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»Könnte. Ist er aber nicht.«

»Woher willst du das wissen? Kennst du ihn?«

»Ich muss ihn gar nicht kennen.«

Wieder dieser Ausdruck von Selbstzufriedenheit. War er schon immer so gewesen? Hatte sie es einfach nicht gesehen? Hatte die Liebe oder was auch immer sie so blind gemacht, dass sie diesen Mann bedenkenlos geheiratet hatte? Es war ja nicht so gewesen, dass sie sich der gefährlichen Altersgrenze genähert hätte und Ray ihre letzte Chance auf Heim und Familie gewesen wäre. Sie war erst einundzwanzig gewesen. Und glücklich oder etwa nicht?

Bis Pete gekommen war, war ihr Leben in Ordnung gewesen: Sie hatten ein Kind — eine Tochter, und auch wenn es eine kleine Enttäuschung war, hatte Ginny ihnen doch gleich nach ihrer Heirat ein Enkelkind geschenkt, und das nächste war bereits unterwegs. Bea und Ray hatten in nicht allzu ferner Zukunft dem Pensionsalter entgegengesehen und all den verlockenden Dingen, die sie sich für die Zeit nach dem Berufsleben vorgenommen hatten. Doch dann hatte Pete sich angekündigt — eine totale Überraschung. Eine freudige für Bea; unliebsam für Ray. Der Rest war Geschichte.

»Tatsächlich ist es so, dass ich in der Zeitung über ihn gelesen habe«, sagte Ray in diesem aufrichtigen Tonfall, mit dem er immer seine Geständnisse ablegte und der sie jedes Mal veranlasste, ihm selbst seine schlimmsten Anfälle von Blasiertheit zu verzeihen. »Dort stand, dass er aus dieser Gegend stammt. Der Familiensitz liegt in Cornwall. In der Gegend von Penzance.«

»Also ist er nach Hause gekommen.«

»Hm. Tja. Nach dem, was passiert ist, kann man ihm wohl kaum vorwerfen, dass er die Nase von London voll hat.«

»Aber Penzance ist ziemlich weit weg von hier.«

»Vielleicht hat er zu Hause bei der Familie nicht gefunden, was er brauchte. Armes Schwein.«

Bea warf Ray einen Blick zu. Sie gingen Seite an Seite vom Haus hinüber zum Parkplatz und kamen an seinem Porsche vorbei, den er halb auf der Straße abgestellt hatte. Sie fand das unklug, aber ihr konnte es ja gleich sein; sie war für sein Fahrzeug nicht verantwortlich. Seine Stimme war ebenso missmutig wie seine Miene, das sah sie selbst im Dämmerlicht.

»Die ganze Geschichte hat dich berührt, wie?«, fragte sie.

»Ich hab auch ein Herz, Beatrice«, entgegnete er.

Das stimmte. Und Beas Problem war, dass seine bestechende Menschlichkeit es unmöglich machte, ihn zu hassen. Denn sie hätte es vorgezogen, Ray Hannaford zu hassen. Ihn zu verstehen, war viel zu schmerzlich.

»Ah«, machte Ray. »Ich glaube, wir haben unseren verlorenen Sohn gefunden.« Er wies zur Klippe hinüber, die rechts von ihnen jenseits des Parkplatzes aufragte. Der Küstenpfad sah aus wie ein schmaler Streifen, der wie mit dem Messer in das ansteigende Gelände geschnitten war, und zwei Gestalten kamen von der Anhöhe herab. Die vordere beleuchtete den Pfad durch die Dämmerung und den Regen mit einer Taschenlampe. Die kleinere zweite suchte sich vorsichtig einen Weg zwischen den regennassen Steinen, die den Boden dort übersäten, wo der Pfad nur unzureichend geräumt war.

»Dieser schreckliche Junge«, sagte Bea. »Er bringt mich noch ins Grab.« Dann rief sie: »Komm sofort da runter, Peter Hannaford! Ich hatte doch gesagt, du sollst im Auto bleiben! Und das war mein Ernst, wie du verdammt gut weißt! Und Sie, Constable: Was denken Sie sich eigentlich dabei, einem Kind zu erlauben…«

»Sie können dich nicht hören, Liebes«, unterbrach Ray. »Lass es mich mal versuchen.« Er brüllte Petes Namen und gab einen Befehl, den nur ein Dummkopf ignoriert hätte. Pete hastete den Pfad hinab und hatte seine Ausrede schon parat, als er zu ihnen stieß.

»Ich bin nicht mal in der Nähe der Leiche gewesen«, beteuerte er. »Du hast gesagt, ich soll nicht hingehen, und das bin ich auch nicht. Frag Mick! Ich bin nur den Pfad mit ihm raufgeklettert. Er war…«

»Haarspalterei«, fiel Ray ihm ins Wort.

