Выбрать главу

Am Abend versuchte ich mit neuer Energie, das Dopingproblem von einer anderen Seite her anzugehen, indem ich schaute, ob die Pferde irgend etwas miteinander gemein hatten.

Es sah nicht so aus. Alle hatten verschiedene Trainer. Alle gehörten verschiedenen Besitzern, und alle waren von verschiedenen Jockeys geritten worden. Das einzige, was sie miteinander gemein hatten, war, daß sie nichts gemein hatten.

Ich seufzte und ging zu Bett.

Terence, der Diener, mit dem ich mich ein wenig angefreundet hatte, weckte mich am vierten Tag, indem er mit einem voll beladenen Frühstückstablett in mein Zimmer kam.

«Der Verurteilte langte noch einmal kräftig zu«, sagte er, hob den silbernen Deckel ab und ließ mich an einem Teller mit Eiern und Schinken schnuppern.

«Wie meinen Sie das?«fragte ich, zufrieden gähnend.

«Ich weiß nicht, was Sie und Seine Lordschaft vorhaben, aber wo Sie auch hingehen, Sie betreten eine andere Welt. Ihr Anzug zum Beispiel stammt nicht aus derselben Ecke wie das Zeug da.«

Er nahm den Kunstfaserkoffer, setzte ihn auf einen Hok-ker und klappte ihn auf. Behutsam, als wäre es Seide, legte er eine Baumwollunterhose und ein kariertes Baumwoll-hemd heraus, dazu einen gerippten hellbraunen Pullover, eine enge, anthrazitfarbene Hose und schwarze Socken. Mit angewidertem Blick hängte er die schwarze Lederjak-ke über die Stuhllehne und ergänzte das Arrangement durch die spitzen Schuhe.

«Seine Lordschaft hat mich angewiesen, darauf zu achten, daß Sie alle mitgebrachten Sachen dalassen und nur die hier mitnehmen«, sagte er bedauernd.

«Haben Sie die gekauft«, fragte ich amüsiert,»oder Lord October?«

«Lord October. «Er lächelte plötzlich, als er zur Tür ging.»Hätte ich gern gesehen, wie er da im Discountladen zwischen den drängelnden Hausfrauen am Wühltisch steht.«

Ich frühstückte, nahm ein Bad, rasierte mich und schlüpfte von Kopf bis Fuß in die neuen Sachen, einschließlich der schwarzen Joppe, deren Reißverschluß ich hochzog. Dann bürstete ich mir die Haare nicht nach hinten, sondern nach vorn, so daß die kurzen schwarzen Fransen in die Stirn fielen.

Terence kam wieder, um das Tablett abzuholen, und sah mich vor dem Wandspiegel stehen. Statt ihn wie sonst anzulächeln, drehte ich mich langsam auf dem Absatz um und fixierte ihn grimmig mit zusammengekniffenen Augen.

«Du liebe Zeit!«entfuhr es ihm.

«Gut«, meinte ich vergnügt.»Sie würden mir also nicht trauen?«

«Ich würde mich hüten.«

«Und welchen Eindruck haben Sie sonst von mir? Würden Sie mir Arbeit geben?«

«Zur Haustür kämen Sie hier erst gar nicht rein. Höchstens hintenrum. Ich würde mir Ihre Referenzen gut ansehen, bevor ich Sie einstellte — und wenn ich nicht schwer unter Druck wäre, würde ich es lieber lassen. Sie sehen verschlagen aus… und, na ja, ein bißchen… gefährlich fast.«

Ich öffnete den Reißverschluß der Lederjacke, so daß der karierte Hemdkragen und der hellbraune Pullover zu sehen waren. Eine legere Note.

«Und jetzt?«fragte ich.

Er neigte prüfend den Kopf zur Seite.»Ja, jetzt würde ich Sie vielleicht nehmen. So sehen Sie gleich normaler aus. Nicht unbedingt ehrlicher, aber leichter zu handhaben.«

«Danke, Terence. Das kommt genau hin, glaube ich. Durchschnitt, aber unehrlich. «Ich lächelte freudig.»Dann will ich mich mal auf den Weg machen.«

«Sie haben nichts Eigenes bei sich?«

«Nur meine Uhr«, versicherte ich ihm.

«Gut«, sagte er.

Ich bemerkte mit Interesse, daß er zum erstenmal in den vier Tagen das ungezwungene, automatische» Sir «weggelassen hatte; und als ich den billigen Koffer ergriff, machte er keine Anstalten, ihn mir wie die Reisetasche bei meiner Ankunft abzunehmen.

Wir gingen hinunter zur Haustür, wo ich ihm die Hand bot, mich für seine Fürsorge bedankte und ihm einen Fünfpfundschein gab. Einen von Octobers Fünfern. Er nahm ihn lächelnd an und betrachtete mich in meiner neuen Identität.

Ich grinste breit.

«Wiedersehen, Terence.«

«Auf Wiedersehen, und vielen Dank… Sir«, sagte er; und im Davongehen hörte ich ihn lachen.

