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Er schwieg.

»Also gibt es irgendetwas, was sie Ihnen nicht erzählt hat, Sir. Ich frage mich, warum.«

»Aber die Geschichte mit dem Zoo stimmt«, entgegnete Lynley. »Sie arbeitet als Veterinärin für Großtiere im Zoo von Bristol, ja?«

»Zugegeben«, räumte Havers ein. »Ich bin zum Haus der Trahairs gefahren, nachdem ich das Geburtenregister durchgesehen hatte. Es war niemand da, also habe ich mit einer Nachbarin gesprochen. Es gibt definitiv eine Daidre Trahair. Sie wohnt in Bristol und arbeitet im Zoo. Aber als ich ein bisschen tiefer gebohrt habe, um mehr Informationen zu bekommen, wurde die Frau plötzlich stumm. Es kam nur noch: "Dr. Trahair macht ihren Eltern und sich selbst alle Ehre, und das können Sie schön in Ihr Notizbuch schreiben. Und wenn Sie mehr wissen wollen, muss ich vorher mit meinem Anwalt sprechen." Danach schlug sie mir die Tür vor der Nase zu. Es laufen einfach zu viele Krimiserien im Fernsehen«, schloss sie finster. »Das macht unsere Chance, irgendwen noch einzuschüchtern, völlig zunichte.«

Lynley stellte fest, dass ihm etwas zu schaffen machte, und das hatte nichts mit Daidre Trahair zu tun. »Sie sind zu ihrem Haus gefahren?«, fragte er. »Sie haben mit einer Nachbarin gesprochen? Havers, das sollte vertraulich sein. Hatten Sie das nicht verstanden?«

Sie runzelte die Stirn. Dann biss sie sich auf die Unterlippe und betrachtete ihn schweigend. Von unten klangen die fernen Geräusche von klappernden Töpfen und Pfannen herauf. Im Salthouse Inn wurde das Frühstück vorbereitet.

Schließlich sagte sie: »Das sind die üblichen Hintergrundermittlungen, Sir. Bei Mord muss die Geschichte aller Beteiligten beleuchtet werden. Das ist kein Geheimnis.«

»Aber nicht jede Hintergrundermittlung wird von New Scotland Yard durchgeführt. Und Sie haben sich der Nachbarin zu erkennen gegeben und ihr Ihren Dienstausweis gezeigt. Sie haben ihr gesagt, woher Sie kamen, richtig?«

»'türlich.« Havers sprach behutsam, und es erschreckte ihn, dass seine frühere Partnerin derart mit ihm umging, ganz gleich aus welchem Grund. »Aber mir ist nicht klar, welche Rolle das spielen soll, Sir. Wenn Sie nicht über die Leiche gestolpert wären… Haben Sie mal dran gedacht, dass…«

»Es spielt sehr wohl eine Rolle«, unterbrach Lynley. »Sie weiß, dass ich bei Scotland Yard arbeite. Gearbeitet habe. Wenn Scotland Yard und nicht die hiesige Polizei jetzt Erkundigungen über sie einzieht… Verstehen Sie nicht, was ihr das sagen wird?«

»Dass Sie vielleicht derjenige sind, der hinter der Ermittlung steckt«, antwortete Havers. »Sie stecken ja auch dahinter, und mit verdammt gutem Grund. Sir, lassen Sie mich zu Ende bringen, was ich sagen wollte. Sie wissen, wie es läuft. Wenn Sie nicht über Santo Kerne gestolpert wären, wäre Daidre Trahair die erste Person am Fundort gewesen. Und Sie wissen genau, was dann in Gang gekommen wäre. Das muss ich Ihnen nicht erklären.«

»Herrgott noch mal, sie hat Santo Kerne nicht umgebracht! Sie hat nicht einen Moment versucht vorzugeben, sie hätte den Leichnam gefunden. Sie kam in ihr Cottage und hat mich dort entdeckt, und ich habe sie zu der Leiche geführt, weil sie sie sehen wollte. Sie sagte, sie sei Ärztin. Sie wollte feststellen, ob sie noch irgendetwas für ihn tun konnte.«

»Dafür könnte es ein Dutzend Gründe geben, und an oberster Stelle steht: Es hätte verdammt seltsam ausgesehen, wenn sie es nicht getan hätte.«

»Sie hat absolut kein Motiv…«

»Okay. Was, wenn alles, was sie behauptet, der Wahrheit entspricht? Was, wenn sie diejenige ist, für die sie sich ausgibt, und sich alles als wahr erweist? Was spielt es dann für eine Rolle, wenn sie weiß, dass wir ihre Geschichte überprüfen? Dass ich sie überprüfe, dass Sie sie überprüfen? Dass der verdammte Weihnachtsmann sie überprüft? Wieso sollte sie das aufregen?«

Er stieß hörbar Luft aus. Er wusste einen Teil der Antwort, aber eben nur einen Teil.

