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»Was?«, rief sie. »Was hast du dir nur dabei gedacht?«

»Er hat dir wehgetan, er war ein absoluter Wichser, und irgendjemand musste ihm doch eine Lektion…«

»Wer hat dich gebeten, sein Lehrer zu sein? Ich nicht. Ich nicht. Hast du… Mein Gott! Was sonst hast du ihm getan? Hast du ihn umgebracht? Ist es das?«

»Du verstehst überhaupt nicht, was es bedeutet, oder?«, fragte Will. »Dass ich ihn auch nur angerührt habe. Dass ich… Du weißt ja gar nicht…«

»Was? Dass du ein verdammter Ritter in strahlender Rüstung bist? Dass ich mich darüber freuen sollte? Dankbar sein? Entzückt? Für immer deine holde Maid? Was genau weiß ich nicht?«

»Ich hätte wieder eingebuchtet werden können«, antwortete er dumpf.

»Wovon redest du?«

»Wenn ich einen Typen auf der Straße auch nur anrempele, selbst wenn's nur versehentlich ist. Dann sperren sie mich wieder ein. Aber ich war bereit, das für dich zu riskieren. Und ich war bereit, ihm eine Lektion zu erteilen, weil irgendjemand das dringend tun musste. Aber du wusstest davon nichts, und selbst wenn… jetzt, wo du's weißt… Es ist dir egal. Es war dir immer egal. Ich bin dir egal. Richtig?«

»Wie bist du nur auf den Gedanken gekommen…«

Will sah zu Cadan. Madlyns Blick wanderte von Will zu ihrem Bruder. Und Cadan seinerseits kam zu dem Schluss, dass dies der perfekte Moment war, um mit dem kleinen Pooh Gassi zu gehen.

Bea vollführte mithilfe eines Küchenstuhls einige Stretching-Übungen, um den alternden Rücken mehr oder minder schmerzfrei zu halten, als sie einen Schlüssel in der Tür hörte. Dem Rasseln folgte ein vertrautes Klopfzeichen: tock, tock, tock, bumm, bumm. Dann Rays Stimme: »Bea? Bist du da?«

»Ich würde sagen, der Wagen in der Auffahrt spricht dafür«, rief sie. »Früher warst du ein besserer Detektiv.«

Sie hörte ihn in ihre Richtung kommen. Sie trug immer noch ihr Schlafgewand: ein T-Shirt und eine Trainingshose darunter. Er konnte sie ruhig in dieser Aufmachung sehen.

Ray seinerseits war wie aus dem Ei gepellt. Sie betrachtete ihn verdrossen. »Hoffst du, damit irgendein hübsches, junges Ding zu beeindrucken?«

»Nur dich.« Er trat an den Kühlschrank, wo sie eine Karaffe mit Orangensaft hatte stehen lassen. Er hielt sie gegens Licht, schnupperte misstrauisch, befand den Inhalt offenbar als zumutbar und schenkte sich ein Glas ein.

»Bedien dich nur«, sagte sie sarkastisch. »Ich kann ja neuen kaufen.«

»Danke«, erwiderte er. »Schüttest du immer noch Orangensaft auf deine Cornflakes?«

»Manche Dinge ändern sich eben nicht. Ray, warum bist du hier? Und wo ist Pete? Doch nicht etwa krank? Er hat heute Schule. Ich hoffe, du hast dich nicht überreden lassen…«

»Er musste heute früher los«, antwortete er. »Irgendein naturwissenschaftliches Projekt. Ich habe ihn hingebracht und mich vergewissert, dass er ins Gebäude geht und nicht schon wieder blaumacht, um auf der Straße Dope zu verticken.«

»Sehr witzig. Pete hat nichts mit Drogen im Sinn.«

»Da haben wir aber noch mal Glück gehabt.«

Sie ignorierte die Pluralform. »Was führt dich also um diese Zeit hierher?«

»Er braucht mehr zum Anziehen.«

»Hast du seine Sachen nicht gewaschen?«

»Doch. Aber er sagt, man könnte doch wohl nicht von ihm erwarten, dass er jeden Tag nach der Schule das Gleiche trägt. Du hast ihm nur zwei Outfits eingepackt.«

»Er hat doch in deiner Wohnung Sachen zum Anziehen.«

»Er behauptet, daraus sei er herausgewachsen.«

»Das würde er doch selbst nie merken! Ihm ist doch völlig egal, wie er herumläuft. Wenn er könnte, würde er von früh bis spät sein Arsenal-Trikot tragen, und das weißt du ganz genau. Also frag ich noch maclass="underline" Warum bist du hier?«

Er lächelte. »Erwischt. Du bist hervorragend darin, einen Verdächtigen in die Mangel zu nehmen, meine Liebe. Wie geht es mit der Ermittlung voran?«

»Du meinst, wie geht es voran, obwohl ich kein Kripo-Team habe?«

Er leerte sein Glas, stellte es auf die Arbeitsplatte und lehnte sich an die Anrichte. Er war ein ziemlich großer Mann und gut in Form. Das hübsche, junge Ding, für das er sich herausgeputzt hatte, wäre sicherlich schwer beeindruckt.

