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Wir waren zusammen in den Speisewagen gegangen, doch als ich ihm gegenüber Platz nehmen wollte, hatte mich ein Kellner am Ellbogen gepackt.

«Sie nicht«, sagte er grob.»Sie sind hier erster Klasse.«

«Ich habe einen Fahrschein für die erste«, sagte ich ruhig.

«So? Den würde ich gern mal sehen.«

Ich nahm das weiße Kärtchen aus der Tasche.

Er zog die Nase hoch und wies mit einer Kopfbewegung auf den Platz gegenüber October.»Na schön. «Zu October sagte er:»Wenn er lästig wird, brauchen Sie es nur zu sagen, Sir, dann fliegt er raus, mit oder ohne Fahrschein.«

Und in der Bewegung des Fahrt aufnehmenden Zuges schwankend, war er davongegangen.

Unnötig zu sagen, daß sich alle Speisewagengäste umgedreht hatten, um das Spektakel mitzubekommen.

Ich setzte mich grinsend. October wirkte ungemein verlegen.

«Machen Sie sich meinetwegen keinen Kopf«, sagte ich.

«Ich bin das gewohnt. «Und mir wurde klar, daß ich nun wirklich daran gewöhnt war und daß mir eine solche Behandlung nie mehr unter die Haut gehen würde. Ich griff zur Speisekarte.»Aber Sie dürfen auch gern so tun, als ob Sie nicht zu mir gehören.«

«Sie sind beleidigend.«

Ich lächelte ihn über die Karte hinweg an.»Gut.«

«So was Hinterhältiges wie Sie gibt’s nicht noch mal, Daniel. Vielleicht abgesehen von Roddy Beckett.«

«Mein lieber Edward… ein Scheibchen Brot für Sie?«

Er lachte, und wir waren einträchtig nach London gefahren, sicher eines der merkwürdigsten Paare, die je den Kopf in die gestärkten weißen Polsterschoner der British Rail gedrückt hatten.

Ich goß mir Kaffee nach und sah auf die Uhr. Colonel Beckett war schon zwanzig Minuten zu spät. Die Tauben saßen friedlich auf dem Fenstersims, und ich verlagerte mein Gewicht im Sessel, aber nicht aus Ungeduld, nicht aus Langeweile, und dachte an meinen Besuch bei Octobers Friseur, an die Freude, mit der ich mich von den langen Zotteln und den Koteletten getrennt hatte. Der Friseur (der sein Geld im voraus verlangt hatte) war von dem Ergebnis, wie er sagte, selbst überrascht.

«Das kann sich doch wenigstens sehen lassen, hm? Aber dürfte ich noch… eine Haarwäsche empfehlen?«

Grinsend hatte ich der Haarwäsche zugestimmt, die auf halber Höhe meines Halses eine Hochwassermarke der Sauberkeit hinterließ. In Octobers Haus genoß ich dann den fabelhaften Luxus, mich meiner dreckigen Verkleidung zu entledigen, ein Vollbad zu nehmen und — ein ganz eigenartiges Gefühl — nachher meine eigenen Sachen anzuziehen. Ich betrachtete mich wieder in dem großen Spiegel. Das war der Mann, der vor vier Monaten aus Australien gekommen war, ein Mann in einem dunkelgrauen Anzug, weißem Hemd, dunkelblauer Krawatte: das war jedenfalls seine Schale. Im Innern war ich nicht mehr derselbe und würde es auch nie mehr sein.

Ich ging hinunter in den roten Salon, wo October ernst um mich herumschritt, mir ein Glas strohtrockenen Sherry gab und meinte:»Es ist einfach nicht zu glauben, daß Sie der junge Flegel sind, der mit mir im Zug nach London gekommen ist.«

«Ich bin’s«, sagte ich nur, und er lachte.

Er bot mir einen Sessel an, der mit dem Rücken zur Tür stand, und ich trank Sherry und hörte mir an, wie er von seinen Pferden plauderte. Er stand dabei etwas verlegen am Kamin, und ich fragte mich, was er wohl vorhatte.

Ich kam bald dahinter. Die Tür öffnete sich, und er schaute an mir vorbei und lächelte.

«Ich möchte euch jemanden vorstellen«, sagte er.

Ich stand auf und drehte mich um.

Patty und Elinor standen vor mir.

Sie erkannten mich nicht gleich. Patty bot mir die Hand, sagte:»Guten Tag «und erwartete offensichtlich, daß ihr Vater uns bekannt machte.

Ich nahm ihre Hand in meine Linke und führte sie zu einem Sessel.

«Setzen Sie sich«, sagte ich.»Es gibt eine Überraschung.«

Sie hatte mich drei Monate nicht gesehen, aber Elinors verhängnisvoller Besuch bei Humber lag erst vier Tage zurück. Elinor sagte zögernd:»Sie sehen nicht so aus… aber Sie sind Daniel. «Ich nickte, und sie wurde knallrot.

