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Aber wie hätte sie all das Pete erzählen können? Ihn wissen lassen, dass sein Vater ihm seinen Platz in der Welt hatte verweigern wollen? Das konnte sie nicht. Sollte Ray es ihm doch sagen, wenn er dazu imstande war.

Sie stand auf und klopfte an Petes Zimmertür. Obwohl er nicht reagierte, trat sie ein. Pete saß am Computer, hatte die Website von Arsenal angeklickt und surfte durch die Bilder seiner Idole, aber er tat es untypisch lustlos.

»Was machen die Hausaufgaben, Liebling?«, fragte sie.

»Schon fertig«, erwiderte er. Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Ich hab 'ne Eins in Mathe.«

Sie ging zu ihm und küsste ihn auf den Kopf. »Ich bin stolz auf dich.«

»Das hat Dad auch gesagt.«

»Weil er wirklich stolz auf dich ist. Das sind wir beide. Du bist unser Bester, Pete.«

»Er hat mich nach diesen Typen aus dem Internet gefragt, mit denen du dich triffst.«

»Na, da konntest du ja ein paar interessante Storys zum Besten geben. Hast du ihm von dem Typen erzählt, dem Hund Zwei ans Bein gepinkelt hat?«

Pete schnaufte seine Form eines nachsichtigen Lachens. »Das war echt ein Wichser. Sogar der Hund wusste das.«

»Was sind denn das für Ausdrücke, Pete«, murmelte sie. Einen Moment betrachtete sie die Fotos der Fußballspieler, die er durchklickte. »Bald ist Weltmeisterschaft«, sagte sie unnötigerweise. Ihre Pläne, eines der WM-Spiele zu besuchen, waren wohl das Letzte auf der Welt, was Pete vergessen könnte.

»Ja«, hauchte er. »Bald ist Weltmeisterschaft. Vielleicht könnten wir Dad fragen, ob er mitkommen will. Er würde sich bestimmt freuen, wenn wir ihn fragen.«

Er machte es ihr leicht. Es war höchst unwahrscheinlich, dass sie noch ein Ticket würden ergattern können; was machte es also, wenn sie einwilligte? »Einverstanden«, antwortete sie. »Wir fragen Dad. Du kannst es ihm heute Abend vorschlagen, wenn er nach Hause kommt.« Sie strich ihm übers Haar und küsste seinen Kopf noch einmal. »Kommst du hier alleine klar bis heute Abend, Pete?«

»Muuum!« Ein lang gezogener, mehrsilbiger Laut, der aussagte: Ich bin kein Baby mehr.

»Okay, okay. Ich bin schon weg«, versprach sie.

»Bis dann. Ich hab dich lieb, Mum.«

Sie fuhr zurück nach Casvelyn. Die Bäckerei, wo Madlyn Angarrack arbeitete, lag nicht weit von der Polizeiwache entfernt, also parkte sie vor dem grauen, gedrungenen Gebäude und ging das restliche Stück zu Fuß. Der Wind hatte aufgefrischt, kam jetzt aus Nordwesten und brachte eine eisige Erinnerung an den Winter mit sich. So würde es bis zum späten Frühling bleiben, der hier immer nur langsam und nicht ohne Rückschläge Einzug hielt.

Die Bäckerei Casvelyn of Cornwall befand sich in einem hübschen weißen Haus gegenüber des St. Mevan Down. Bea gelangte über die Queen Street dorthin, wo es immer noch von Fußgängern und Autos wimmelte, obwohl der Nachmittag sich bereits dem Ende zuneigte. Es hätte sich um die Einkaufsstraße in jeder beliebigen Stadt im Land handeln können, dachte Bea bei sich, als sie den Gehweg entlanghastete. Die allgegenwärtigen grässlichen Kunststoffschilder über Türen und Fenstern identifizierten die immer gleichen Ladenketten. Erschöpfte Mütter schoben ihre Kinder in Buggys die Straße entlang, und vor der Videothek standen Schüler in schlecht sitzenden Uniformen und rauchten.

Die Bäckerei unterschied sich nur insofern von den anderen Geschäften, als ihr Schild aus Holz gefertigt und in viktorianischer Schnörkelschrift ausgeführt war. Im Schaufenster lag Reihe um Reihe der goldenen Pasteten, für die die Bäckerei berühmt war.

Hinter der Theke waren zwei Mädchen gerade dabei, einige dieser Backwaren für einen schlaksigen jungen Mann in Kapuzenjacke in eine Schachtel zu packen. Eines dieser Mädchen musste Madlyn Angarrack sein, schloss Bea. Vermutlich die schlanke Dunkelhaarige. Die andere hatte Übergewicht und Pickel im Gesicht, was es objektiv gesehen wenig wahrscheinlich machte, dass gerade sie das Objekt der Begierde eines gut aussehenden Achtzehnjährigen gewesen war.

