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»Das hätte ich nur zu gern getan«, gestand er. »Aber ehrlich gesagt, fand ich nicht, dass er die Mühe wert war.«

Die Strategie, die Jago Cadan empfahl, war, ein Gespräch von Mann zu Mann zu führen. Wenn Cadan räumliche Distanz zu Dellen Kerne wollte, gab es nur einen Weg, das zu erreichen, nämlich Lew Angarrack ins Auge zu blicken. Sie hatten reichlich Arbeit bei LiquidEarth, sodass Jago in dieser Hinsicht nicht bei Cadans Vater würde eintreten müssen. Alles, was nötig war, sagte er, sei eine ehrliche Aussprache, in deren Verlauf Fehler eingeräumt, Entschuldigungen ausgesprochen und Besserung gelobt wurden.

Es klang so einfach, wie Jago es darstellte. Cadan brannte darauf, den Plan sogleich in die Tat umzusetzen. Das einzige Problem war, dass Lew Surfen gegangen war. »Die Wellen vor Widemouth Bay sind gut heute«, erklärte Jago Cadan. Also musste er auf die Rückkehr seines Vaters warten oder selbst hinaus nach Widemouth Bay fahren und ihn dort abfangen, wenn er vom Surfen zurückkam. Letzteres klang nach einer großartigen Idee, zumal Lews Laune nach dem Surfen voraussichtlich gut sein würde, was Cadan — so hoffte er zumindest — die Sache erleichterte.

Jago lieh ihm bereitwillig seinen Wagen. »Fahr ja anständig«, mahnte er, überreichte ihm die Schlüssel, und Cadan machte sich auf den Weg. Da er keinen Führerschein bei sich trug und Jagos Vertrauen nicht enttäuschen wollte, fuhr er extrem vorsichtig. Die Hände auf zwei und zehn Uhr, den Blick konzentriert nach vorn gerichtet oder im Spiegel, gelegentlich auch auf dem Tacho.

Widemouth Bay lag etwa fünf Meilen südlich von Casvelyn die Küste entlang. Flankiert von bröseligen Sandsteinklippen, war sie genau das, was ihr Name besagte: eine breite Bucht, zugänglich von einem großen Parkplatz gleich an der Küstenstraße. Kein nennenswertes Städtchen in der Nähe, nur ein paar Sommerhäuschen, die über den Hügeln jenseits der Straße verstreut lagen, und die einzigen Geschäfte, die den Bewohnern, den Surfern und übrigen Touristen zur Verfügung standen, waren ein Imbiss, der nur in der Saison geöffnet hatte, und ein Laden, der Bodyboards, Surfbretter und Neoprenanzüge vermietete.

Im Sommer war in der Bucht der Teufel los. Anders als viele andere Buchten in Cornwall war sie nicht schwer zu erreichen. Darum zog sie Tagesausflügler zu Hunderten an, Urlauber ebenso wie Einheimische. Außerhalb der Saison gehörte sie allein den Surfern, die herbeiströmten, wenn die Flut etwa halb angestiegen war, der Wind von Osten kam und die Wellen sich auf dem Riff zur Rechten brachen.

An diesem Tag waren die Bedingungen exzellent und die Wellen etwa zwei Meter hoch. Darum war der Parkplatz voll und die Warteschlange der Surfer lang. Trotzdem entdeckte Cadan seinen Vater gleich, als er den Wagen abstellte. Lew surfte so, wie er die meisten Dinge tat: allein.

Es war ohnehin ein einsamer Sport, aber Lew brachte es fertig, ihn noch einsamer erscheinen zu lassen. Er hatte sich von den restlichen Surfern entfernt, war weiter draußen, zufrieden damit, auf die Wellen zu warten, die sich in dieser Entfernung zum Riff seltener erhoben. Wenn man ihn so sah, hätte man meinen können, er verstünde nichts von diesem Sport, denn es wäre doch gewiss besser, er würde bei den anderen Surfern warten, dort wo die Wellen sich einigermaßen regelmäßig brachen. Aber das war nicht seine Art, und wenn eine Welle kam, die ihm gefiel, paddelte er mit minimalem Aufwand und dreißig Jahren Erfahrung und stieg schließlich mühelos auf ihre Schulter.

Die anderen beobachteten ihn. Er ließ sich elegant hineinfallen, glitt über die grüne Wasserwand hinab, carvte dann zurück in Richtung Barrel, und immer wenn es so aussah, als würde er den Bogen jeden Moment überspannen und stürzen, wusste er intuitiv, wann er wieder carven musste, und so gehörte die Welle ihm allein.