»Ganz gleich was du glaubst, ich habe mein Bestes getan, um dir mehr Personal zu organisieren, Beatrice. Warum denkst du eigentlich immer nur das Schlechteste von mir?«

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu und antwortete nicht sofort, sondern wiederholte ihre Übung ein letztes Mal und erhob sich dann von dem Stuhl. Seufzend bekannte sie: »Die Ermittlung verläuft weder zügig noch besonders erfolgreich. Ich würde gern behaupten, dass wir jemanden einkreisen, aber jedes Mal, wenn ich das bisher geglaubt habe, haben neue Informationen oder Ereignisse mich eines Besseren belehrt.«

»Ist Lynley zu irgendetwas nutze? Erfahrung genug hat er ja weiß Gott.«

»Er ist ein guter Mann, kein Zweifel. Und sie haben seine Partnerin aus London geschickt. Ich schätze, sie ist in erster Linie hier, um ein Auge auf ihn zu haben, nicht um mir zu helfen, aber sie ist ein guter Cop, wenn auch ein bisschen unorthodox. Außerdem sehr abgelenkt durch ihn…«

»Verliebt?«

»Sie leugnet es, aber falls doch, ist es eine hoffnungslose Sache. "Wie Feuer und Wasser" wäre eine euphemistische Beschreibung den beiden. Nein, ich glaube, sie macht sich Sorgen um ihn. Sie haben jahrelang zusammengearbeitet, und da hat man eben Interesse aneinander. Sie haben eine gemeinsame Geschichte, so bizarr sie auch sein mag.« Bea trug ihre Cornflakesschale zur Spüle. »Jedenfalls sind sie gute Polizisten. Das merkt man ihnen gleich an. Sie ist ein Pitbull und er äußerst einfallsreich. Mir wäre es allerdings lieber, wenn er weniger eigene Ideen hätte.«

»So hattest du die Männer immer am liebsten«, merkte Ray an.

Bea betrachtete ihn. Ein paar Sekunden verstrichen schweigend. In der Nachbarschaft bellte ein Hund. »Das ging unter die Gürtellinie«, sagte sie schließlich.

»Wirklich?«

»Allerdings. Pete war keine Idee. Er war und ist ein menschliches Wesen.«

Ray wich weder ihrem Blick noch ihren Worten aus — zum ersten Mal, wie Bea aufging. »Du hast recht«, räumte er ein. Er lächelte ihr zu, liebevoll und gleichzeitig zerknirscht. »Er war keine Idee. Können wir darüber reden, Beatrice?«

»Nicht jetzt«, entgegnete sie. »Ich habe zu tun, wie du sehr wohl weißt.« Sie fügte nicht hinzu, was ihr auf der Zunge lag, dass nämlich die Zeit zu reden bereits fünfzehn Jahre zurücklag. Oder dass er den Moment gewählt hatte, ohne jede Rücksicht auf ihre Situation zu nehmen, was so absolut typisch für ihn war. Sie gestattete sich jedoch nicht, darüber nachzudenken, was es bedeutete, dass sie die Chance, ihm genau das zum Vorwurf zu machen, ungenutzt verstreichen ließ. Stattdessen schaltete sie auf Morgenmodus und machte sich bereit, zur Arbeit zu fahren.

Doch auf der Fahrt konnte sie nicht einmal Radio 4 ausreichend ablenken, um nicht zu erkennen, dass Ray mit wohlgewählten Worten so gut wie eingeräumt hatte, als Ehemann versagt zu haben. Sie wusste nicht so recht, was sie mit dieser Erkenntnis anfangen sollte, darum war sie beim Betreten der Einsatzzentrale dankbar für das läutende Telefon, und sie hob ab, ehe irgendwer ihr zuvorkommen konnte. Mehrere Beamte standen untätig herum und warteten darauf, Aufgaben für den neuen Tag zugeteilt zu bekommen. Bea hoffte inständig, dass die Person am anderen Ende der Leitung ihr zu einer Eingebung verhalf, damit ihr irgendetwas in den Sinn kam, womit sie ihre Leute beschäftigen konnte.