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Sie hatten das Hotel verlassen, durch die Tür des Speisesaals hinaus auf die Terrasse, die Steintreppe hinauf und den Pfad über die Anhöhe entlang in Richtung St. Mevan Beach. Es war kalt draußen, aber er hatte sich nicht damit aufhalten wollen, einen Pullover oder eine Jacke zu holen, die sie vor der steifen Brise hätte schützen können. Tatsächlich sah er nicht einmal so aus, als merkte er, wie scharf der Wind war.

Als sie den Strand erreicht hatten, hatte Kerra den Kampf schließlich aufgegeben und war einfach nur weitergetaumelt. Doch ihren Zorn hatte sie nicht aufgegeben. Er würde sich über Alans Haupt entladen, sobald sie am Ziel wären am Meerwasserpool, wie sich herausstellte, am Ende des Strandes. Sie waren die sieben verwitterten Stufen hinaufgestiegen und auf der Betonumrandung stehen geblieben. Dann hatten sie beide auf den sandbedeckten Boden des Beckens hinabgestarrt, und einen Moment lang hatte Kerra sich gefragt, ob er sie etwa hineinstoßen wollte.

Doch das tat er nicht. Er sagte nur: »Sie glaubt, du hättest Santo umgebracht.« Und dann ließ er sie los.

Hätte er irgendetwas anderes gesagt, wäre Kerra zum Angriff übergegangen, verbal ebenso wie körperlich. Doch seine Aussage erforderte eine Reaktion, die wenigstens halbwegs rational war. Sein Tonfall war verwirrt und geradezu furchtsam gewesen.

Schließlich sprach er weiter. »So etwas habe ich noch nie gesehen. Du und deine Mutter! Das war eine Schlägerei! So was sieht man sonst nur…« Er brachte den Satz nicht zu Ende.

Typisch Alan. Er war eben nicht der Typ, der sich in Etablissements herumtrieb, wo man Frauen dabei zusehen konnte, wie sie aufeinander losgingen, sich an den Haaren zerrten, kratzten, schrien und kreischten. Zwar war auch Kerra nicht der Typ für dergleichen, aber Dellen hatte sie an ihre Grenzen getrieben. Und es gab einen Grund für das, was zwischen ihnen vorgefallen war. Wenigstens das würde Alan eingestehen müssen. Doch er redete einfach weiter: »Ich wusste überhaupt nicht, was ich tun sollte! So was habe ich noch nie…«

Sie rieb sich den Arm an der Stelle, wo er sie gepackt hatte. »Santo hat mir Madlyn weggenommen«, unterbrach sie ihn. »Er hat sie mir gestohlen, und dafür habe ich ihn gehasst. Dellen weiß das nur zu gut. Und wahrscheinlich dachte sie, da wäre es naheliegend zu behaupten, dass ich ihn ermordet hätte. Das sieht ihr ähnlich.«

Alan wirkte verwirrter denn je. »Man kann einem Menschen einen anderen Menschen nicht stehlen, Kerra.«

»In meiner Familie schon. In meiner Familie ist das geradezu eine Tradition — ein natürlicher Reflex sozusagen.«

»Das ist doch Blödsinn!«

»Madlyn und ich waren Freundinnen. Bis Santo kam. Er hat sie nur einmal angesehen, und schon war sie verrückt nach ihm. Sie konnte nicht einmal mehr über irgendetwas anderes reden, also hatten wir schließlich… Madlyn und ich… Wir hatten am Ende gar nichts mehr, weil sie und Santo… und was er getan hat… Gott, das war so typisch! Er war genau wie Dellen. Er wollte Madlyn gar nicht. Er wollte nur ausprobieren, ob er sie mir würde stehlen können.« Jetzt da sie es endlich in Worte gefasst hatte, stellte Kerra fest, dass sie gar nicht wieder aufhören konnte. Sie griff sich mit beiden Händen ins Haar, packte fest zu und riss daran, als könnte sie so etwas anderes fühlen als all das, was sie so lange gefühlt hatte. »Er brauchte Madlyn gar nicht! Er hätte jede andere haben können. So wie Dellen jeden haben konnte. Und sie hatte ja auch jeden sobald die Lust sie überkam. Dabei brauchte sie überhaupt nicht…«

Alan starrte sie an, als spräche sie eine Sprache, deren Worte er zwar kannte, deren Zusammenhang sich ihm aber nicht erschloss. Eine Welle schlug gegen die Poolmauer, und er fuhr zusammen. Die Gischt traf sie beide. Sie war frisch und kalt und salzig auf ihren Lippen. »Ich verstehe gar nichts mehr«, gestand Alan schließlich.

