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»Beeilen Sie sich«, sagte Schratt und zog die Handschuhe aus. »Man kann jede Sekunde nach der Leiche kommen.« Sein Gesicht sah plötzlich wieder grau und faltig aus. Er deutete auf den Toten. »Bringen Sie ihn lieber in Ordnung. Stopfen Sie Watte in den Schädel – sonst könnten die Augen einfallen.«

Ich füllte die Schädelhöhle mit Baumwollbandagen, legte die Schädeldecke auf und befestigte sie mit Leukoplast. Dann zog ich die Kopfhaut wieder über den Schädel, bandagierte den Kopf sorgfältig und war vorsichtig genug, ein paar Tropfen von Donovans Blut in die Binden sickern zu lassen, als sei es durchgedrungen aus der Wunde, die durch den Unfall entstanden war.

Ich wandte mich rasch um, ich wollte sehen, ob das Hirn noch lebe. Schratt hielt mich auf. »Wir haben alles getan, was wir konnten«, sagte er. »Lassen Sie uns die Leiche hier herausbringen! Oder wollen Sie, daß man – das da sieht?« Und er wies mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf das Hirn. »Wenn wir den Körper in die Sonne hinaustragen, zersetzt er sich schnell. Ich will keine Leichenschau.« Die Aufregung hatte meine Urteilskraft verwirrt, und ich fügte mich Schratts Anweisungen. Er schien sich jedoch seiner neuen Autorität nicht zu freuen.

Jahrelang war Schratt durch meine Gegenwart gehemmt gewesen, das wußte ich. Er hatte seinen eigenen Ehrgeiz, seinen eigenen Trieb verloren und neidete mir die Beharrlichkeit, mit der ich meine Forschungen durchführte. Doch jetzt nützte er seine Überlegenheit nicht aus, obwohl er endlich die Oberhand hatte. Feige wich er der Möglichkeit aus, sich einmal für die Demütigungen zu rächen, die ich ihm unwillkürlich durch all diese Jahre zugefügt hatte.

Wir legten Donovans Körper auf eine Bahre, bedeckten ihn mit einem Laken und trugen ihn nach draußen. Die Hitze würde schnelle Arbeit tun. Dann gingen wir zurück ins Laboratorium und räumten auf.

»Schreiben Sie den Totenschein und den Befund, ehe die Ambulanz herkommt«, sagte ich ruhig.

Er antwortete nicht, und ich konnte erraten, daß seine Reue schon begonnen hatte!

Nun mußte er sein Verbrechen schwarz auf weiß registrieren, einen Schein ausstellen, der ihn zu jeder Zeit ins Gefängnis bringen konnte. Das Gefängnis fürchtete er nicht so sehr – aber er hatte den letzten Faden Selbstachtung verloren.

»Es tut mir leid. Ich könnte es ja selbst schreiben, aber ich habe keine Amtsbefugnis dazu. Außerdem war es ja Ihre Aufgabe, sich der Opfer des Absturzes anzunehmen.«

»So, so, jetzt werde ich erpreßt«, sagte er mit einem düsteren Lächeln, und ich verstand, was er meinte. Er war jetzt gefährlich. Er war imstande, uns beide in einem Anfall seiner pathologischen Depressionen ans Messer zu liefern.

»Möchten Sie etwas zu trinken?« fragte ich.

Er sah erstaunt auf, las meine Gedanken und schüttelte den Kopf.

»Sie brauchen mich nicht betrunken zu machen, damit ich den Schein ausstelle«, murmelte er und ging hinüber zum Schreibtisch. »Wie ist der Name des Toten?«

Als ich ihn nannte, wurde er blaß. »W. H. Donovan«, wiederholte er und setzte sich zitternd nieder. Ich wartete, bis er sich faßte. »Wir haben also Donovans Hirn gestohlen!«

Plötzlich lachte er auf, wandte sich zum Schreibtisch, nahm eine Feder und zog ein Blankoformular für den Bericht an die Polizei aus der Tasche. »Ich lasse den Namen lieber offen«, sagte er, »und ich hoffe nur, die Hitze zerstört die Leiche schnell, ehe jeder Arzt im ganzen Lande herkommt und seine Nase da hineinsteckt.«

Er schrieb und reichte mir das Papier.

»Todesursache: Starke Blutung und Schock, der Amputation beider Beine vorangehend«, las ich.

