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Und die Wurzel dieses Übels war Dellen. Es war, als irrten sie alle durch ein Labyrinth auf der Suche nach seinem geheimnisvollen Zentrum, während Dellen die ganze Zeit über in diesem geheimnisvollen Zentrum lauerte wie eine Schwarze Witwe. Der einzige Weg, ihr zu entgehen, hätte darin bestanden, sie auszulöschen, aber dafür war es längst zu spät.

»Möchtest du irgendetwas?«

Es war Alan. Kerra saß in ihrem Büro und sah die kurze Liste der Bewerberinnen durch, was sich als zusehends deprimierende Tätigkeit erwies. Im Augenblick ging es um die Kajak-Sparte, und sie hatte heute bereits mit fünf potenziellen Trainerinnen gesprochen. Nur zwei davon hatten über die Vorkenntnisse verfügt, die sie für erforderlich hielt, und nur eine dieser beiden hatte auch die Statur gehabt, die darauf hindeutete, dass sie selbst Wassersport betrieb. Die andere hatte eher so ausgesehen, als sei sie bislang nur ein wenig den Avon auf und ab geschippert, und auf diesem Rinnsal bestand die größte Herausforderung vermutlich darin, den Jungschwänen mit den Rudern nicht die Schädel einzuschlagen.

Kerra klappte die letzte der Bewerbungsmappen behutsam zu. Sie überlegte, wie sie Alans Frage am besten beantworten sollte, wog ab, ob Ironie, Sarkasmus oder Schlagfertigkeit ihren Interessen am besten dienen würde, als er wieder das Wort ergriff. »Kerra? Möchtest du irgendetwas? Eine Tasse Tee? Kaffee? Etwas zu essen? Ich muss kurz weg, und auf dem Rückweg kann…«

»Nein. Danke.« Sie wollte ihm nicht zu Dank verpflichtet sein, nicht einmal in solch einer nichtigen Sache.

Stattdessen taxierte sie ihn, und er taxierte sie. Es war einer dieser Momente, da zwei Menschen, die einmal ein Liebespaar gewesen waren, einander in Augenschein nahmen wie Anthropologen, die in unerschlossenem Gelände nach Spuren einer untergegangenen Zivilisation suchten. Irgendwo musste es doch Hinweise und Anzeichen geben, einen Zugang oder zumindest Spuren davon…

»Wie läuft's denn so?«, fragte er.

Ihr war klar, dass er genau wusste, wie es lief, aber sie spielte das Spiel mit. »Ich habe ein paar gefunden, die durchaus infrage kommen könnten. Morgen führe ich weitere Gespräche. Aber die Frage ist, ob wir überhaupt eröffnen. Irgendwie scheinen wir unser Ziel nicht mehr vor Augen zu haben, vor allem heute nicht. Hast du meinen Vater gesehen?«

»Seit Stunden nicht mehr.«

»Was ist mit Cadan? Ist er zur Arbeit erschienen?«

»Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht hat er sich direkt an die Heizkörper gemacht, aber gesehen habe ich ihn nicht. Es ist ziemlich still im ganzen Haus.«

Dellen erwähnte er mit keinem Wort. Sie war heute mehr denn je diejenige, die sie immer schon gewesen war, wenn die Dinge schwierig wurden: die Unaussprechliche. Schon der Gedanke an sie ließ alle in stumme Beklemmung verfallen. Dellen war wie ein übelriechendes totes Tier im Wohnzimmer: unmöglich zu ignorieren und doch zu peinlich, um Erwähnung zu finden.

»Was hast du…?« Kerra nickte zu seinem Büro hinüber. Er schien das als Einladung aufzufassen, denn er betrat ihr Kämmerchen, wozu sie ihn keineswegs hatte auffordern wollen. Sie wollte vielmehr, dass er auf Distanz blieb. Es war aus zwischen ihnen, hatte sie entschieden.

»Ich habe versucht, für das Video alle unter einen Hut zu bringen. Trotz alldem, was passiert ist, glaube ich immer noch…« Er zog sich den Stuhl heran, der an der Wand neben der Bürotür stand. Als er sich setzte, stießen ihre Knie fast zusammen. Das missfiel Kerra. Sie wollte keine wie auch immer geartete Nähe zu ihm zulassen. »Das hier ist wichtig«, fuhr Alan fort. »Ich will deinen Vater davon überzeugen. Ich weiß, das Timing könnte kaum schlechter sein, aber…«

»Aber doch nicht etwa auch meine Mutter?«, unterbrach Kerra ihn.