Den nächsten Hinweis darauf, daß mein Kleiderwechsel einen gewaltigen Statusverlust bedeutete, gab mir der Taxifahrer, den ich am Ende des Platzes heranwinkte. Er wollte erst mein Geld sehen, bevor er mich zum Bahnhof

King’s Cross fuhr. Ich nahm den Mittagszug nach Harrogate und fing mir die mißbilligenden Blicke eines vis-a-vis sitzenden steifen Mannes mit ausgefransten Manschetten ein. Das läuft ja alles, dachte ich, während die regennasse Herbstlandschaft an mir vorbeiflog; du machst wirklich einen zweifelhaften Eindruck. Ich mußte um die Ecke denken, um mich darüber zu freuen.

Von Harrogate fuhr ich mit dem Bus nach der kleinen Ortschaft Slaw, erkundigte mich nach dem Weg, ging die letzten drei Kilometer bis zu Octobers Landgut zu Fuß und kam dort kurz vor sechs an, die beste Zeit, um Arbeit in einem Rennstall zu finden.

Sie hatten wirklich alle Hände voll zu tun; ich fragte nach dem Futtermeister, und dieser brachte mich zu Inskip, der auf seinem abendlichen Rundgang war.

Inskip musterte mich und schürzte die Lippen. Er war ein mürrischer, relativ junger Mann mit Brille, schütterem rotblondem Haar und schlafflippigem Mund.

«Referenzen?«Seine Stimme hingegen war scharf und gebieterisch.

Ich nahm den Brief von Octobers Kusine aus der Tasche und gab ihn ihm. Er faltete ihn auseinander, las ihn und steckte ihn ein.

«Mit Rennpferden haben Sie also noch nicht gearbeitet?«

«Nein.«

«Wann könnten Sie anfangen?«

«Sofort. «Ich wies auf meinen Koffer.

Er zögerte, aber nur kurz.»Zufällig brauchen wir gerade jemand. Wir versuchen es mit Ihnen. Wally, besorgen Sie ihm bei Mrs. Allnut ein Bett, er kann morgen früh anfangen. Der übliche Lohn«, wandte er sich wieder an mich,»elf Pfund die Woche, davon bekommt Mrs. Allnut drei für Kost und Logis. Ihre Karten können Sie mir morgen geben. Alles klar?«

«Ja«, sagte ich und war im Geschäft.

Kapitel 3

Ich schlich mich behutsam in die neue Umgebung ein wie ein Ketzer in den Himmel, um nicht auf- und hinauszufliegen, bevor ich ganz dazugehörte. Am ersten Abend kargte ich mit Worten, weil ich meinem angelernten Akzent nicht traute, aber bald wurde mir klar, daß bei der Vielfalt von Dialekten, die im Stall gesprochen wurden, mein Cockney-Australisch gar nicht auffiel.

Wally, der Futtermeister, ein drahtiger kleiner Mann mit schlechtsitzenden dritten Zähnen, hatte mich zur Schlafplatzbelegung in das Haus beim Tor geschickt, in dem etwa ein Dutzend unverheiratete Pferdepfleger wohnten. Ich kam in einen kleinen, vollgestopften Raum im ersten Stock mit sechs Betten, einem Kl ei der schrank, zwei Kommoden und vier Stühlen, die die Nachttische ersetzten; nur in der Mitte waren ungefähr zwei Quadratmeter frei. Dünne, geblümte Vorhänge an den Fenstern, auf dem Fußboden blankes Linoleum.

Mein Bett war mit den Jahren in der Mitte zwar arg eingesunken, aber nicht unbequem, und es war mit weißen Laken und grauen Wolldecken frisch hergerichtet. Mrs. Allnut, die mich ohne zu fackeln in ihrem Haus aufnahm, war eine rundliche kleine Frohnatur mit einem Haarknoten auf dem Kopf. Sie hielt das Haus blitzsauber und achtete auch darauf, daß sich die Pfleger wuschen. Sie konnte kochen, und das Essen war einfach, aber reichlich. Alles in allem ein gutes Quartier.

Anfangs nahm ich mich sehr in acht, aber die Anpassung an die Umgebung, an die Gemeinschaft war doch leichter, als ich mir vorgestellt hatte.

Ein paarmal konnte ich mich in den ersten Tagen gerade noch bremsen, als ich einem anderen Pfleger sagen wollte, was er zu tun habe; neun Jahre alte Gewohnheiten sind zäh. Und ich war überrascht, ja ein wenig bestürzt über die unterwürfige Haltung, die alle gegenüber Inskip einnahmen, wenigstens wenn er dabei war; meine Leute zu Hause gingen mit mir viel vertraulicher um. Daß ich sie bezahlte und sie Lohn empfingen, stellte mich als Mensch nicht über sie, und das war uns auch allen klar. Aber bei Inskip und, wie ich noch feststellen sollte, überhaupt in England war wenig von dem beinah aggressiven Gleichheitsstreben Australiens zu spüren. Die Pferdepfleger schienen sich generell damit abzufinden, daß sie in der Welt niedriger eingestuft wurden als Menschen wie Inskip und October. Ich fand das würdelos, beschämend und seltsam. Aber ich behielt meine Ansicht für mich.