»Sie können selbst sehen, daß es wahr ist, was ich geschrieben habe.«

Er sprach großtuerisch, um seine Unsicherheit zu verbergen, und ging hinüber zur Tür. »Ich werde veranlassen, daß er von Phoenix aus abgeholt wird.«

Dann setzte er seinen großen Hut auf und ging hinaus, ohne mich anzusehen oder mir Adieu zu sagen. Er war wieder einmal mit mir fertig. Draußen hielt er einen Augenblick an, um mit Janice zu sprechen. Sie haben eine merkwürdige kleine Verschwörung, und ich habe mir nie die Mühe genommen, mich einzumischen; auch jetzt interessierte es mich nicht, was sie miteinander zu reden hatten, aber ich ging doch in mein Schlafzimmer und rief nach ihr.

Janice kam sofort herein.

»Du müßtest etwas schlafen.« Sie machte diesen Vorschlag sehr unsicher. Zum erstenmal seit Jahren sagte sie mir, was ich tun sollte. Sie pochte zögernd an die Tür meines Bewußtseins, mit dem schüchternen Versuch, sich in Erinnerung zu bringen.

»Die Ambulanz aus Phoenix wird die Leiche abholen«, sagte ich. »Und wenn irgend jemand kommt, störe mich nicht – wer es auch sei.« Ich sank auf das Bett. Ich brauchte wirklich Schlaf.

Schon während ich mich zur Wand drehte, fühlte ich, wie der Schlaf meine Gedanken auslöschte.

Achtzehnter September

Ich erwachte in früher Morgenstunde. Neben dem Bett stand etwas Essen. Janice hatte es in einen Thermosbehälter getan, um es warmzuhalten. Ich aß hastig und ging zurück ins Laboratorium. Ich hörte Janice in ihrem Zimmer herumgehen, aber sie blieb dort.

Durch das Gartenfenster sah ich, daß die Leiche abgeholt worden war. Auf meinem Tisch lagen die Abendzeitung und eine Nachricht. Das Krankenhaus in Phoenix hatte angerufen, ich sollte hinüberkommen und der Polizei Bericht erstatten. Da Schratt in diesem Falle der Arzt war, warf ich den Zettel in den Papierkorb.

Der Phoenix Herald brachte in Schlagzeilen die Überschrift:

Ein Gigant tot.

W. H. Donovan im Flugzeug umgekommen.

Absturz in den Schlangen-Bergen.

Ich legte die Zeitung in eine Schublade meines Schreibtisches und wandte mich Donovans Hirn zu.

Die Pumpe hatte die Hauptarterie getreulich mit Blut versorgt, und das ultraviolette Licht schien durch die Glasröhren, in denen das Serum zirkulierte.

Ich rollte den Tisch mit dem Enzephalographen dicht an den Glasbehälter, in dem das Hirn war, und befestigte die fünf Elektroden an dem Rindengewebe. Eine beim rechten Ohr, zwei hoch an der Stirn, eine über jeder Augenhöhle.

Das Hirn jeder lebenden Kreatur hat einen elektrischen Schlag, der durch Neuronen geleitet wird, nicht durch Blutgefäße oder die verbindenden Gewebe. Alle Zellen zeigen verschiedenartige Grade von mechanischer, thermaler, elektrischer und chemischer Aktivität.

Ich schaltete den Strom für den kleinen Motor an, der pro Sekunde einen Zoll weißen Papierstreifens herauszog – bei einer Frequenz von sechzig Zyklen. Eine Feder kratzte eine schwache Linie auf das sich bewegende Papier. Ich verstärkte die unendlich kleinen Strömungen, die das Hirn aussandte, bis ihre Kraft groß genug war, die Feder zu bewegen.

Auf dem Papierstreifen zeigte sich die Aktivität von Donovans Denkprozeß in exakten, gleichmäßigen Kurven. Die Kurven wiederholten sich; das Hirn ruhte, dachte jetzt nicht richtig. Die Feder zog kleine Alpha-Kurven, exakt wie die Atmung.

Ich versuchte die Hinterhauptleitung. Die Abweichungen waren beständig, zehn Zyklen pro Sekunde; mit sehr niedrigen Wellen sieben bis acht Zyklen pro Sekunde.

Ich berührte das Glas – und sofort verschwanden die Alpha-Wellen. Das Hirn im Glas merkte, daß ich hier stand!

Auf dem sich bewegenden Papierstreifen erschienen Delta-Wellen, ein sicheres Anzeichen, daß das Hirn gefühlsmäßig gestört war. Jedoch es schien müde zu sein, und plötzlich fiel es wieder in Schlaf. Ich sah das sich wiederholende Muster erneut erscheinen. Das Hirn schlief fest, seine Energien waren durch die schwere Operation erschöpft.

Neunzehnter September