»Freund und Freundin. Partner. Ein Liebespaar. Was auch immer.«
»Sie machen wohl Witze.«
Er schüttelte verwirrt den Kopf. Warum glaubte sie nur, er machte Witze? »Sie haben sich kennengelernt, als er bei meinem Dad ein Board kaufen wollte. Madlyn hat ihm das Surfen beigebracht. Santo, meine ich. Nicht meinem Dad. So sind sie sich nähergekommen. Und dann… Ich schätze, man kann sagen, von da an haben sie permanent zusammengesteckt, und daraus hat sich alles Weitere entwickelt.«
»Und Sie sagten, Madlyn war ihr Name?«, fragte Dellen.
»Ja. Madlyn.«
»Achtzehn Monate zusammen?«
»Ja, so was in der Richtung.«
»Warum habe ich sie dann nie getroffen?«
Als Detective Inspector Bea Hannaford mit Constable McNulty im Schlepptau zur Polizeiwache zurückkam, stellte sie erfreut fest, dass Ray ihren Wunsch nach einer Einsatzzentrale in Casvelyn erfüllt hatte. Darüber hinaus hatte Sergeant Collins begonnen, diese Einsatzzentrale mit einer professionellen Umsicht einzurichten, die sie geradezu verblüffte. Er hatte es irgendwie geschafft, den Konferenzraum in der ersten Etage aufzuräumen, der nun bereitstand, komplett mit Magnettafeln, an denen Fotos von Santo Kerne hingen — lebend ebenso wie tot — und wo die anstehenden Aktivitäten aufgelistet werden konnten. Des Weiteren gab es Schreibtische, Telefone, Computer mit Zugriff auf die HOLMES-Datenbank, Drucker, einen Aktenschrank und Büromaterial. Das Einzige, worüber diese Einsatzzentrale leider nicht verfügte, war der wichtigste Bestandteil einer jeden Ermittlung: ein Team ausgebildeter Kriminalbeamter.
Mangels Mordkommission befand sich Bea in einer Lage, um die sie wohl niemand beneidete: Sie musste die Ermittlungen allein mit McNulty und Collins führen, bis sie weitere Unterstützung zugeteilt bekam. Da diese Unterstützung allerdings zusammen mit der Einrichtung in der Einsatzzentrale hätte eintreffen sollen, befand Bea die Situation für inakzeptabel. Darüber hinaus war sie verärgert. Sie wusste genau, dass ihr Exmann binnen drei Stunden ein Ermittlerteam von Land's End bis nach London schaffen konnte, wenn Not am Mann war.
»Verdammt«, brummte sie. Sie befahl McNulty, anhand seiner Notizen einen Bericht zu tippen, dann ging sie zu einem der Schreibtische in der Ecke, wo sie sehr bald feststellte, dass die Anwesenheit eines Telefons noch lange nicht bedeutete, dass dieses auch an eine Leitung angeschlossen war. Sie warf Collins einen vielsagenden Blick zu, und der Sergeant entschuldigte sich mit den Worten: »British Telecom sagt, in ungefähr drei Stunden. Hier oben liegt kein Verteiler, darum müssen sie erst jemanden aus Bodmin schicken, der den Anschluss legt. Bis dahin müssen wir die Handys oder die Telefone unten benutzen.«
»Wissen die, dass es hier um eine Mordermittlung geht?«
»Ich hab's ihnen gesagt«, versicherte er, aber sein Tonfall implizierte, dass dies der Telefongesellschaft gleichgültig gewesen war.
Bea fluchte erneut und zog ihr Handy aus der Tasche. Sie tippte Rays Büronummer ein. »Irgendwer muss irgendwo etwas missverstanden haben«, kam sie sofort zur Sache, sowie sie ihn endlich am Apparat hatte.
