»Und was wussten Sie über diese andere Frau?«, wollte Bea wissen.
»Nichts. Madlyn hat nie auch nur ein Wort darüber verloren… Gar nichts wusste ich.«
»Und Sie, Mr. Reeth?«
Jago nahm den Schleifblock in die Hand und betrachtete ihn. Er nickte bedächtig. »Sie hat's mir erzählt. Sie wollte, dass ich mit dem Jungen rede. Vermutlich um ihn zur Vernunft zu bringen. Aber ich habe ihr erklärt, es würde nichts nützen. In dem Alter? Da denkt ein Junge doch nicht mit dem Kopf. Ich habe sie gefragt, ob sie das nicht wüsste. Und ich habe ihr auch gesagt, andere Mütter haben auch schöne Söhne, wie es so schön heißt. "Lass uns mit der traurigen Geschichte endgültig abschließen, Mädchen, und unser Leben leben. Anders geht's nicht."«
Er schien gar nicht zu merken, was er da gerade gesagt hatte. Bea ließ ihn nicht aus den Augen. Sie wusste, Havers tat das Gleiche. Bea sagte: »Anormal war der Begriff, mit dem die Beziehung beschrieben wurde, die Santo nebenher führte, während er noch mit Madlyn zusammen war. Angeblich hat Santo selbst das Wort verwendet. Und er hatte den Rat bekommen, ehrlich zu sein, was diese anormale Sache betraf. Vielleicht war er das ja auch, aber offenbar nicht Madlyn gegenüber. War er zu Ihnen ehrlich, Mr. Reeth? Scheinbar haben Sie ja einen Draht zu jungen Leuten.«
»Ich wusste nur, was unsere Madlyn wusste«, erwiderte Jago. »Anormal, sagen Sie? Das war das Wort?«
»Anormal, genau. Anormal genug für ihn, um sich deswegen einen Rat zu holen.«
»Eine Affäre mit einer älteren Frau war vielleicht anormal genug«, bemerkte Lew.
»Genug, um deswegen um Rat zu fragen?«, fragte Bea, mehr an sich selbst gerichtet.
»Ich nehme an, das hängt davon ab, wer die Frau war, oder?«, kommentierte Jago. »Aber darauf läuft es letzten Endes doch immer hinaus.«
21
Trotz Jagos Warnung konnte Cadan sich nicht beherrschen. Es war der schiere Wahnsinn, und das wusste er sehr wohl, trotzdem ließ er sich dazu hinreißen. Das weiche, seidige Gefühl ihrer Oberschenkel, die ihn umschlossen; ihr Stöhnen und dann ihr zunehmend ekstatisches Ja!, und das alles vor dem Hintergrund der Wellen, die auf den nahen Strand brandeten; die Aromen des Meeres, ihrer Weiblichkeit und des modrigen Holzes in der winzigen Strandhütte; das ewige weibliche Salz, da wo er leckte, während sie schrie, und ihr Ja! Ja!, mit dem sich ihre Finger in sein Haar krallten; das schwache Licht aus den Ritzen um die Tür, das ein beinah unirdisches Glühen auf ihre Haut warf, die glitschig, aber straff war und fest und willig… Gott, so begierig und vor allem so willig…
So könnte es sein, dachte Cadan, und obwohl es schon spät wurde, war er drauf und dran, Pooh ins Wohnzimmer zu verfrachten, sein Fahrrad aus der Garage zu holen und im Eiltempo zu Adventures Unlimited hinüberzuradeln, um auf Dellen Kernes Angebot einzugehen und sich mit ihr in der Strandhütte zu treffen. Er hatte genügend Filme im Kino gesehen, um zu wissen, dass Liaisons älterer Frauen mit jüngeren Männern mitnichten einfach waren und niemals hielten, was in seinen Augen ein Pluspunkt hätte sein können. Aber allein der Gedanke, es mit Dellen Kerne zu treiben, war in Cadans Vorstellung so präsent, dass er sich über die bloße Präsenz hinausentwickelt hatte: in eine völlig neue Region des Erhabenen, des Mystischen und Metaphysischen. Der einzige Haken an der Sache war leider Dellen selbst.
Die Frau war verrückt, keine Frage. Trotz seines Verlangens, seine Lippen auf verschiedene Regionen ihres Körpers zu pressen, erkannte Cadan doch Beklopptheit, wenn er Beklopptheit vor sich hatte falls Beklopptheit denn überhaupt ein Wort war, was er ernstlich bezweifelte. Aber wenn es das Wort nicht gab, musste es erfunden werden, denn sie war die personifizierte Beklopptheit. Hoch zehn. Sie war die wandelnde, sprechende, atmende, essende, schlafende Beklopptheit, und auch wenn Cadan Angarrack geil genug war, um es mit einer ganzen Schafherde aufzunehmen, war er doch gleichzeitig clever genug, Beklopptheit weiträumig zu meiden.
