»Er hat Madlyn geschwängert«, eröffnete Lew. »Und er hatte nicht die Absicht, irgendetwas in der Sache zu unternehmen.«
Bea spürte, dass Sergeant Havers an ihrer Seite sich regte, erpicht darauf, sich einzumischen, aber noch hatte sie sich unter Kontrolle. Bea fragte sich, warum ihr diese Information so beiläufig von dem Mann mitgeteilt wurde, der den besten Grund gehabt hätte, etwas in der Sache zu unternehmen.
»Santo hat erzählt, sein Vater wolle, dass Santo zu seiner Verantwortung steht«, schaltete Jago sich ein. Dann fügte er hinzu: »Tut mir leid, Lew. Ich hab trotzdem weiterhin mit dem Jungen gesprochen. Schien mir das Beste, wo doch das Baby unterwegs war.«
»Also hat Ihre Tochter keinen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen?«, fragte Bea Angarrack.
»Sie wollte es behalten… das Kind…«
»Wollte?«, hakte Havers nach. »Und die Vergangenheitsform bedeutet…?«
»Fehlgeburt.«
»Wann genau ist das passiert?«, fragte Bea.
»Die Fehlgeburt? Anfang April.«
»Sie hat behauptet, zu dem Zeitpunkt hätte sie bereits Schluss mit ihm gemacht. Also hat sie ihn trotz Schwangerschaft in die Wüste geschickt.«
»Das ist korrekt.«
Hannaford warf Havers einen Blick zu, deren Miene unmissverständlich verriet, was sie dachte: Mannomann. Da waren sie aber auf eine höchst interessante Fährte gestoßen.
»Und was hielten Sie davon, Mr. Angarrack? Und Sie, Mr. Reeth, wo Sie sich doch solche Mühe gegeben hatten, den Jungen mit Kondomen zu versorgen?«
»Ich hielt überhaupt nichts davon«, räumte Angarrack ein. »Aber wenn "zu seiner Verantwortung stehen" bedeutet hätte zu heiraten, hätte ich es lieber gesehen, dass sie sich trennten, glauben Sie mir. Ich wollte nicht, dass sie ihn heiratet. Sie waren doch beide erst achtzehn, und außerdem…« Er winkte ab, als wollte er den Rest seines Satzes mit der Geste fortwischen.
»Außerdem?«, hakte Havers nach.
»Er hatte sein wahres Gesicht bereits gezeigt. Der Dreckskerl! Ich wollte nicht, dass meine Tochter noch irgendetwas mit ihm zu tun hatte.«
»Sie meinen, er hat sie zu einer Abtreibung überreden wollen?«
»Nein, was ich meine, ist, dass es ihm völlig gleichgültig war, was sie tat. Das war anscheinend sein Stil. Nur wusste Madlyn das zu Anfang noch nicht. Na ja, keiner von uns wusste das.«
»Es muss Sie verrückt gemacht haben, als Sie es herausgefunden haben.«
»Und in meinem verrückten Zustand habe ich ihn umgebracht?«, fragte Lew. »Wohl kaum. Ich hatte keinen Grund, ihn zu töten.«
»Der Missbrauch Ihrer Tochter ist kein ausreichender Grund?«, wollte Bea wissen.
»Es war vorbei und erledigt. Sie war… Sie ist dabei, darüber hinwegzukommen.« Und mit einem Blick zu Jago fügte er hinzu: »Ist es nicht so?«
»Ein langsamer Prozess«, antwortete Jago.
»Der durch Santos Tod sicher einfacher geworden ist«, bemerkte Bea.
»Ich hab's Ihnen schon einmal gesagt: Ich hatte keine Ahnung, wo er seine Ausrüstung aufbewahrte, und selbst wenn ich es gewusst hätte…«
»Ich wusste es«, unterbrach Jago Reeth. »Verstehen Sie, Santos Vater hat versucht, den Jungen zur Räson zu bringen, als Madlyn schwanger wurde. Wie gesagt, sie haben sich gestritten. Und zu diesem Streit gehörte auch dieses elende "Sei endlich ein Mann"-Thema, mit dem Väter ihren Söhnen früher oder später garantiert zu Leibe rücken. Doch für Santo war es einfacher, das Mannsein auf etwas anderes zu übertragen als auf die Verantwortung für ein Kind. Also hat er seine Kletterausrüstung geholt, um es zu tun. Statt: "Du willst, dass ich zu Madlyn stehe, also werde ich zu Madlyn stehen", war es für ihn einfacher zu sagen: "Du willst lieber, dass ich klettere statt zu surfen? Dann klettere ich eben. Und ich werde dir zeigen, was ein richtiger Kletterer ist." Und dann ist er losgezogen, um zu klettern. Bei jeder Gelegenheit. Er hat die Ausrüstung einfach im Kofferraum gelassen, fürs nächste Mal. Ich wusste, dass sie da war.«
»Darf ich annehmen, dass auch Madlyn das wusste?«
»Sie war übrigens bei mir«, fuhr Jago unbeirrt fort. »Wir sind zusammen nach Alsperyl gefahren und zu Hedras Hütte gegangen. Dort war etwas, was sie loswerden wollte. Das Letzte, was sie mit Santo Kerne verband.«
»Und was war das?«, fragte Bea.