Cadan brauchte keine Anzeigetafel mit Punkteständen und auch keinen Sportkommentator, um zu wissen, dass sein Vater gut war. Lew sprach nicht oft darüber, aber als junger Mann war er Wettkampfsurfer gewesen und hatte davon geträumt, um die Welt zu ziehen und Erfolge zu feiern, ehe das Miststück ihn mit zwei kleinen Kindern hatte sitzen lassen. Da war Lew gezwungen gewesen, seine Pläne zu beerdigen. Allein LiquidEarth verband ihn noch mit seinem alten Leben. Nachdem er früher seine eigenen Bretter gebaut hatte, baute er nun Bretter für all die anderen, die quasi stellvertretend für ihn um die Welt vagabundierten. Es musste schwer für seinen Vater gewesen sein, seinen Lebenstraum aufzugeben, erkannte Cadan, und er fragte sich, warum er nie zuvor darüber nachgedacht hatte.

Als Lew aus dem Wasser kam, wartete Cadan bereits auf ihn. Er hatte ein Handtuch aus dem RAV4 geholt und hielt es seinem Vater wortlos hin. Lew lehnte sein Shortboard an den Wagen und nahm das Handtuch mit einem Nicken entgegen. Dann zog er die Kapuze ab und rubbelte sich die Haare trocken, ehe er sich aus dem Neoprenanzug zu schälen begann. Er hatte seinen Winteranzug gewählt, sah Cadan. Es würde noch zwei Monate dauern, ehe das Wasser sich erwärmte.

»Was machst du hier, Cadan?«, fragte Lew schließlich. »Und wie bist du hierhergekommen? Müsstest du nicht bei der Arbeit sein?« Er streifte den Anzug von den Beinen und wickelte sich das Handtuch um die Hüften. Aus dem Wagen holte er sich ein T-Shirt und dann ein Sweatshirt mit dem Logo von LiquidEarth. Erst als er beides übereinander angezogen hatte, stieg er umständlich aus der Badehose. Er schwieg, bis er vollständig angezogen war und seine Ausrüstung hinten im Auto verstaut hatte. Dann wiederholte er seine Fragen: »Was machst du hier, Cadan? Wie bist du hergekommen?«

»Jago hat mir seinen Wagen geliehen.«

Lew sah sich auf dem Parkplatz um und entdeckte den Defender. »Ohne Führerschein«, bemerkte er.

»Ich bin vorsichtig gefahren. Wie eine Nonne.«

»Darum geht es nicht. Und wieso bist du nicht bei der Arbeit? Bist du rausgeflogen?«

Cadan hatte nicht damit gerechnet, aber er fühlte die plötzliche Wut in sich aufwallen, die stets das einzig verlässliche Ergebnis seiner Unterhaltungen mit Lew zu sein schien. Ohne zu bedenken, wohin es führen würde, sagte er: »War ja klar, dass du das denkst.«

»Deine Vergangenheit legt den Schluss nahe.« Lew ging um Cadan herum und nahm das Board in beide Hände. Auf der anderen Seite des Parkplatzes gab es Duschen, und dort hätte er das Salzwasser von seiner Ausrüstung spülen können, aber das würde er zu Hause nachholen, weil er es dort gründlicher würde tun können, was mehr seiner Neigung entsprach. Und Cadan schien es, als sei ebendas seine Neigung, nicht etwa der weise Rat eines anderen entscheidend für alles, was sein Vater tat.

»Zufällig bin ich nicht rausgeflogen«, stellte Cadan klar. »Ich hab da sogar einen verdammt guten Job gemacht.«

»Verstehe. Gratuliere. Also, was führt dich dann hierher?«

»Ich bin gekommen, um mit dir zu reden. Jago hat mir gesagt, dass du hier bist. Und mir seinen Wagen angeboten, nebenbei bemerkt, ich habe ihn nicht darum gebeten.«

»Und worüber willst du mit mir reden?« Lew knallte die Hecktür des RAV4 zu. Von der Fahrerseite aus durchwühlte er eine Papiertüte und brachte ein Sandwich in einer Plastikverpackung zum Vorschein. Er zog die Folie auf und nahm eine Hälfte heraus. Die andere bot er Cadan an.

Cadan wertete es als Friedensangebot. Er schüttelte den Kopf, bedankte sich aber. »Darüber, dass ich zu LiquidEarth zurückkommen möchte«, antwortete er dann. »Wenn du mich nimmst«, fügte er als seinen Friedensbeitrag hinzu. Sein Vater war derjenige, der in dieser Situation die Oberhand hatte, und Cadan wusste, es war an ihm, diese Tatsache anzuerkennen.

»Cadan, du hast mir doch gerade gesagt…«

»Ich weiß, was ich gesagt habe. Aber ich würde lieber für dich arbeiten.«

»Warum? Was ist passiert? Gefällt es dir bei Adventures Unlimited nicht mehr?«

»Es ist gar nichts passiert. Ich tue nur, was du immer von mir wolltest: Ich denke an die Zukunft.«