für einen Sitz, wenn Sie mal genauer darüber nachdenken«, erklärte er.

So erfuhr Lynley, dass es nicht der Sitz der Meerjungfrau, sondern der Meer Jungfrauensitz war, nach dem er suchte, und dass dieser sich in der Kirche befand. Selbige lag nur wenige Meter vom Pub entfernt so wie eigentlich alles in Zennor nur wenige Meter vom Pub entfernt lag. Das Dorf bestand lediglich aus zwei Straßen, einem Feldweg und einem Pfad, der sich an einer wohlriechenden Milchfarm vorbeischlängelte und zu den Klippen oberhalb der See führte. Die Kirche war vor einigen hundert Jahren auf einem kleinen Hügel errichtet worden, sodass sie das meiste all dessen überblickte.

Sie war wie so viele Kirchen auf dem Lande in Cornwall unverschlossen. Stille und der Geruch alter Steine beherrschten das Innere. Farbtupfer lieferten lediglich die Kniekissen, die in Reih und Glied entlang der Bänke lagen, und das Glasfenster über dem Altar, das eine Kreuzigungsszene darstellte.

Der Meerjungfrauensitz war offenbar die Hauptattraktion der Kirche. Er hatte einen besonderen Platz in der Seitenkapelle, und darüber hing ein Schild mit einigen erklärenden Worten, die darlegten, dass hier ein aphroditisches Symbol von mittelalterlichen Christen vereinnahmt worden sei, um die menschliche und göttliche Natur Christi zu veranschaulichen. Lynley fand das arg weit hergeholt, aber er nahm an, die Christen hatten es in diesem Teil der Welt nicht leicht gehabt; schon gar nicht im Mittelalter.

Der Sitz war schlicht und hatte mehr Ähnlichkeit mit einem schmalen Betstühlchen als mit einem Thron oder Ähnlichem. Er war aus uralter Eiche gefertigt und zeigte Schnitzereien des namengebenden Fabelwesens mit einem Spiegel in der einen und einem Kamm in der anderen Hand. Doch es saß niemand darauf und wartete auf Lynley.

Es blieb ihm folglich nichts weiter übrig, als seinerseits zu warten, also setzte er sich in die Bank, die dem Sitz am nächsten stand. Es war kalt und vollkommen still in der Kirche.

In seiner derzeitigen Lebenssituation war Lynley nicht gerade erpicht auf Kirchen. Die Hindeutung auf die Vergänglichkeit, die ihre Friedhöfe implizierten, gefiel ihm nicht. Er wollte nicht an Sterblichkeit erinnert werden. Darüber hinaus glaubte er an nichts außer an den Zufall und die Unmenschlichkeit, mit der Menschen einander begegneten. Seiner Meinung nach gaben sowohl die Kirchen als auch die Religionen, die sie repräsentierten, unhaltbare Versprechungen. Es war einfach, die ewige Seligkeit nach dem Tod zu garantieren, solange niemand zurückkehrte, um davon zu berichten. Also war völlig offen, ob die strikte Befolgung moralischer Regeln oder die Gräuel, die Menschen einander antaten, irgendwelche Folgen zeitigten.