Pattys strahlende Augen schauten in meine, und ihre rosa Lippen öffneten sich.

«Ist das wahr? Sie sind Danny?«

«Ja.«

«Oh. «Sie bekam einen genauso roten Kopf wie ihre Schwester, und das wollte bei Patty etwas heißen.

October sah, wie seine Töchter sich wanden.»Geschieht ihnen recht«, meinte er.»Nichts als Ärger haben sie gemacht.«»Aber nein«, rief ich aus,»Sie sind zu streng… und Sie haben ihnen immer noch nichts über mich erzählt, oder?«

«Nein«, sagte er unsicher, da ihm der Verdacht kam, seine Töchter könnten mehr Grund zum Erröten haben, als er ahnte, und das unverhoffte Wiedersehen könnte nicht ganz so verlaufen, wie er es sich vorgestellt hatte.

«Dann tun Sie das bitte jetzt, während ich mich mit Terence unterhalte. Und Patty… Elinor…«Sie waren erstaunt, daß ich sie mit dem Vornamen anredete, und ich lächelte flüchtig.»Ich vergesse immer alles ganz schnell.«

Sie wirkten beide bedrückt, als ich wiederkam, und October druckste verlegen um sie herum. Väter können, ohne es zu wollen, sehr unfreundlich gegen ihre Töchter sein, dachte ich.

«Kopf hoch«, sagte ich.»Ohne Sie beide hätte ich mich in England nur gelangweilt.«

«Sie waren gemein«, versetzte Patty mit alter Angriffslust.

«Ja… es tut mir leid.«

«Sie hätten es uns doch sagen können«, meinte Elinor leise.

«Quatsch«, warf October ein.»Dafür redet Patty zu gern.«

«Ach so«, verstand Elinor. Sie blickte zögernd zu mir.

«Ich habe mich noch nicht dafür bedankt, daß Sie… mich gerettet haben. Der Arzt hat mir… alles erzählt. «Sie wurde wieder rot.

«Dornröschen«, sagte ich lächelnd.»Sie haben ausgesehen wie meine Schwester.«

«Sie haben eine Schwester?«

«Zwei«, sagte ich.»Sechzehn und siebzehn.«

«Oh. «Ihr schien gleich wohler zu sein.

October warf mir einen Blick zu.»Sie sind viel zu nett zu denen, Daniel. Die eine hat mich dazu gebracht, Sie zu verabscheuen, die andere hätte Sie beinah das Leben gekostet, und Sie scheint das nicht zu kümmern.«

Ich lächelte ihn an.»Nein. Tut’s auch nicht. Vergessen wir’s einfach.«

So gestaltete sich der Abend trotz des schleppenden Auftakts schließlich noch angenehm; die beiden Mädchen konnten mir am Ende sogar ohne rot zu werden in die Augen sehen.

Als sie zu Bett gegangen waren, zog October mit zwei Fingern ein Stück Papier aus der Anzugjacke und gab es mir wortlos. Ich faltete es auseinander. Es war ein Scheck über zehntausend Pfund. Lauter Nullen. Ich sah sie mir schweigend an. Dann riß ich das Vermögen in der Mitte durch und warf die beiden Hälften in den Aschenbecher.

«Vielen Dank«, sagte ich.»Aber ich kann das nicht annehmen.«

«Sie haben Ihre Arbeit getan. Weshalb sollten Sie sich dafür nicht bezahlen lassen?«

«Weil…«Ich schwieg. Ja, weshalb? Ich wußte es nicht in Worte zu fassen. Es hing damit zusammen, daß ich mehr als erwartet gelernt hatte. Daß ich in zu tiefes Wasser vorgedrungen war. Daß ich getötet hatte. Ich wußte nur, daß ich den Gedanken, dafür Geld zu nehmen, nicht mehr ertragen konnte.

«Sie müssen doch einen Grund haben«, sagte October ein wenig gereizt.

«Nun, ich habe es eigentlich sowieso nicht des Geldes wegen getan, und so viel kann ich mir dafür nicht geben lassen. Wenn ich zu Hause bin, erstatte ich Ihnen auch alles, was von den ersten Zehntausend noch übrig ist.«

«Nicht doch«, widersprach er.»Die haben Sie sich verdient. Behalten Sie das Geld. Sie brauchen es für Ihre Familie.«

«Was ich für meine Familie brauche, verdiene ich mit dem Verkauf von Pferden.«

Er stupste seine Zigarre aus.»Man fragt sich, wie jemand, der so unverschämt selbständig ist, es als Pferdepfleger ausgehalten hat. Warum haben Sie das gemacht, wenn’s nicht ums Geld ging?«