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»Bitte«, hatte sie gesagt. »Seien Sie nicht albern, Thomas. Sie können hier nicht durch die Gegend laufen wie jemand von der Seuchenckschutzbehörde oder wie immer das heißt. Zahlen Sie mir das Geld irgendwann zurück.« Und lächelnd hatte sie hinzugefügt: »Ich bedaure, dass ich diejenige sein muss, die Ihnen den Hinweis gibt, aber Weiß steht Ihnen ganz und gar nicht.«

»Wirklich nicht?« Er schmunzelte leicht.

Er hatte ein nettes Lächeln, bemerkte sie, und ihr ging auf, dass es das erste Mal war, dass sie es gesehen hatte. Es hatte am Vortag aber auch nicht allzu viel gegeben, worüber man sich hätte freuen können. Trotzdem… Ein Lächeln war für die meisten Menschen doch etwas ganz Natürliches, bedeutete nichts weiter als eine Geste der Höflichkeit, und darum erschien es ihr ungewöhnlich, dass jemand so ernst war.

»Kein bisschen«, antwortete sie. »Also, kaufen Sie sich etwas Passendes.«

»Danke«, hatte er gesagt. »Sie sind sehr freundlich.«

»Ich habe ein Herz für Verletzte«, hatte sie entgegnet. Daraufhin hatte er versonnen genickt und einen Moment durch die Windschutzscheibe auf die schmale, zum höher gelegenen Teil der Stadt ansteigende Belle Vue Lane geblickt. Schließlich hatte er gesagt: »Zwei Stunden also«, war ausgestiegen, und sie rätselte, was ihm auf der Seele liegen mochte.

Während er barfüßig auf ein Outdoor-Bekleidungsgeschäft zuging, fuhr sie davon. Sie hatte gewinkt, als sie ihn passierte, und im Rückspiegel gesehen, dass er ihr nachsah, bis eine Kurve sie von seinem Blick abschnitt, die Straße sich gabelte und von dort aus in eine Richtung zum Parkplatz, in die andere zum St. Mevan Down führte.

Dies war der höchste Punkt in Casvelyn. Von hier aus konnte man die ganze Reizlosigkeit der Kleinstadt überblicken. Ihre Glanzzeit lag mehr als siebzig Jahre zurück in einer Epoche, da es Mode gewesen war, zur Sommerfrische an die See zu fahren. Heute lebte sie hauptsächlich von den Surfern und anderen Outdoor-Sportlern. Die Cafés waren schon vor langer Zeit in T-Shirt-Läden, Souvenirgeschäfte und Surfschulen umgewandelt worden, und die post-edwardianischen Wohnhäuser dienten heute als billige Pensionen für jene Wandervögel, die dem Sommer und den Wellen rund um den Globus folgten.

Dem Parkplatz gegenüber an der Belle Vue Lane lag das Toes-on-the-Nose-Café, wo die einheimischen Surfer sich an diesem Morgen scharenweise versammelt hatten. Zwei hatten ihre Autos widerrechtlich am Straßenrand abgestellt, als hätten sie die Absicht, beim ersten Anzeichen eines Wetterumschwungs umgehend davonzubrausen. Dicht an dicht bevölkerten sie das Café. Diese Surfer waren immer im Pulk unterwegs und klebten förmlich aneinander wie Pech und Schwefel. Daidre verspürte einen kleinen Stich des Vermissens. Wie anders es sich anfühlte als der Schmerz des Verlusts!, fuhr es ihr durch den Kopf. Im Vorbeigehen sah sie die Surfer an den Tischen beisammenhocken. Zweifellos berichteten sie einander gerade von ihren Heldentaten auf dem Wasser.

Sie machte sich auf den Weg zur Redaktion des Watchman, die in einem hässlichen, blau verputzten Gebäude Ecke Princes Street und Queen Street untergebracht war. Die Einheimischen nannten dieses Viertel spaßeshalber "das königliche T". Die Princes Street bildete den Querbalken des T, die Queen Street die Versalhöhe. Unterhalb davon lag die King Street, und Duke Street und Duchy Row befanden sich ebenfalls in der Nähe. In viktorianischer Zeit und schon davor hatte Casvelyn sich um den Namenszusatz "Regis" bemüht, und diese Straßennamen waren die historischen Zeugnisse dieser Kampagne.

Als sie Thomas Lynley gesagt hatte, sie habe allerhand in der Stadt zu erledigen, hatte sie nicht gelogen. Nicht wirklich jedenfalls. Sie musste sich bei Gelegenheit um die Reparatur des zerbrochenen Fensters kümmern, aber erst einmal war da die nicht gerade unbedeutende Sache mit Santo Kernes Tod. Der Watchman würde über seinen Absturz in Polcare Cove berichten, und da Daidre hier keine Zeitung abonniert hatte, war es ein durchaus glaubhaftes Ansinnen, wenn sie in der Redaktion nachfragte, ob bald eine Ausgabe mit dem entsprechenden Artikel erscheinen würde.