Er leerte seine Tasse. Er wollte Simplizität, wo es keine gab. Er wollte Antworten, die Ja oder Nein lauteten, statt einer endlosen Kette von Vielleichts.

Das Bett knarrte, als Havers aufstand. Der Fußboden knarrte ebenfalls, als sie ein paar Schritte machte und sich hinter Lynley stellte. »Wenn sie weiß, dass wir sie überprüfen, dann wird sie nervös, und genau so wollen wir sie haben. So wollen wir sie doch alle. Nervöse Menschen verraten sich. Und das spielt uns in die Hände.«

»Mir will nicht einleuchten, was eine offene Überprüfung dieser Frau…«

»O doch, es leuchtet Ihnen ein. Das weiß ich sehr wohl.« Sie legte ihm einen Moment die Hand auf die Schulter. Ihre Stimme war zurückhaltend und gütig gleichermaßen. »Sie sind… Sie sind ziemlich durcheinander, Sir, und das ist völlig normal nach all dem, was Sie durchgemacht haben. Ich wünschte, es gäbe keine Menschen, die die emotionale Schieflage anderer ausnutzen, aber Sie und ich wissen, was für eine Welt das hier ist.«

Die Güte in ihrer Stimme machte ihm zu schaffen. Das war der Hauptgrund, warum er seit Helens Beerdigung alle Menschen gemieden hatte. Seine Freunde, seine Bekannten, Kollegen und letztlich sogar seine Familie. Er konnte ihre Güte und ihr grenzenloses Mitgefühl nicht ertragen, weil sie ihn wieder und wieder an das erinnerten, was er so verzweifelt zu vergessen suchte.

»Sie müssen vorsichtig sein«, sagte Havers. »Mehr will ich gar nicht sagen. Nur so viel noch: Wir müssen sie genauso unter die Lupe nehmen wie alle anderen auch.«

»Das weiß ich«, erwiderte er.

»Wissen ist immer eine Sache, Superintendent. Glauben ist etwas anderes.«

Daidre saß auf einem Schemel am Kopf der Arbeitsplatte in der Küche. Sie hatte die Postkarte, die sie am vorherigen Nachmittag an dem Flohmarktstand in St. Sithy erstanden hatte, gegen eine Linsendose gelehnt. Sie betrachtete den Zigeunerwagen und die Landschaft, in der er stand. Ein müdes Pferd graste in der Nähe. Pittoresk, dachte sie. Ein bezauberndes Bild einer längst vergangenen Zeit. Gelegentlich sah man diese Gefährte noch auf einem Landsträßchen in diesem Teil der Welt. Aber heutzutage dienten die Wagen mit ihren gerundeten Dächern und bunt bemalten Seitenwänden in erster Linie Touristen, die für kurze Zeit Zigeunerleben spielen wollten.

Als sie die Postkarte so lange angesehen hatte, wie sie es ohne handeln zu müssen vermochte, verließ sie das Haus. Sie stieg ins Auto, setzte zurück und fuhr in Richtung Polcare Cove und zum Strand hinunter. Die Nähe zum Strand erinnerte sie an den gestrigen Abend, an den sie lieber nicht gedacht hätte, aber er ging ihr einfach nicht aus dem Kopf: der gemächliche Rückweg zum Auto mit Thomas Lynley, die ruhige Stimme, mit der er ihr von seiner toten Frau erzählt hatte. Es war fast vollkommen dunkel gewesen, sodass sie, abgesehen von den gelegentlichen Lichtern der Häuser und Cottages oben auf der Klippe, nichts hatte sehen können als sein beunruhigendes Patrizierprofil.

Helen war ihr Name gewesen, und sie hatte aus einer ähnlichen Familie wie er selbst gestammt. Als Tochter eines Earls, die einen Earl geheiratet hatte, hatte sie sich mühelos in der Welt bewegt, in welche sie geboren worden war. Aufgrund ihrer unzureichenden Bildung anscheinend von Selbstzweifeln geplagt — auch wenn Daidre diese Information über Helen Lynley kaum glaubhaft fand — und gleichzeitig doch außergewöhnlich gütig, geistreich, amüsant, gesellig und unternehmungslustig. Ausgestattet mit bewunderns- und beneidenswerten Eigenschaften.

Daidre konnte sich nicht vorstellen, wie er den Verlust einer solchen Frau überlebt haben oder wie jemand sich mit einem derartigen Verlust je abfinden sollte, der durch Mord hervorgerufen worden war.

»Zwölf Jahre alt«, hatte er erzählt. »Niemand weiß, warum er auf sie geschossen hat.«

»Es tut mir so leid«, hatte sie erwidert. »Sie klingt wunderbar.«