»Du weißt genau, wovon ich rede.«

»Zufälligerweise nein. Wirklich nicht.«

Er ließ ihr keine Wahl. Sie musste ihm den Beweis liefern, den sie gefunden hatte, und die Wahrheit aussprechen, so wie sie sie verstand. Kerra hatte die Postkarte zwar im Zimmer ihrer Mutter zurückgelassen, aber um ihn damit zu konfrontieren, benötigte sie sie nicht. »Ich war im Pink Cottage, Alan. Ich habe deine Sachen durchsucht.«

»Das weiß ich.«

»Na schön. Das weißt du. Ich habe die Postkarte gefunden.«

»Welche Postkarte?«

»Hier ist es. Diese Postkarte! Pengelly Cove, die Strandhöhle, Dellens rote Handschrift und ein Pfeil, der zur Höhle deutet. Wir wissen beide ganz genau, was das bedeutet.«

»Ach, wirklich?«

»Hör auf damit! Du hast mit ihr zusammen wie lange in diesem Marketingbüro gearbeitet? Ich hatte dich gebeten, es nicht zu tun. Ich habe dich tausendmal gebeten, dir einen anderen Job zu suchen. Aber das wolltest du ja nicht. Tag für Tag hast du mit ihr im Büro gesessen, und du kannst mir nicht weismachen… Du willst doch nicht behaupten, sie hätte nicht… Du bist ein Mann, Herrgott noch mal! Du kennst die Signale. Und es gab mehr als nur Signale, nicht wahr?«

Er starrte sie an. Sie hätte am liebsten mit dem Fuß aufgestampft. Er konnte doch unmöglich so dämlich sein. Er hatte sich offenbar entschieden, Ahnungslosigkeit zu heucheln, und zwar so lange, bis sie kapitulierte. Wie schlau von ihm. Aber so dumm war sie nicht.

»Wo warst du an dem Tag, als Santo gestorben ist?«, fragte sie ihn.

»Gott! Du kannst doch nicht glauben, ich hätte irgendetwas mit…«

»Wo warst du? Du warst verschwunden. Und sie auch. Und du hattest diese Postkarte in deinem Zimmer. Hier ist es. Wir wissen beide, was sie damit meinte. Es fängt immer mit Rot an. Der Lippenstift. Ein Schal. Ein Paar Schuhe. Und dann…« Kerra war zum Heulen zumute, aber allein der Gedanke, wegen dieser Geschichte zu heulen, ihretwegen, wegen der beiden, ließ den Zorn in ihrem Innern zu solcher Größe anschwellen, dass sie glaubte, er würde sich explosionsartig Bahn brechen — ein widerwärtiger Ausfluss, der alles verseuchen würde, was noch übrig war zwischen ihr und diesem Mann, den zu lieben sie sich entschlossen hatte. Denn sie liebte ihn. Doch die Liebe konnte ihr gefährlich werden. Sie konnte einen dorthin bringen, wo ihr Vater war, und das wollte Kerra nicht zulassen.

Alan schien allmählich zu dämmern, was all das zu bedeuten hatte. »Verstehe. Es geht überhaupt nicht um Santo, oder? Es geht um deine Mutter. Du glaubst, dass ich… mit deiner Mutter… am Tag, als Santo ums Leben kam. Und das soll sich in der Höhle auf dieser Postkarte zugetragen haben?«

Sie konnte nicht antworten. Sie konnte nicht einmal nicken. Sie war zu sehr damit beschäftigt, sich wieder unter Kontrolle zu bringen, damit sie für den Fall, dass sie etwas fühlte und dieses Gefühl würde zeigen müssen, einzig und allein Zorn zur Schau stellte.

»Kerra, deine Mutter und ich hatten über dieses Video gesprochen. Mit deinem Vater hatte ich auch schon darüber gesprochen. Und dann hat deine Mutter immer wieder von dieser Location an der Küste angefangen, die sie für geeignet hielt, wegen der Strandhöhlen und ihrer Atmosphäre. Sie hat mir diese Karte gegeben, und…«

»So dämlich bist du nicht! Und ich auch nicht.«

Er wandte den Blick ab, schaute aber nicht aufs Meer hinaus, sondern in Richtung Hotel. Vom Meerwasserpool aus war das alte King-George-Hotel nicht zu sehen, wohl aber die ordentliche blau-weiße Reihe der Strandhütten — der perfekte Ort für ein heimliches Stelldichein.

Alan seufzte. »Ich wusste genau, was sie im Schilde führte. Sie hat irgendwann vorgeschlagen, dass wir uns diese Höhle gemeinsam ansehen, und da wusste ich es. Sie ist leider ziemlich durchschaubar und nicht sonderlich subtil in ihren Andeutungen. Aber ich nehme an, das musste sie auch nie sein. Sie ist auf ihre Art immer noch eine attraktive Frau.«