Er war an diesem Tag nicht zur Arbeit gegangen, aber er hatte den Fragen seines Vaters, warum er sich zu Hause herumdrückte, ebenso wenig ins Auge blicken können. Um zu vermeiden, dass Lew Verdacht schöpfte, war Cadan aufgestanden wie üblich und hatte sich angezogen wie üblich — er war sogar so weit gegangen, seine farbbespritzckte Jeans anzuziehen, was er sehr schlau fand — und war wie üblich am Frühstückstisch erschienen, wo Madlyn gerade eine gesunde halbe Grapefruit aß und Lew eine anständige Pfanne Eier mit Speck auf seinen Teller schob.
Als er Cadan sah, hatte Lew auf überraschend liebenswürdige Art auf sein Frühstück gezeigt. Cadan wertete dies als Friedensangebot und Anerkennung seines Bemühens um Rehabilitation durch seine Rückkehr in ein geregeltes Arbeitsverhältnis, darum akzeptierte er das angebotene Frühstück mit einem: »Fantastisch, Dad. Danke.« Dann fiel er über seine Portion her und fragte nebenbei seine Schwester, wie sie zurechtkomme.
Madlyn warf ihm einen finsteren Blick zu, der einen Themenwechsel nahelegte, also betrachtete Cadan seinen Vater einen Moment und stellte an ihm die Art entspannter Körpersprache fest, die in der Vergangenheit immer auf kürzliche sexuelle Befriedigung hingedeutet hatte. Doch weil er es für unwahrscheinlich hielt, dass sein Vater sich morgens unter der Dusche einen runterholte, fragte er: »Hast du dich mit Ione versöhnt, Dad?« Er sprach von Mann zu Mann, in einem verschwörerischen Tonfall, dessen Implikation unmissverständlich war.
Und Lew missverstand ihn definitiv nicht, so viel war Cadan klar. Denn die gebräunte Haut seines Vaters verdunkelte sich beinah unmerklich um eine Nuance, ehe Lew sich wieder dem Herd zuwandte und schweigend eine zweite Portion Eier und Speck zuzubereiten begann.
So viel also zu anheimelndem Familienglück. Sei's drum. Da bis auf Kau- und Schlucklaute keiner von ihnen mehr etwas von sich gab, blieb auch Cadans Arbeit unerwähnt. Allerdings hätte er zu gerne gewusst, wo das Problem lag, wenn sie ein paar anzügliche Bemerkungen darüber austauschten, dass Lew Ione zumindest hinreichend umgarnt hatte, um sie endlich wieder mannhaft auf die Matratze nageln zu können. Na schön, Madlyn saß mit am Tisch, und vielleicht sollte man Rücksicht auf ihre Weiblichkeit nehmen — ganz zu schweigen von all dem, was in letzter Zeit in ihrem Leben schiefgelaufen war, — indem man die allzu fleischlichen Aspekte der Mann-Frau-Beziehung unerwähnt ließ. Andererseits hätte ein Augenzwinkern unter Männern bestimmt nicht geschadet, und in glücklicheren Tagen hatte Lew nie Bedenken gehabt, seinen Sohn hin und wieder andeutungsweise an seinen Triumphen und Eroberungen teilhaben zu lassen.
Was Cadan zu der Frage führte, was hier inzwischen eigentlich los war.
Hatte Lew eine Neue? Es wäre auf jeden Fall typisch für ihn. Eine ganze Karawane von Frauen war über die Jahre in das Leben des kleinen Angarrack-Clans eingezogen: Frauen, die am Ende in der Regel heulten, keiften oder versuchten, am Küchentisch, an der Haustür, im Garten oder wo auch immer vernünftige Aussprachen zu führen, weil sie hatten feststellen müssen, dass Lew Angarrack sich nicht binden wollte. Dabei brachte Lew seine neuen Eroberungen für gewöhnlich noch vor dem ersten Sex mit nach Hause und stellte sie seinen Kindern vor, was bei den Damen stets den Eindruck erweckte, als wäre tatsächlich etwas zwischen ihnen möglich… wie etwa eine Zukunft. Was hatte es also zu bedeuten, dass Lew mit so entspannten Bewegungen in der Küche umherwerkelte? Dass ihm geradezu auf die Stirn geschrieben zu sein schien, dass er es irgendeiner Frau besorgt hatte, die er jedoch nicht mit heimgenommen und seinen Kindern vorgestellt hatte? Seine Kinder waren inzwischen älter geworden, erwachsen, zugegeben, aber wenigstens ein paar Dinge gab es im Hause Angarrack, die in Stein gemeißelt waren — zumindest bis vor Kurzem, und dazu gehörte auch Lews Verhalten.