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Cadan antwortete nicht. Mit einem Mal war ihm unbehaglich. Er musterte Will. Die Tatsache, dass die Polizei seinen Freund aufgesucht hatte, schien auf Dinge hinzudeuten, die Cadan absolut nicht näher betrachten wollte.

»Na ja«, sagte er in jenem aufgesetzt fröhlichen Tonfall, der immer das Ende einer Unterhaltung ankündigte.

»Genau«, sagte Will grimmig. »Na ja.«

Als Cadan sich wenig später verabschiedete, wusste er beim besten Willen nichts mit sich anzufangen. Von Will und Wills Problemen einmal ganz abgesehen, schien das Schicksal ihm sagen zu wollen, dass es Zeit war zu handeln. Und Handeln bedeutet die eine Tat, die Cadan abgesehen von seinem Verlangen nach Alkohol nicht aus seinem Kopf hatte bannen können.

Gott, er war regelrecht besessen von ihr. Als wäre sie eine tödliche Infektion, die sein Hirn zerfraß. Cadan wusste, die Wahl, vor der er stand, war einfach: Er musste sie entweder loswerden oder er musste sie haben. Aber sie zu haben, wäre so ähnlich wie rituellen Selbstmord zu begehen. Also fuhr er vom Binner Down House zu dem einzigen Ort, der auf seiner kurzen Liste von Zufluchtsorten vor sich selbst noch übrig war: zum einstigen Luftwaffenstützpunkt. Er sah keine Alternative. Wenn es sein müsste, würde er seinen Vater anlügen, warum er nicht zur Arbeit gegangen war. Aber er musste einfach irgendwohin, wo er nicht allein war, wie etwa zu Hause… oder aber in der Nähe dieser Frau, wie bei Adventures Unlimited.

Und er hatte Glück: Der Wagen seines Vaters war nicht da, Jagos hingegen schon, und das war ein Geschenk des Himmels. Wenn irgendjemand die Rolle des Beichtvaters würde ausfüllen können, dann war es Jago Reeth.

Unglücklicherweise war jemand anderes auch schon auf diese Idee gekommen. Denn als Cadan den Verkaufsraum betrat, fand er dort die beiden Töchter von Ione Soutar, die Tür zur Werkstatt indes geschlossen vor. Jennie saß an dem Klapptisch, der seinem Vater als Schreibtisch diente, und erledigte mit vorbildlicher Ernsthaftigkeit ihre Hausaufgaben, während die furchteinflößende Leigh einen Finger gegen ihr Nasenloch gedrückt hielt, eine Tube Sekundenkleber vor sich auf der Ladentheke und einen Taschenspiegel in der anderen Hand.

»Mum ist da drin, okay?«, berichtete sie in ihrem nervtötenden Fragetonfall, der immer anzudeuten schien, dass sie einen Idioten vor sich hatte. »Sie hat gesagt, es ist etwas Persönliches. Geh also nicht rein, kapiert?«

»Sie spricht mit Jago bestimmt über deinen Dad«, fügte Jennie freimütig hinzu. Sie saugte an ihrer Unterlippe, während sie die Bleistiftmarkierungen auf ihrem Blatt ausradierte. »Sie sagt, es ist vorbei, aber sie heult jeden Abend im Badezimmer, wenn sie glaubt, wir hören sie nicht. Also schätze ich, es ist nicht so vorbei, wie sie's gern hätte.«

»Sie sollte ihn ein für alle Mal abservieren«, befand Leigh. »Ich meine, nimm's mir nicht übel, Cadan, aber dein Vater ist ein Trottel. Frauen müssen sich behaupten, sie müssen standhaft sein und den Kerl in den Arsch treten, der sie nicht so behandelt, wie sie's verdienen, okay? Ich meine, was gibt sie uns denn für ein Beispiel?«

»Was zum Geier machst du mit deinem Gesicht?«, fragte Cadan.

»Mummy hat ihr verboten, dass sie sich die Nase piercen lässt, darum klebt sie jetzt einen Stein drauf«, erklärte Jennie ihm auf die ihr eigene freundliche Art. »Kannst du schriftlich teilen, Cadan?«

»Gott, das brauchst du den nicht zu fragen«, blaffte Leigh. »Der hat doch noch nicht mal die mittlere Reife geschafft. Das weißt du doch, Jennie.«

Cadan ignorierte sie. »Willst du einen Taschenrechner?«, fragte er Jennie.

»Sie muss die einzelnen Rechenschritte aufschreiben, okay?«, belehrte Leigh ihn. Sie inspizierte ihre Nase und sagte in den Spiegeclass="underline" »Ich bin doch nicht blöd. Ich mach mir mein Gesicht nicht kaputt. Als ob ich das je tun würde, he?« Sie verdrehte die Augen. »Was meinst du, Jennie?«

Ohne aufzusehen, antwortete sie: »Ich glaube, jetzt kriegst du richtig Ärger mit ihr.«

Cadan war ganz ihrer Meinung. Leigh sah aus, als hätte sie einen dicken Blutstropfen auf der Nase. Sie hätte eine andere Farbe wählen sollen.