»Du weißt genau, was ich davon halte, wenn du so etwas tust, Pete«, sagte Bea. »Jetzt begrüß deinen Vater, und dann verschwinde von hier, ehe ich dich verdresche, wie du's verdient hättest.«

»Hallo«, sagte Pete. Er streckte die Hand aus. Ray schlug ein. Bea wandte den Blick ab. Sie hätte einen Händedruck nicht zugelassen. Sie hätte den Jungen gepackt und geküsst.

Mick McNulty trat auf sie zu. »Tut mir leid. Ich wusste ja nicht…«

»Es ist ja nichts passiert.« Ray legte Pete die Hände auf die Schultern und schob ihn in Richtung Porsche. »Ich hab mir gedacht, wir holen uns beim Thai etwas zu essen«, schlug er seinem Sohn vor.

Peter verabscheute asiatisches Essen, aber Bea überließ es den beiden, das auszudiskutieren. Sie warf ihrem Sohn einen unmissverständlichen Blick zu, der besagte: Nicht hier. Pete schnitt eine Grimasse.

»Pass auf dich auf«, sagte Ray und küsste Bea zum Abschied auf die Wange.

»Fahr vorsichtig«, erwiderte sie. »Die Straßen sind rutschig.« Und weil sie sich nicht bremsen konnte, fügte sie hinzu: »Du siehst gut aus, Ray.«

»Nur hab ich davon nichts«, erwiderte er und ging mit ihrem Sohn davon. Pete hielt an Beas Wagen und holte seine Fußballschuhe heraus. Bea unterdrückte den Drang, ihm nachzurufen, er solle sie liegen lassen. Stattdessen fragte sie Constable McNulty: »Also? Was haben wir?«

McNulty wies zur Klippe hinauf. »Da oben liegt ein Rucksack, den die Spurensicherung einpacken sollte. Ich schätze, er gehört dem Jungen.«

»Sonst noch was?«

»Indizien, wie der arme Tropf abgestürzt ist. Hab ich auch für die Spurensicherung liegen lassen.«

»Was ist es?«

»Da oben ist ein Zauntritt, vielleicht drei Meter von der Felskante entfernt. Er markiert die Westgrenze einer Kuhweide. Der Junge hat eine Schlinge darumgelegt, an der sein Karabiner und das Seil für den Abstieg befestigt waren.«

»Was für eine Schlinge?«

»Aus Nylonnetz. Sieht aus wie ein Fischernetz, wenn man nicht weiß, wofür's gedacht ist. Man formt eine lange Schlinge daraus, legt sie um ein feststehendes Objekt und verbindet die Enden mit einem Karabiner. Dann knotet man das Seil an den Karabiner, und ab geht's.«

»Klingt vernünftig.«

»Wär's an sich auch gewesen. Aber die Schlinge war mit Klebeband ausgebessert, vermutlich um eine Schwachstelle zu stärken, und genau da ist sie gerissen.« McNulty sah zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. »So ein Vollidiot! Warum hat er sich nicht einfach eine neue Schlinge besorgt?«

»Was für eine Art Klebeband hat er denn verwendet?«

McNulty schaute sie an, als überraschte ihn die Frage. »Isolierband.«

»Ich hoffe, Sie haben die Finger davon gelassen?«

»'türlich.«

»Und der Rucksack?«

»Ist aus festem Segeltuch.«

»Das hab ich mir schon gedacht«, erwiderte Bea geduldig. »Wo hat er gelegen? Und woher wissen Sie, dass er dem Jungen gehörte? Haben Sie reingeschaut?«

»Er lag gleich neben dem Zauntritt, darum hab ich angenommen, es ist seiner. Wahrscheinlich hatte er seine Ausrüstung da drin. Jetzt ist er leer bis auf einen Schlüsselring.«

»Autoschlüssel?«

»Vermutlich.«

»Haben Sie sich nach dem Fahrzeug umgesehen?«

»Ich dachte, es ist besser, Ihnen erst mal Bericht zu erstatten.«

»Dann denken Sie noch mal scharf nach, Constable. Ab nach oben mit Ihnen, und finden Sie den Wagen!«

Er sah zur Klippe hinüber. Sein Ausdruck verriet ihr, wie wenig Lust er verspürte, ein zweites Mal im Regen dort hinaufzusteigen. »Na los«, ermunterte sie ihn liebenswürdig. »Die Bewegung kann Ihnen nur guttun.«

»Ich dachte, ich sollte vielleicht lieber die Straße nehmen. Es sind ein paar Meilen, aber…«

»Sie gehen schön zu Fuß«, teilte sie ihm mit. »Und halten Sie auf dem Pfad die Augen offen. Vielleicht gibt es Fußabdrücke, die der Regen noch nicht vernichtet hat.« Oder du, fügte sie in Gedanken hinzu.