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Mick trat auf den Mann und die Frau zu, die in sich gekehrt ein paar Schritte voneinander entfernt standen und dem Wind und Regen den Rücken zugewandt hatten. Zu dem Mann sagte er: »Ich weiß zwar nicht, wer Sie sind, aber wir haben einen Job zu erledigen, und ich will nicht, dass Sie irgendwas anderes machen als das, was ich Ihnen jetzt sage. Kommen Sie mit!« An die Frau gerichtet, fügte er hinzu: »Und Sie auch.«

Sie suchten sich einen Weg über die Felsbrocken. Die Flut hatte den Sand bereits bedeckt. Im Gänsemarsch überquerten sie den ersten Schieferfelsen. Auf halbem Weg blieb der Mann stehen und streckte Daidre Trahair die Hand entgegen, um ihr behilflich zu sein. Doch sie schüttelte den Kopf. Es gehe schon, versicherte sie ihm.

Als sie den Leichnam erreichten, leckte die Flut bereits an dem Felsen, auf dem er lag. Zehn Minuten später, und er wäre fortgespült worden. Mick gab seinen beiden Begleitern Anweisungen. Der Mann solle ihm helfen, die Leiche zum Strand zu tragen, und die Frau alles aufsammeln, was herumliegen mochte. Das war im Sinne der Spurensicherung nicht optimal, aber sie hatten keine Wahl. Es blieb keine Zeit, um auf die Profis zu warten.

2

Cadan Angarrack war der Regen egal. Ebenso egal war ihm der Anblick, den er der kleinen Welt von Casvelyn bot. Er trat in die Pedale seines Freestyle-BMX. Seine Knie hoben sich bis auf Hüfthöhe, und seine Ellbogen standen ab wie Warndreiecke. Er wollte nur nach Hause kommen, um die Neuigkeiten zu verkünden. Pooh hockte auf seiner Schulter, protestierte kreischend und schrie dann und wann "Scheiß Landratte" in Cadans Ohr immer noch besser, als wenn er auf sein Ohrläppchen eingehackt hätte, was in der Vergangenheit gelegentlich vorgekommen war, ehe er den Vogel Manieren gelehrt hatte. Also versuchte Cadan gar nicht erst, ihn zum Schweigen zu bringen. Stattdessen antwortete er: »Ja, gib's ihnen, Pooh«, woraufhin der Papagei krakeelte: »Spreng Löcher im Speicher« eine Redewendung, auf die Cadan sich überhaupt keinen Reim machen konnte.

Hätte er sein Fahrrad zu Trainingszwecken gefahren und nicht als Transportmittel, hätte er den Vogel nicht bei sich gehabt. Zu Anfang hatte er Pooh immer mitgenommen und ihm einen Platz in der Nähe des leeren Swimmingpools gesucht, während er sein Programm absolvierte und nicht nur seine Tricks verbesserte, sondern auch seine Trainingsstrecke ausbaute. Aber irgendeine dämliche Lehrerin von der Grundschule neben dem Freizeitzentrum hatte sich über Poohs Vokabular beklagt und insbesondere darüber, was es den zarten Kinderseelen antun mochte, die sie mühevoll zu formen versuchte, und Cadan war zurechtgewiesen worden: Lass den Vogel zu Hause, wenn er nicht den Schnabel halten kann und du weiterhin den leeren Pool nutzen willst. Es war ihm nichts anderes übrig geblieben. Er konnte nur den Pool benutzen, weil er bei der Stadtverwaltung niemanden für seine Idee hatte gewinnen können, am Binner Down eine Airjump-Strecke einzurichten. Sie hatten ihn dort nur angeglotzt, als wäre er nicht ganz dicht, und Cadan hatte gewusst, was sie dachten dasselbe, was sein Vater nicht nur dachte, sondern auch aussprach: »Zweiundzwanzig Jahre alt, und du spielst immer noch mit deinem Fahrrad herum? Was ist eigentlich los mit dir?«

Nichts, dachte Cadan. Absolut gar nichts. Wenn ihr denkt, es wäre einfach Tabletop, Tailwhip, dann versucht es doch mal selbst.

Natürlich taten sie das nicht. Weder die Verwaltungstypen noch sein Vater. Sie gafften ihn nur an, und ihr Ausdruck war unmissverständlich: Mach was aus deinem Leben. Beschaff dir endlich einen Job, Herrgott noch mal.

Und genau das war es, was er seinem Vater zu berichten hatte: Er hatte sich eine bezahlte Arbeit gesucht. Trotz Pooh auf der Schulter war es ihm tatsächlich gelungen, einen neuen Job zu finden. Sein Dad musste natürlich nicht unbedingt erfahren, wie er das angestellt hatte. Cadan hatte eigentlich nur bei den Leuten von Adventures Unlimited angefragt, ob ihnen überhaupt klar sei, was sich mit dem verfallenen Minigolfplatz anfangen lasse. Und am Ende hatten sie ihm angeboten, ihnen bei der Instandsetzung des alten Hotels zu helfen. Als Gegenleistung durfte er den Minigolfplatz als Trainingsstrecke zur Perfektionierung seiner Fahrradakrobatik nutzen. Allerdings würde er vorher die kleinen Häuschen und Hindernisse abbauen müssen. Lew Angarrack musste nur eines wissen: Nachdem er seinen Sohn für dessen zahllose Unzulänglichkeiten aus dem Familienunternehmen gefeuert hatte aber wer wollte schon Surfbretter bauen?, hatte dieser nichtsnutzige Sohn es tatsächlich fertiggebracht, Job A binnen zweiundsiebzig Stunden mit Job B zu ersetzen. Das war rekordverdächtig, fand Cadan. Meistens gab er seinem Dad mindestens fünf oder sechs Wochen lang Gelegenheit, stinksauer auf ihn zu sein.