Alan blinzelte. Er schien einen Moment lang verwirrt. Vielleicht lag es an ihrem Tonfall. »Deine Mutter auch, aber eigentlich ist sie schon an Bord, wohingegen dein Vater…«

»Oh. Ist sie das?«, fragte Kerra. »Na ja, wenn ich darüber nachdenke, sieht es ihr ähnlich.« Es überraschte sie, dass er sich darauf einließ, über ihre Mutter zu sprechen. Dellens Meinung, ganz gleich in welcher Frage, hatte nie eine Rolle gespielt, schlicht und einfach weil sie unfähig war, an einer Meinung festzuhalten. Darum war es ein Schock, jetzt zu hören, dass jemand dieser Meinung offenbar irgendeine Bedeutung beimaß. Doch auf der anderen Seite ergab es durchaus einen Sinn. Alan arbeitete mit Dellen zusammen im Marketing wenn es denn gelegentlich vorkam, dass Dellen überhaupt arbeitete, also hatten sie das Videoprojekt natürlich besprochen, ehe sie es Kerras Vater präsentiert hatten. Sicher hatte Alan ihre Mutter auf seiner Seite haben wollen. Denn das würde bedeuten, dass er zumindest eine Stimme mit Sicherheit im Sack hatte, und zwar die Stimme einer Person, die beträchtlichen Einfluss auf Ben Kerne hatte.

Kerra fragte sich, ob Alan auch mit Santo gesprochen hatte und was Santo wohl von Alans Ideen für Adventures Unlimited gehalten hatte oder hätte.

»Ich würde gerne noch einmal mit ihm reden, aber ich habe ihn nicht mehr gesehen…« Alan zauderte. Dann endlich schien er seiner Neugier nachzugeben: »Was ist eigentlich los?«

»In welcher Hinsicht genau?«, fragte Kerra höflich.

»Ich habe sie gehört… Heute Morgen… Ich war nach oben gegangen auf der Suche nach…« Er errötete.

Ach, dachte sie. Waren sie endlich an dem Punkt angelangt?

»Auf der Suche nach…?« Jetzt klang sie schelmisch. Das Spiel gefiel ihr. Sie hätte nie für möglich gehalten, dass sie es fertigbringen könnte, denn sie fühlte sich alles andere als schelmisch.

»Ich habe deine Eltern gehört. Oder genauer gesagt, deine Mutter. Sie hat…« Er senkte den Kopf und schien sich auf seine Schuhe zu konzentrieren: zweifarbige Sattelschuhe, und Kerra betrachtete sie ebenso wie er. Sie überlegte, ob sie je einen anderen Mann Sattelschuhe hatte tragen sehen. Wie kam es nur, dass er sie tragen konnte, ohne wie ein Dandy aus einem Roman von P. G. Wodehouse auszusehen?

»Ich weiß, das alles ist schrecklich«, sagte er schließlich. »Ich bin mir einfach nur nicht im Klaren darüber, was von mir erwartet wird. Zuerst habe ich gedacht, es wäre richtig, einfach weiterzumachen wie bisher, aber so langsam kommt es mir unmenschlich vor. Deine Mutter ist unverkennbar außer sich, und dein Vater…«

»Woher willst du das wissen?« Die Frage entschlüpfte ihr, ehe sie es verhindern konnte, und sofort bereute sie es.

»Was wissen?« Alan schien verwirrt. Ihre Frage hatte ihn offenbar aus seinem Konzept gerissen.

»Dass meine Mutter außer sich ist.«

»Wie gesagt, ich habe sie gehört. Ich war nach oben gegangen, weil unten niemand war und wir inzwischen an dem Punkt sind, da wir entscheiden müssen, ob wir noch Buchungen annehmen oder die ganze Sache abschreiben.«

»Und das macht dir Sorgen, ja?«

»Sollte das nicht uns allen Sorgen machen?« Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und sah sie direkt an, faltete die Hände vor dem Bauch und fragte schließlich: »Warum sagst du es mir nicht, Kerra?«

»Was?«

»Ich glaube, das weißt du.«

»Und ich glaube, du bluffst.«

»Du warst im Pink Cottage. Du hast mein Zimmer durchwühlt.«

»Welch eine überaus loyale Vermieterin du doch hast.«

»Was hast du denn erwartet?«

»Du willst wirklich wissen, wonach ich gesucht habe?«

»Du hast ihr gesagt, du hättest etwas vergessen, also nehme ich an, du hast etwas vergessen. Ich verstehe nur nicht, warum du mich nicht einfach gebeten hast, es dir mitzubringen.«