Sie entdeckte Max Priestley sofort. Das war in der kleinen Redaktion nicht verwunderlich. Sie bestand lediglich aus Max' Büro, einem Layout-Raum, einem winzigen Newsdesk und dem Empfangsbereich, der gleichzeitig als Archiv diente. Max war mit einem der beiden fest angestellten Redaktionsmitarbeiter im Layout. Sie standen über den Entwurf einer Titelseite gebeugt, die Max offenbar ändern, seine Redakteurin die aussah wie ein zwölfjähriges Mädchen in Flipflops hingegen beibehalten wollte.

»Die Leute wollen das«, insistierte sie. »Das hier ist eine Gemeindezeitung, und er war ein Mitglied dieser Gemeinde.«

»Es gibt einen Zweispalter, wenn die Queen stirbt«, erwiderte Max. »In anderen Fällen lassen wir uns zu so etwas nicht hinreißen.« Dann sah er auf, und sein Blick fiel auf Daidre.

Zögernd hob sie die Hand und betrachtete ihn so eingehend, wie ihr möglich war, ohne dass es gar zu offensichtlich wurde. Der Mann hielt sich gern im Freien auf, das sah man ihm an. Sein wettergegerbtes Gesicht ließ ihn älter als seine vierzig Jahre wirken, das dichte Haar war sonnengebleicht, und die regelmäßigen Wanderungen auf dem Küstenpfad hielten ihn in Form. Er wirkte ruhig und ausgeglichen. Daidre wunderte sich darüber.

Die Dame am Empfang, die gleichzeitig als Korrektorin und Sekretärin des Chefredakteurs fungierte, erkundigte sich höflich nach Daidres Begehr, als Max aus dem Layout kam und seine Goldrandbrille an seinem Hemd polierte. »Vor nicht einmal fünf Minuten habe ich Steve Teller zu dir geschickt, um dich zu interviewen«, sagte er zu Daidre. »Es wird Zeit, dass du dir ein Telefon anschaffst wie der Rest der Welt.«

»Ich habe ein Telefon«, erwiderte sie. »Es steht nur nicht in Cornwall.«

»Dann nützt es uns nichts, Daidre.«

»Ihr arbeitet also an einer Story über Santo Kerne?«

»Ich kann die Sache wohl kaum ignorieren, wenn ich mich auch weiterhin einen Zeitungsmann nennen will, oder?« Er nickte zu seinem Büro hinüber und bat die Sekretärin: »Versuch, Steve auf dem Handy zu erreichen, Janna. Sag ihm, Dr. Trahair ist in der Stadt, und wenn er schnell genug zurückkommt, wird sie vielleicht bereit sein, ihm ein Interview zu geben.«

»Ich habe ihm nichts zu sagen«, erklärte sie Priestley.

»"Nichts" ist unsere Geschäftsgrundlage«, erwiderte er holdselig. Er wies Daidre zu seinem Büro.

Unter seinem Schreibtisch hielt ein Golden Retriever ein Nickerchen. Daidre hockte sich neben der Hündin auf den Boden und strich ihr über den seidigen Kopf. »Sie sieht gut aus«, sagte sie über die Schulter. »Die Behandlung hat angeschlagen?«

Er brummte bejahend. »Aber das hier ist kein Hausbesuch, oder?«, fragte er.

Daidre untersuchte oberflächlich den Bauch des Tieres eher eine Formsache als eine Notwendigkeit. Alle Anzeichen der Hautinfektion waren verschwunden. Daidre stand auf und sagte: »Lass es beim nächsten Mal nicht so lange schleifen. Lily könnte büschelweise Fell verlieren. Das willst du doch sicher nicht.«

»Es wird kein nächstes Mal geben. Ich lerne schnell, auch wenn meine persönliche Geschichte das kaum ahnen lässt. Also: Warum bist du hier?«

»Du weißt, wie Santo Kerne gestorben ist, nehme ich an.«

»Daidre, du weißt, dass ich es weiß. Also ist die eigentliche Frage wohl, warum du fragst. Oder feststellst. Oder was immer du machst. Was willst du? Was kann ich heute Morgen für dich tun?«

Sie hörte seine Ungeduld, und sie wusste, was sie bedeutete: Daidre war nur eine gelegentliche Urlauberin in Casvelyn. In manche Bereiche gewährte man ihr Einlass; in andere nicht. Sie versuchte es anders. »Ich war gestern Abend bei Aldara. Sie wartete auf jemanden.«