Jago legte seinen Schleifblock behutsam auf der Oberfläche des Surfbretts ab. »Hören Sie, sie hatte sich rettungslos in Santo verliebt. Er war… Tut mir leid, Lew, kein Vater hört das gern. Er war der Erste, mit dem sie im Bett gewesen war. Als die Sache dann vorbei war, war sie völlig am Ende. Dann hat sie auch noch das Baby verloren. Sie hatte Schwierigkeiten, mit all dem fertig zu werden. Wer hätte da nicht Schwierigkeiten gehabt? Also habe ich ihr geraten, sich von allem zu befreien, was mit Santo zu tun hatte. Das hat sie auch gemacht, und dann war nur noch diese eine Sache übrig. Und dazu waren wir dort, um es zu erledigen. Sie hatten ihre Initialen in die Bretterwand der Hütte geritzt. Alberne Kinderei, mit einem Herz darum und so weiter, Sie wissen schon. Wir sind hingegangen, um sie zu zerstören. Natürlich nicht die Hütte. Die steht schon seit… Jesus, wie lange? Hundert Jahre? Wir wollten die Hütte nicht beschädigen. Nur die Initialen auslöschen. Das Herz haben wir gelassen.«
»Und warum dann nicht den letzten logischen Schritt auch noch tun?«, fragte Bea.
»Und der wäre?«
»Ist das nicht offensichtlich, Mr. Reeth?«, warf Havers ein. »Warum nicht auch Santo Kerne zerstören?«
»Augenblick mal…«, meldete sich Lew Angarrack hitzig zu Wort, doch Bea ging sofort dazwischen: »Ist sie ihrer Veranlagung nach eifersüchtig? Neigt sie dazu zurückzuschlagen, wenn sie verletzt wird? Sie dürfen beide antworten.«
»Wenn Sie unterstellen wollen…«
»Ich versuche, die Wahrheit zu ergründen, Mr. Angarrack. Hat Madlyn Ihnen erzählt oder Ihnen, Mr. Reeth, dass Santo mitten in dieser Geschichte angefangen hat, sich mit jemand anderem zu treffen? Und "treffen" ist hier lediglich ein Euphemismus. Deutlicher gesagt: Er hat es mit einer älteren Frau hier aus der Gegend getrieben, während er es gleichzeitig mit Ihrer Tochter trieb und sie auch noch schwängerte. Das hat sie uns selbst erzählt bis auf die Sache mit der Schwangerschaft jedenfalls. Na ja, das musste sie auch, denn wir hatten sie schon mehr als einer Lüge überführt, und ich fürchte, inzwischen hat sie sich vollends in eine Sackgasse manövriert. Wie sich herausgestellt hat, ist sie dem Jungen gefolgt und hat ihn in flagranti mit dieser Frau erwischt: Der potente, kräftige junge Bock rammelte das alternde Schaf. Wussten Sie davon? Oder Sie, Mr. Reeth?«
»Nein. Nein«, sagte Lew Angarrack. Er fuhr sich mit der Hand durch das ergraute Haar und löste eine kleine Lawine aus Kunststoffstaub aus. »Ich war so mit meiner eigenen Beziehung beschäftigt… Ich wusste, die Sache mit ihr und dem Jungen war vorüber, und ich dachte, mit der Zeit… Madlyn war immer schon schwierig. Ich habe lange gedacht, es läge an ihrer Mutter und an der Tatsache, dass sie uns verlassen hat und Madlyn seither grundsätzlich nicht gut damit fertig wird, verlassen zu werden. Das schien mir nur natürlich zu sein, aber früher oder später kam sie doch immer darüber hinweg, wenn es zwischen ihr und einem anderen Menschen zu Ende ging. Ich dachte, sie würde auch über diese Geschichte hinwegkommen, sogar über den Verlust des Babys. Als sie dann so… verstört war, habe ich getan, was ich konnte, um ihr darüber hinwegzuhelfen.«
»Und das war?«
»Ich hab den Jungen rausgeworfen und sie ermutigt, wieder mit dem Surfen anzufangen. Wieder in Form zu kommen. Wieder an Wettkämpfen teilzunehmen. Ich habe ihr gesagt, niemand kommt durchs Leben, ohne dass jemand anderes einem das Herz bricht. Aber man erholt sich davon.«
»So wie Sie?«, fragte Havers.
»Wenn Sie es unbedingt wissen müssen, ja.«