»Mum wird dich zwingen, ihn wieder abzumachen«, fuhr Jennie fort. »Und das wird bestimmt wehtun. Sekundenkleber hält nämlich richtig gut. Das wird dir noch leidtun, Leigh.«

»Halt die Klappe, ja?«, befahl Leigh.

»Ich hab doch nur gesagt…«

»Halt die Klappe, okay? Stopf dir eine Socke ins Maul! Oder deine Faust! Knebel dich selbst!«

»So darfst du nicht mit mir…«

Die Tür zur Werkstatt flog auf, und Ione trat in den Verkaufsraum. Sie hatte geweint, und zwar heftig, so wie sie aussah. Verdammt, sie musste seinen Vater wirklich lieben, ging Cadan auf.

Er wollte ihr sagen, sie solle ihn sich aus dem Kopf schlagen und ihr Leben leben. Lew Angarrack war nicht zu haben und würde es wahrscheinlich niemals sein. Er war von diesem Miststück sitzengelassen worden — seiner einen wahren Sandkastenliebe — und nie darüber hinweggekommen. Das war keiner von ihnen.

Aber wie sollte man das einer Frau erklären, die es geschafft hatte, mit ihrem Leben weiterzumachen, als ihre eigene Ehe in die Brüche gegangen war? Konnte man das überhaupt?

Es sah allerdings so aus, als habe Jago auf diesem Feld einen wahrhaft heroischen Versuch unternommen. Er stand hinter ihr, mit einem Taschentuch in der Hand, faltete es nun jedoch zusammen und steckte es zurück in die Tasche seines Overalls.

Leigh warf ihrer Mutter einen Blick zu und verdrehte die Augen. »Ich schätze, das heißt, wir gehen nicht mehr zum Surfen, ja?«, fragte sie.

Und während sie ihre Schulbücher einpackte, fügte Jennie loyal hinzu: »Mir hat das sowieso nie Spaß gemacht.«

»Gehen wir«, sagte Ione zu ihren Töchtern. Sie ließ den Blick über die Werkstatt gleiten. »Es gibt nichts weiter zu sagen. Wir sind hier fertig, und zwar endgültig.«

Sie ignorierte Cadan vollkommen, so als wäre er lediglich ein weiterer Träger des vermaledeiten Familienvirus, das auch Lew befallen hatte. Cadan trat schweigend beiseite, als sie ihre Töchter an ihm vorbei aus dem Laden führte und in Richtung ihres eigenen Ladens auf dem Flugfeld davonmarschierte.

»Armes Mädchen«, lautete Jagos Kommentar.

»Was hast du ihr gesagt?«

Jago ging zurück in die Werkstatt. »Die Wahrheit.«

»Und was ist die Wahrheit?«

»Dass niemand einen anderen Menschen ändern kann.«

»Und was ist mit diesem Menschen selbst?«

Jago begann, eine Lage blaues Klebeband vom Rail eines Pincktail-Shortboards zu schälen. Seine Hände zitterten heute besonders schlimm. »Hä?«, fragte Jago abwesend zurück.

»Kann ein Mensch sich nicht selbst ändern?«

»Ich glaube, die Antwort kannst du dir denken, Cadan.«

»Aber Menschen ändern sich.«

»Nein«, widersprach Jago. »Das tun sie nicht.« Er fuhr mit Schmirgelpapier über die Harznaht. Seine Brille rutschte die Nase entlang abwärts, und er schob sie zurück. »Sie ändern höchstens ihre Reaktionen. Das, was sie der Welt zeigen, wenn du verstehst, was ich meine. Nur das ändert sich, und auch nur wenn ein Mensch es partout ändern will. Aber sein Innerstes? Das bleibt immer gleich. Du kannst nicht ändern, was du bist. Nur wie du handelst.« Jago sah auf. Eine dicke graue Haarsträhne hatte sich aus seinem Pferdeschwanz gelöst und war ihm auf die Wange gerutscht. »Was machst du eigentlich hier, Cadan?«

»Ich?«

»Wenn du deinen Namen nicht geändert hast… Müsstest du nicht bei der Arbeit sein?«

Cadan zog es vor, die Frage nicht direkt zu beantworten, und machte stattdessen einen Rundgang durch die Werkstatt, während Jago fortfuhr, das Brett zu bearbeiten. Cadan öffnete die Tür zum Shaping-Raum — Schauplatz seines gescheiterten Versuchs, bei LiquidEarth zu arbeiten — und starrte hinein.