Was Cadan zurück zu Dellen Kerne brachte. Nicht dass sie je lange aus seinen Gedanken verdrängt gewesen wäre, aber Lews Verschwiegenheit schien darauf hinzudeuten, dass er einen verdammt guten Grund für Heimlichtuerei hatte, was wiederum auf etwas Verbotenes schließen ließ. Und "verboten" erinnerte unweigerlich an Ehebruch. Eine verheiratete Frau. Verdammt, sein Vater war ihm bei Dellen zuvorgekommen!, schloss er. Cadan hatte keine Ahnung, wie, aber er nahm an, irgendwie musste es passiert sein. Er spürte einen Stich echter Eifersucht.
Er hatte im Laufe des Tages reichlich Zeit, sich auszumalen, wohin ein Zusammentreffen mit Dellen ihn nach wie vor führen könnte. Er hatte so ein Gefühl, sie hätte keine Vorbehalte, es gleichzeitig mit einem Vater und seinem Sohn zu treiben, aber Tatsache war auch, dass er die Dinge zwischen ihm und seinem Vater nicht noch schlimmer machen wollte, als sie es ohnehin schon waren, also versuchte er, sich mit anderen Gedanken abzulenken.
Das Problem war nur, er war eher ein Mann der Tat als ein Denker. Angestrengtes Nachdenken führte unweigerlich zu angespannter Besorgnis, wofür es sage und schreibe nur zwei Heilmittel gab: Handeln zum einen oder Alkohol. Eingedenk vergangener Ereignisse wusste Cadan genau, welches der beiden er hätte wählen sollen, aber er wollte das andere, und während die Stunden vergingen, nahm das Verlangen zu. Als es ihn schließlich derart im Griff hatte, dass er zu keinem rationalen Gedanken mehr fähig war, bereitete er Pooh einen Obstteller mit dem Lieblingsobst des Papageien, spanischen Orangen, und dann holte er sein Rad und schlug den Weg zum Binner Down House ein.
Cadan wollte einen Trinkgefährten finden. Mehr als einmal pro Woche allein zu trinken, deutete darauf hin, dass man ein Problem mit stimmungsverändernden Drogen der flüssigen Sorte hatte, und Cadan wollte auf keinen Fall als etwas anderes als ein Bonvivant gelten. Also wählte er Will Mendick als Kandidaten aus.
Da Will in Sachen Madlyn noch keinerlei Fortschritte gemacht hatte, war anzunehmen, dass er nicht abgeneigt war, sich volllaufen zu lassen. Und wäre das erst vollbracht, könnten sie beide im Binner Down House ihren Rausch ausschlafen, ohne dass irgendwer je davon erfahren musste. Es schien ein hervorragender Plan zu sein.
Will wohnte zusammen mit neun Surfern beiderlei Geschlechts im Binner Down House. Er war der Sonderling in der Gruppe. Er surfte selbst nicht. Er hatte eine unüberwindbare Abneigung gegen Haie, und auch Petermännchen mochte er auch nicht sonderlich. Cadan fand ihn auf der Südseite des Hauses einem uralten Kasten in bedauernswertem Zustand, der jedoch nicht allzu überraschend war, wenn man bedachte, dass das Bauwerk nahe der See stand und niemand sich darum kümmerte. Der einstige Garten war mit Ginster, Farn und einer Vielzahl von Seegräsern überwuchert. Die einzelne verkrüppelte Zypresse im Vorgarten hätte dringend beschnitten werden müssen, und allmählich verlor sogar der Rasen den edlen Kampf gegen das Unkraut. Das Gebäude selbst war dringend renovierungsbedürftig, besonders das Dach und die Holzstürze der Fenster und Türen. Doch die Bewohner hatten Wichtigeres zu tun, und ein windschiefer Schuppen, in dem ihre Surfbretter aufgereiht standen wie bunte Lesezeichen, verriet unmissverständlich, was das war — ebenso wie auch ihre Neoprenanzüge, die meist zum Trocknen auf den unteren Ästen der Zypresse hingen.
Die Südseite des Hauses lag dem Binner Down zugewandt, und von den Weiden, die den Hügel umgaben, wehte das Muhen der Kühe herüber. Eine Art Gewächshaus war an das Gebäude angebaut. Das gläserne Pultdach war ans Haus angelehnt, eine Wand war ebenfalls aus Glas, die rückwärtige Wand indes bildete die Granitaußenmauer, die hier weiß gestrichen war, um die Sonne zu reflektieren. Das Gewächshaus war errichtet worden, um darin Wein anzubauen, hatte Cadan unlängst erfahren.