Er rumpelte den unbefestigten Pfad hinter der Victoria Road entlang und wischte sich den Regen aus den Augen, als sein Vater ihn im Auto überholte. Lew Angarrack schaute ihn zwar nicht an, aber der säuerliche Gesichtsausdruck verriet Cadan, dass er sehr wohl wahrgenommen hatte, was für einen Anblick sein Sohn bot. Und wahrscheinlich erinnerte er sich auch gerade an den Grund, warum dieser Versager mit dem Rad durch den Regen fuhr, statt hinter dem Steuer seines Autos zu sitzen.

Cadan sah seinen Vater aus dem RAV4 steigen und das Garagentor öffnen. Rückwärts setzte er den Toyota hinein, und als Cadan sein Rad durch das Törchen in den Garten schob, hatte Lew sein Surfboard bereits abgespritzt. Er holte den Neoprenanzug aus dem Wagen, um ihn ebenfalls abzuspülen, während der Schlauch auf dem Rasen lag und gluckernd Wasser von sich gab.

Cadan betrachtete seinen Vater einen Moment. Er wusste, dass er ihm äußerlich nachschlug, aber damit endete alle Ähnlichkeit. Sie hatten die gleiche untersetzte Statur, Schultern und Brust breit, sodass sie wie Keile gebaut waren, und das gleiche Übermaß an dunklem Haar, welches sich bei seinem Vater zunehmend auch am Körper zeigte. Er wurde dem Spitznamen "Gorillamann", den Cadans Schwester ihm insgeheim gegeben hatte, zunehmend gerecht. Aber das war auch schon alles. In jeder anderen Hinsicht waren sie so verschieden wie Feuer und Wasser. Für seinen Vater war die Welt in Ordnung, wenn alles an seinem zugewiesenen Platz war und sich niemals irgendetwas änderte, und zwar bis ans Ende seiner Tage. Wohingegen Cadan… Nun, er selbst hatte ganz andere Vorstellungen. Für seinen Vater bestand die ganze Welt aus Casvelyn. Niemals würde er es bis an den Nordstrand von O'ahu schaffen. Träum nur weiter, Dad. Das wäre das größte Wunder, das die Welt je gesehen hätte. Cadan hingegen hatte große Pläne, und die beinhalteten seinen Namen in riesigen Leuchtbuchstaben, die X-Games, Goldmedaillen und sein grinsendes Konterfei auf dem Cover von Ride BMX.

Er wandte sich an seinen Vater: »Auflandiger Wind heute. Warum warst du draußen?«

Lew antwortete nicht. Er ließ das Wasser über den Anzug laufen, schlug ihn um und tat das Gleiche mit der Rückseite. Er wusch die Stiefel, Kapuze und Handschuhe aus, ehe er ganz gemächlich den Blick erst auf Cadan und dann auf den mexikanischen Papagei auf dessen Schulter richtete. »Sieh lieber zu, dass du den Vogel aus dem Regen schaffst.«

»Der macht ihm nichts aus. Da, wo er herkommt, regnet es andauernd. Du hattest keine guten Wellen, was? Die Flut steigt ja gerade erst. Wo warst du?«

»Ich brauchte keine Wellen.« Sein Vater las den Neoprenanzug vom Rasen auf und hängte ihn an seinen angestammten Platz über die Rückenlehne eines alten Gartenstuhls aus Aluminium, dessen geflochtene Sitzfläche vom Gewicht unzähliger Hinterteile eingedellt war. »Ich wollte nachdenken. Zum Denken braucht man keine Wellen, oder?«

Warum dann all die Mühe, die Ausrüstung zusammenzusuchen und zum Strand runterzuschaffen?, wollte Cadan fragen, hielt sich dann aber zurück, denn hätte er gefragt, hätte er auch eine Antwort bekommen und erfahren, worüber sein Vater nachgedacht hatte. Da gab es drei Möglichkeiten, und weil eine davon Cadan selbst und die Liste seiner Fehltritte war, beschloss er, diesen ganzen Themenkomplex zu meiden. Er folgte seinem Vater ins Haus, wo Lew sich das Haar mit einem schlaffen Handtuch frottierte, das nur zu diesem Zweck an einem Haken hinter der Tür hing. Dann ging er zur Anrichte und schaltete den Wasserkocher ein. Jetzt kam also der Nescafé. Ein Löffel Zucker, keine Milch. Immer in demselben Kaffeebecher, dem mit der Aufschrift "Newquay Invitational". Während er seinen Kaffee trank, stand er am Fenster und starrte hinaus in den Garten, und war der Becher geleert, wurde er umgehend gespült. Sein Vater war die Spontaneität in Person.