»Beatrice. Hallo«, antwortete er. »Schön, deine Stimme zu hören. Das hab ich doch gern gemacht mit der Einsatzzentrale. Habe ich Pete heute Abend wieder?«
»Ich rufe nicht wegen Pete an. Wo ist mein Team?«
»Ach so. Das. Nun, da gibt es ein kleines Problem.« Und dann rückte er mit der Sprache heraus: »Klappt leider nicht, Liebes. Im Moment steht einfach kein Kripo-Team zur Verfügung, das ich nach Casvelyn schicken könnte. Du kannst natürlich in Dorset oder Somerset anrufen und fragen, ob sie jemanden entbehren können, oder ich kann es für dich tun. Für den Übergang hatte ich eine Taucherstaffel, die ich dir schicken könnte.«
»Eine Taucherstaffel?«, wiederholte sie. »Eine Taucherstaffel, Ray? Das hier ist eine Mordermittlung! Mord! Kapitalverbrechen! Ich brauche ein ausgebildetes Ermittlerteam.«
»Nichts zu machen. Ich habe alles versucht. Ich habe dir ja gleich vorgeschlagen, deine Einsatzzentrale lieber in…«
»Willst du mir eigentlich irgendetwas heimzahlen?«
»Mach dich nicht lächerlich! Du bist doch diejenige, die…«
»Wage ja nicht, so anzufangen! Das hier ist rein beruflich.«
»Ich glaube, ich behalte Pete bei mir, bis ihr den Fall geklärt habt«, fuhr er liebenswürdig fort. »Du wirst sehr beschäftigt sein. Ich möchte nicht, dass er alleine ist. Das halte ich für keine gute Idee.«
»Du willst nicht, dass er… Du willst…« Sie war sprachlos, und das passierte ihr bei Ray so selten, dass allein die Tatsache sie umso mehr vor den Kopf stieß. Sie musste dieses Telefonat beenden. Wäre sie dazu fähig gewesen, hätte sie es in Würde und mit einer adäquaten Bemerkung getan, aber sie war nur mehr in der Lage, das Gespräch mit einem viel zu heftigen Knopfdruck zu unterbrechen und das Handy anschließend auf den Schreibtisch zu schleudern.
Als es Sekunden später zu klingeln begann, war sie überzeugt, es sei ihr Exmann, der sich entschuldigen wollte oder — was in seinem Fall wahrscheinlicher war — ihr einen Vortrag über die Regularien der Polizeiarbeit zu halten gedachte, über ihre Neigung zu kurzsichtigen Entscheidungen, darüber, dass sie ständig die Grenzen des Erlaubten überschritt und dann erwartete, dass irgendwer für sie intervenierte. Sie schnappte sich das Handy und fauchte hinein: »Was? Was?«
Doch es war das kriminaltechnische Labor. Ein gewisser Duke Clarence Washoe — was hatten seine Eltern sich nur dabei gedacht, ihm einen derart bizarren Namen zu geben? — meldete, dass die Untersuchung der Fingerabdrücke abgeschlossen sei.
»Ein totales Durcheinander, Ma'm«, sagte er.
»Chefin«, verbesserte sie. »Oder Detective Inspector Hannaford. Aber nicht Ma'm oder Madam oder irgendetwas in dieser Art, was sich so anhört, als wären Sie und ich verwandt oder als gehörte ich zur königlichen Familie. Ist das klar?«
»Oh. In Ordnung. Tut mir leid.« Pause. Es schien, als brauchte er einen Moment, um sich zu sammeln und seine Nachricht neu zu formulieren. »Wir haben Fingerabdrücke von Ihrem Kunden überall im Wagen…«
»Opfer«, fuhr Bea dazwischen. Welch ein Fluch amerikanische Fernsehserien doch für die normale zwischenmenschliche Kommunikation waren, dachte sie bei sich. »Nicht "Kunde". Opfer. Oder Santo Kerne, wenn Sie das vorziehen. Wir wollen ihm doch wenigstens ein klein wenig Respekt zollen, Mr. Washoe.«
»Duke Clarence«, sagte er. »Sie können mich Duke Clarence nennen.«
»Es wird mir ein großes Vergnügen sein«, antwortete sie. »Fahren Sie fort.«
»Elf Sätze außen am Wagen. Im Innenraum sieben: von Ihrem Kun... von dem toten Jungen und von sechs weiteren Personen, die überdies Fingerabdrücke auf der Beifahrertür, dem Holm, den Fensterhebern und auf dem Handschuhfach hinterlassen haben. Wir haben auch Abdrücke auf den CD-Hüllen. Von dem Jungen und drei anderen.«
»Und auf der Kletterausrüstung?«
»Die einzig brauchbaren Fingerabdrücke sind auf dem Klebeband. Aber sie stammen von Santo Kerne.«
»Verflucht«, brummte Bea.
»Und wir haben einen schönen, deutlichen Satz auf dem Kofferraumdeckel. Ich würde sagen, ziemlich frisch. Keine Ahnung, ob der Sie weiterbringt.«
Kein Stück, dachte Bea. Jeder, der in der Stadt irgendeine Straße überqueren wollte und dabei an der Mistkarre vorbeigegangen war, hätte unwillkürlich den Kofferraum berühren und sich darauf abstützen können. Sie würde von jeder Person, die auch nur im Entferntesten mit Santo Kerne zu tun gehabt hatte, die Fingerabdrücke nehmen lassen und sie in die Kriminaltechnik schicken müssen. Doch dann wurde ihr klar: Herauszufinden, wer seine Fingerabdrücke am Wagen des Jungen hinterlassen hatte, würde sie nicht wesentlich weiterbringen. Das war eine ziemliche Enttäuschung.