Er suchte und fand Will genau dort. Er stand vornübergebeugt unter dem niedrigen Glasdach und harkte gerade den Boden um einen jungen Weinstock herum. Als Cadan eintrat, richtete Will sich ein wenig auf und sagte über die Schulter: »Verdammte Scheiße, das wird aber auch Zeit«, ehe er sah, wer hereingekommen war. »Oh, tut mir leid«, fügte er hinzu. »Ich dachte, es wäre einer meiner Mitbewohner.«
»Packen sie hier immer noch nicht mit an?«
»Keine Spur. Das hieße ja, dass sie mal ihren Hintern bewegen müssten.« Will hatte die Erde mit einer Mistgabel bearbeitet — was Cadan nicht für das optimale Arbeitsgerät hielt, wenn man die Größe der Pflanzen bedachte, aber er hielt den Mund, und Will warf sie nun beiseite. Dann nahm er eine Tasse vom Sims und leerte sie in großen Schlucken. Es war warm im Gewächshaus, genau wie es sein sollte, und Will schwitzte. Sein schütteres Haar klebte an seiner Kopfhaut. Er würde mit dreißig eine Glatze haben, erkannte Cadan, und dankte dem Schicksal für seine dichten Locken.
»Ich schulde dir was«, sagte Cadan zur Begrüßung. »Deswegen bin ich hier.«
Will sah ein wenig verwirrt aus. Er griff nach der Mistgabel und nahm seine Arbeit wieder auf. »Was denn?«
»Eine Entschuldigung. Für das, was ich gesagt habe.«
Will richtete sich auf und fuhr sich mit dem Arm über die Stirn. Er trug ein Flanellhemd, dessen obere Knöpfe geöffnet waren, darunter das übliche schwarze T-Shirt. »Was hast du denn gesagt?«
»Das mit Madlyn. Neulich. Du weißt schon. Als du vorbeigekommen bist.« Cadan befand, je weniger über Madlyn gesagt wurde, desto glücklicher wären sie beide, aber er wollte sichergehen, dass Will wusste, wovon er sprach. »Die Sache ist, Mann, woher zum Geier sollte ausgerechnet ich wissen, wer eine Chance bei meiner Schwester hat und wer nicht?«
»Oh, ich schätze, das weißt du ziemlich genau. Du bist schließlich ihr Bruder.«
»Ich weiß nicht annähernd so viel, wie ich dachte«, gestand Cadan ein. »Sie hat zufällig heute Morgen beim Frühstück von dir gesprochen. Und da wurde mir klar… Hör zu, Mann, ich hab total falsch gelegen, und ich wollte, dass du das weißt.« Natürlich log er, aber er nahm an, dass das unter den gegebenen Umständen verzeihlich war. Es ging um höhere Ziele. Er hatte im Grunde wirklich keine Ahnung, wie seine Schwester über wie auch immer geartete romantische Verwicklungen dachte, von Santo Kerne einmal abgesehen. Und er war nicht einmal mehr sicher, ob er sich da ein realistisches Bild gemacht hatte. Aber er brauchte Will Mendick, wenn also eine kleine Notlüge nötig war, um Will zu bewegen, eine Flasche mit ihm zu öffnen, dann war das doch bestimmt verzeihlich. »Was ich meine, ist, dass du sie nicht abschreiben solltest. Sie hat eine ziemlich harte Zeit hinter sich, und ich könnte mir vorstellen, dass sie dich braucht, selbst wenn sie das im Moment noch nicht mal selber weiß.«
Will ging ans Ende des Glashauses, wo ein paar Regale standen, und zog ein Paket Dünger hervor. Cadan folgte ihm.
»Also hab ich mir gedacht, wir könnten zusammen einen heben.« Cadan wand sich innerlich ob dieses bizarren Ausdrucks. Er klang wie jemand aus einer amerikanischen Fernsehserie. »Und Vergangenes vergangen sein lassen. Was meinst du?«
»Kann nicht«, erwiderte Will. »Ich kann hier im Moment nicht weg.«
»Glück gehabt. Ich wollte nämlich gar nicht ausgehen«, erklärte Cadan freimütig. »Ich hab mir gedacht, wir könnten hier…«
Will schüttelte den Kopf. Er wandte sich wieder seinen Reben und seiner Mistgabel zu. Cadan hatte das Gefühl, dass irgendetwas seinem Freund schwer zu schaffen machte.
»Ich kann nicht. Tut mir leid.« Will legte bei der Arbeit einen Zahn zu, und nach einer kurzen Weile verriet er auch, was los war: »Die Bullen waren im Supermarkt, Cadan. Die haben mich in die Mangel genommen.«
»Weswegen?«
»Was glaubst du wohl?«
»Santo Kerne?«
»Ja, Santo Kerne. Gibt es noch ein anderes Thema?«
»Warum dich, in aller Welt?«
»Ich habe nicht den Schimmer einer Ahnung. Sie haben angeblich mit jedem gesprochen. Hast du dich etwa gedrückt?« Will harkte mit wütender Heftigkeit weiter.