Bea wartete, bis der Kunde seine Pasteten erhalten hatte und ging. Dann fragte sie nach Madlyn Angarrack, und wie sie erwartet hatte, gab sich das dunkelhaarige Mädchen zu erkennen. Bea zeigte ihren Dienstausweis vor und bat Madlyn um ein paar Minuten ihrer Zeit.

Madlyn wischte sich die Hände an der gestreiften Schürze ab, sah zu ihrer Kollegin, die allzu interessiert zu lauschen schien, und antwortete, sie werde draußen mit Bea reden. Sie wolle sich nur schnell ihren Anorak holen. Bea entging nicht, dass das Mädchen keinerlei Überraschung angesichts ihres Besuchs gezeigt hatte.

Als sie draußen auf dem Gehweg standen, sagte Madlyn: »Ich weiß Bescheid über Santo. Dass er ermordet wurde. Kerra hat es mir gesagt. Seine Schwester.«

»Also überrascht es Sie nicht, dass ich mit Ihnen sprechen möchte.«

»Es überrascht mich nicht.« Mehr gab Madlyn nicht preis, ganz so als sei sie gründlich über ihre Rechte informiert und wolle nun abwarten, was Bea wusste und was sie eventuell argwöhnte.

»Sie und Santo hatten eine Beziehung.«

»Santo«, erwiderte Madlyn, »war mein Liebhaber.«

»Sie würden ihn nicht als Ihren Freund bezeichnen?«

Madlyn sah zu der Anhöhe auf der anderen Seite der Straße hinüber. Strandhafer und Süßgras neigten sich dort im Wind. »Mein Freund war er zu Anfang«, antwortete sie zögernd. »Wir waren Freund und Freundin. Wir sind zusammen ausgegangen, haben rumgehangen, waren surfen… So hab ich ihn kennengelernt. Ich hab ihm das Surfen überhaupt erst beigebracht. Aber dann wurden wir ein Liebespaar, und ich nenne es so, weil wir genau das waren: zwei Menschen, die sich liebten und ihre Liebe durch Geschlechtsverkehr ausdrückten.«

»Offene Worte.« Die meisten Mädchen ihres Alters wären nicht so direkt gewesen. Bea fragte sich, aus welchem Grund ausgerechnet Madlyn es war.

»Aber so ist es doch nun mal, oder?« Die Worte klangen brüchig. »Der Penis des Mannes dringt in die Vagina der Frau ein. Darum geht es doch einzig und allein. Also, die Wahrheit ist, dass Santo seinen Penis in meine Vagina gesteckt hat, und ich habe es zugelassen. Er war der Erste für mich. Ich aber nicht für ihn. Ich hab gehört, dass er tot ist. Ich kann nicht behaupten, dass es mir sonderlich leidtut. Dass es Mord war, wusste ich nicht. Das ist eigentlich alles, was ich Ihnen zu sagen habe.«

»Aber es ist nicht alles, was ich wissen muss, fürchte ich«, eröffnete Bea dem Mädchen. »Hören Sie, wollen wir vielleicht irgendwo einen Kaffee trinken gehen?«

»Ich hab noch nicht Feierabend. Ich kann nicht einfach so verschwinden. Eigentlich sollte ich noch nicht mal hier mit Ihnen stehen.«

»Wenn Sie möchten, dass wir uns später treffen…?«

»Das ist nicht nötig. Mehr weiß ich nicht. Ich habe Ihnen nichts weiter zu sagen. Nur so vieclass="underline" Santo hat vor ungefähr acht Wochen mit mir Schluss gemacht, und das war's. Ich weiß nicht, wieso.«

»Er hat keinen Grund genannt?«

»Es sei Zeit, hat er gesagt.« Sie klang immer noch hart, aber zum ersten Mal schien sie ins Wanken zu geraten. »Wahrscheinlich hat er jemand anderes gefunden, aber das wollte er nicht zugeben. Nur dass es gut mit uns gewesen sei, aber jetzt sei es eben an der Zeit, die Sache zu beenden. Eigentlich war alles in bester Ordnung, aber von heute auf morgen war es vorbei. Wahrscheinlich hat er das mit allen so gemacht, aber wie hätte ich das wissen sollen. Ich kannte ihn schließlich nicht, bevor er im Laden meines Vaters aufgetaucht ist, um ein Surfboard zu kaufen, und Unterricht haben wollte.«

Sie hatte die ganze Zeit auf die Straße und die Anhöhe auf der gegenüberliegenden Seite geschaut, doch jetzt richtete sie den Blick auf Bea. »War das alles?«, fragte sie. »Ich weiß sonst nichts.«

»Ich habe gehört, dass Santo im Begriff war, etwas Anormales zu tun«, erwiderte Bea. »Das war das Wort, das mir gegenüber gebraucht wurde. Anormal. Ich frage mich, ob Sie wissen, was das war.«